laut.de-Kritik
Der Mann, der den Tod in der Tasche hat.
Review von Anastasia HartleibFela Anikulapo Kuti, der Mann, der den Tod in der Tasche hat. Will man seine Persona in Worte fassen, könnte man genauso gut versuchen, Rauch mit bloßen Händen zu fangen. Er vereinte Autokratie und Demokratie in sich. Er war Perfektionist, Visionär, Revolutionär und ein Chauvinist. Doch vor allem war er ein musikalisches Genie, das bis heute seinesgleichen sucht.
Unzählige Alben seines riesigen Kanons könnten herhalten, um Felas Einmaligkeit zu manifestieren. "I.T.T. (International Thief Thief)" zum Beispiel, das Korruption und Vetternwirtschaft anprangert, oder das späte "Beasts Of No Nation". Keines seiner übrigen Werke erreicht jedoch den Status, den "Zombie" sich selbst errichtet hat. Dieses Album zieht einen langen, düsteren Schatten durch das Leben des Musikers, von dem er sich nie ganz erholte.
Felas Leben glich einem endlosen Krieg. Die Protagonisten: Ein idealistischer und gleichzeitig absolut furchtloser Musiker gegen den nigerianischen Staatsapparat, die Unterdrücker. Immer und immer wieder griff Fela das Militär und die korrupten Regierungsmitglieder an. Seine Waffe: Der Afrobeat.
Fela entwickelte ihn aus dem in Ghana und Nigeria beliebten Highlife, einer plätschernden Tanzmusik mit karibischen Wurzeln. Er mischte dem Highlife eine ordentliche Portion Jazz bei und erhielt so eine gänzlich neue, virierende Dynamik. Kraftvoll, hypnotisch und vor allem tanzbar brennen sich diese wilden Rhythmen und Melodien, die gut und gerne auch mal eine Spielzeit von 45 Minuten haben können, ihren Gang durch das Ohr und verbreiten dort ihre politischen Nachrichten von Aufstand und Revolution. Nichts und Niemand kann dieses Kriegswerkzeug unschädlich machen.
Das bewies Fela mit "Zombie" eindrucksvoll. Jedes Instrument wird einzeln eingeführt. Erst der Bass, dann die Bongos. Sie geben den Takt vor, schnell und bis zum Anschlag mit Energie gefüllt. Dann folgt das Saxophon, wild und unzähmbar springt es von einem Ton zum anderen und entfaltet seinen mächtigen, hypnotisierenden Zauber. Kurz darauf die Rasseln. Sie alle arbeiten auf einen Moment der Auflösung hin, in dem sich diese überwältigende Spannung entlädt. Doch sie entlädt sich nicht, sie explodiert und überflutet mit Glücksgefühlen, mit Ungläubigkeit, dass das wirklich möglich sein kann.
Während der Kopf noch versucht, diese wilden und gleichzeitig so strukturierten Töne einzuordnen, befindet sich alles andere schon längst im ekstatischen Ausnahmezustand. Im Call-and-Response-Stil bezeichnet Fela die Angehörigen des Militärs als Untote, die nur auf Befehle reagieren: "Zombie no go think unless you tell am to think". Der Song mündet in eine schräge Interpretation des "Assembly Bugle Calls", einer weithin bekannten Militärmelodie, die der Provokation des verhassten Gegners die Krone aufsetzt.
Die B-Seite "Follow Follow", später auch als "Mr. Follow Follow" bekannt, besitzt eine ähnliche Wirkung. Leiser, melancholischer zwar als "Zombie", doch nicht weniger kraftvoll ermutigt Fela seine Hörer, selbst zu denken, sich einen eigenen Weg zu suchen. "My brothers, make you no follow book-o / Look am and use your sense". Fast wie ein Prediger erscheint er, als sein spät einsetzender Gesang den Hörer aus der repetitiven und einfühlsamen Melodie erweckt.
Mit allem was er tat, widersetzte sich Fela der Norm. Er klagte nicht nur die Verhältnisse an, über die sich eine Praxis des Schweigens gelegt hatte. Er revoltierte auch gegen die gängigen Hörgewohnheiten. Seine Songs besitzen alle eine Spielzeit von mindestens zehn Minuten, weswegen Felas Alben größtenteils nur aus wenigen Tracks bestehen. Und genau hier liegt seine Superkraft versteckt, denn über derart lange Spielzeiten konnte sich Fela viel intensiver, viel direkter und intimer seiner Hörerschaft nähern.
