laut.de-Kritik

Das Trojanische Pferd der Neuen Schule.

Review von

"Ich bin Max aus dem Schoße der Kolchose / Doch so 'ne Katastrophe, das ging mächtig in die Hose." Im Jahr 1997 – 1996 ist weg und bräunt sich – geht beim Freundeskreis bis auf lila Scheine jedoch wenig in die dicke Tarnbuxe. Max Herre, Don Phillipo und DJ Friction aus dem Stuttgarter Künstlerkollektiv der Kolchose stürmen mit "A-N-N-A" in sämtliche Herzen.

Der smoothe Remix ihres 95er-Rap-Tracks dient zusammen mit dem "Liebes Lied" der Beginner als Trojanisches Pferd der Neuen Schule und läutet bis 2000 den ersten Großangriff des deutschsprachigen Hip Hop auf die heimischen Single-Charts ein. Im Gegensatz zu den bereits erfolgreichen Fantas kommen die Emcees jetzt aus der Szene und ebnen als Klasse von '95 der Rap-Subkultur mit Skills, Pop-Appel und harten Beats den Weg in den Mainstream.

"A-N-N-A" selbst funktioniert dabei nicht nur als wahnsinnig eingängiger Sommertune und Formatradio-Favorit, entkleidet vom Zuckerguss des hundertfach gehörten Chart-Hits entdeckt man hier alle Stärken, die den Freundeskreis zur Legende und sein Debüt "Quadratur Des Kreises" zum Genre-Klassiker machen.

Das The Roots-artige Zusammenspiel von DJ Friction und Multiinstrumentalist Don Philipo erreicht seiner dichten Produktion wegen zum ersten Mal internationales Level und klingt im Gegensatz zu unzähligen Rap-Tracks der 90er auch Jahrzehnte später absolut zeitlos.

Ohne Rapper Max Herre jedoch wäre der schwäbischen Native Tongue-Ableger niemals zu europäischer Berühmtheit gelangt, und auch das 1996 von den Fantas gegründete Four Music-Label hätte nicht ab dem zweiten Albumrelease so große Erfolge gefeiert. Maximi-Maxima-Maxi-Max gehört locker zu den Top Ten - ach was, Top fünf! - der besten deutschen Rapper aller Zeiten, und taucht ähnlich wie Black Thought trotzdem viel zu selten in entsprechenden Listicles oder Reviews auf.

So lobt das Intro-Magazin in seiner Reihe der wichtigsten Deutsch Rap-Alben zwar zurecht, dass sich "der Freundeskreis früh angrenzenden Genres wie Reggae, Soul und Jazz öffnet und mit Liveband auftritt". Die Flows, das Storytelling, die Skills von Herre belächeln sie dort eher: "Inhaltlich wirkt das Album heute rührend naiv bis peinlich", reduzieren sie den MC auf den weintrinkenden WG-Revoluzzer reicher Eltern. Es ist Zeit, damit aufzuräumen. Von hinten wie von vorne.

Im Opener und ersten Single "Leg Dein Ohr Auf Die Schiene Der Geschichte" verzahnt Max auf einem soulig-chilligen Beat geschickt seine eigene Geschichte mit den politischen Entwicklungen in jenen Jahren:

"C-I-A / Chile ist amerikanisch / Victor Jara sang auf Spanisch / seine Stimme mahnt dich / Vergiss' die Toten nicht / Vergiss' die Diktaturdespoten nicht / neunzehnhundertdreiundsiebzig / meine Mutter presste, gebar und liebt mich / trägt mich an der Brust, stillt und wiegt mich / indes 'ne Mutter mit Sohn in Kambodscha / den Schuss zu spät sah / er wär' wie ich jetzt dreiundzwanzig."

Auch wenn der hippieske Sound nur über seine trockenen Drums etwas Härte gewinnt und linke Agitpopper zu viel Predigerstyle anprangern, öffnet Max mit den Querverweisen doch vielen jungen Menschen die Augen oder gibt zumindest Denkanstöße wie einst Rio Reiser. Es riecht nach nassem Teer, während der junge Wuschelkopf im Armyparka und Che Guevara-Shirt in der Sonne Südfrankreichs chillt. Ein Bild, das einem übrigens das ganze Album über nicht loslässt.