Obwohl "Zombie" in Nigeria verboten wurde, kannte jedes Kind diesen aufrührerischen Text, der ihm zum Verhängnis wurde. Als am 18. Februar 1977 das Militär vor Felas berüchtigter Kommune "Kalakuta Republic" stand, stellte er sich, gemeinsam mit seinen Frauen, auf den Balkon seines Hauses und spielte den Soldaten "Zombie" vor. Und diese schlugen zurück, mit dem einzigen Mittel das sie zu kennen schienen. Mit 1.000 Mann stürmten sie die "Kalakuta Republic", misshandelten die Bewohner auf brutalste Weise, zerstörten die Einrichtung und setzten das Gebäude in Brand. Zuvor jedoch warfen sie Felas Mutter Anikulapo Ransome Kuti, eine angesehene Frauenrechtlerin Nigerias, aus dem Fenster im zweiten Stock. Die damals knapp 70-jährige überlebte zwar knapp den Sturz, erholte sich jedoch nie wieder davon. Sie starb im darauffolgenden Jahr.
Man kann Fela Kuti nur dafür bewundern, dass er weiter machte. Es war nicht das erste und das letzte Mal, dass das Militär sein Zuhause stürmte, doch es war wohl das schwerwiegendste. Statt sich von dieser regelrechten Flut von Gewalt und Brutalität unterkriegen zu lassen, zehrte Fela davon. Es machte ihn stärker. Seine Lieder wurden entschlossener, seine Texte wütender. Es war ein ebenbürtiger Kampf mit ungleichen Waffen, bei dem es am Ende keinen Gewinner gab. Das Militär hatte Fela gedemütigt, geschlagen und eingesperrt, doch sein Wille war ungebrochen, bis zu seinem Tod.
Bei allem Ruhm und Heldentum, der Fela Kuti umgibt, darf die andere Seite seiner Persönlichkeit nicht vergessen werden, die sich auch in seinen Texten widerspiegelt. Seine Feindlichkeit gegenüber dem Islam und der westlichen Kultur gingen so weit, dass er deren Bildung verurteilte. Unter diesem Aspekt bekommt "Follow Follow" einen gänzlichen anderen Blickwinkel, der kritisch betrachtet werden muss. Frauen waren für Fela Kuti eher Besitz als Partner. Und obwohl ihm selbst so viel Gewalt widerfuhr, war Gewalt gegenüber seiner Kommune, seinen 27 Frauen und seiner Band keine Ausnahme. Als die ersten Symptome seiner AIDS-Erkrankung auftraten, wollte er sich nicht mit westlicher Medizin behandeln lassen. Bis zu seinem Tod im August 1997 glaubte Fela fest an seine eigene Unsterblichkeit. Anikulapo, der Mann, der den Tod in der Tasche hat.
Seine Musik lebt noch heute. In Gestalt seines Sohnes Seun Kuti, der mit Felas Band das Andenken an den Vater aufrecht erhält. In Broadway Shows und Filmen, die dem Musiker gewidmet sind. Und in jedem Ohr, das sich der Magie seiner Songs hingibt. Fela Kuti, ein kontroverser Charakter, dessen virutose Kompositionen bis heute einmalig sind.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
Essenzielle Platte des Afrobeat, mit dem Kuti auch westliche Künstler inspirierte. Alben wie "Remain in Light" oder "Graceland" wären ohne sein Wirken undenkbar gewesen.
Fantastischer Stein, vielen Dank! Fela Kuti ist einer der größten und wichtigsten Musiker der zweiten Hälfte des 20. Jh.
Ein sehr guter Einstieg in sein Werk ist auch das von seinem Sohn Femi zusammengestellte Best Of "The Best Best of Fela Kuti" bzw. "The Best of the Black President" (alternative Titel). Manche Songs sind vorsichtig gekürzt ohne die Essenz zu zerstören, dennoch sind unter 13 Titeln nur zwei unter zehn Minuten lang.