Die große künstlerische Meisterleistung folgt jedoch erst im Refrain. "Ich weiß nicht mal mehr, ob erst die Gesangs-Line mit diesem 'You're just a part of it' da war. Was aber gut sein könnte, da ich oft erstmal etwas summe oder Dada-Raps mache", sagte Max im Gespräch mit allgood.de.

Dada-Raps! Max Herre als Based God Lil B, zehn Jahre vor seiner Zeit. In einem nicht mehr auffindbaren Interview aus den 90ern bezeichnete sich Max bereits als Hookmaster à la Method Man. Die Leute kämen immer zu ihm, wenn sie einen coolen Refrain bräuchten. Die Gene der als Sängerin arbeitenden Mutter helfen anscheinend.

Max nimmt mit spontanem Free-Rap jedoch nicht nur Lil B vorweg, er ist auch der Urahn eines Drake. Seine gecroonte, gerappte und gesungene Interpretation des Lindenberg-Songs "Baby, Wenn Du Down Bist" erinnert Jahrzehnte später frappierend an den 6 God, auf ähnlich hohem Level. Auf dem Boom Bap-Kopfnicker "Wenn Der Vorhang Fällt" rundet er sein Game mit einem Mix aus roughen Battle-Raps und revolutionärer Intellektuellenattitüde ab. "Ich lieb unseren Sound wie Latinos Bossa / Leb' mein Leben im Zeichen der Bandera Rossa / Für die Posse und Beats die mich reinigen wie Wasser / Geh' auf steinigen Straßen, meine Peiniger erblassen."

Er kreiert auf "Lasst Mich Nicht Alleine" nur per Namedropping einen spannenden Song und wagt sich mit dem Special Guest und späteren FK-Mitglied Sekou auf "Cross The Tracks" gar auf das gefährliche Terrain der Spoken Words. Sein Reggae-diggendes Duett mit der damals unbekannten Soul-Sängerin Cassandra Steen auf "Telefonterror" setzt auch in einem weiteren Genre Trends.

Der Jung' ist einfach ein extrem guter Emcee, der laut Sekou stark von den GIs geprägt war. "Die Generation um Afrob war aber noch sehr beeinflusst davon. Die waren tatsächlich noch bei Partys der US-Army und rappten in einer Kauderwelschsprache vor den Amis. Max Herre probierte das auch, wurde für seine Grammatik aber belächelt. Das war der Aha-Moment, wodurch Leute damit begannen, auf Deutsch zu rappen."

Max als Mittelpunkt des Albums flankieren am Mic kongenial die besagten Sekou, Cassandra und Afrob. Sekou erweitert das ohnehin schon gegebene Weltmusikflair mit englischer Sprache und afrikanischen Roots, während Afrob auf "Overseas-Übersee" mit seiner unwiderstehlich rohen Energie eine Straßenrapper-Variante gibt. Zusammen mit Four Music und den Kolchose-Kollegen von den Massiven bauen sie ihre schwäbischen Spießerstadt Ende der 90er wie Hamburg zum Style-Zentrum um.

Die Dominanz der beiden Rap-Metropolen war so stark, dass sich die Szene mit zunehmenden Selbstvertrauen von den erfolgreichsten Protagonisten der 95er-Klasse zu emanzipieren versuchte. Angeführt von Frankfurt und Berlin begann der Untergrund, gegen College-Kids, Öko-Rapper und Studenten zu schießen, und die lange an Tupac und den Clan verlorenen Einwandererkinder kamen auch dank Azad, Royalbunker, Aggro und Bushido zurück zum Rap.

Nachdem sich jedoch viele noch nie Rapper gewesene Rapper an den Vätern abgearbeitet hatten, kehrte der Respekt zurück. Nach dem Motto "Mach mich lächerlich, doch sie lächelte: Ehrlich wahr, Mann / Sieh' da, Anna war ein Hip Hop-Fan." Azad holte sich für "Ich Geh' Für Dich" Beats von Max und pries dessen Skills auch indirekt, als er die Fans belehrte, dass grundsätzlich spannend langsam zu rappen ungleich schwieriger sei als schnelles Doubletime-Geflexe. Spannender als Max im Slow Flow gibt es auch zwanzig Jahre später trotz Cloud-Trap-LGoony nicht. Oder, wie es Eko Fresh 2003 in "Deutschrap Strikes Back" rappte:

"Nein, deutscher Hip Hop ist nicht tot / Ich hol' ihn zurück also diss' mich, los / Ich erinner' mich damals an die erste Massive / Dieses Album ist in meinem Herzen geblieben / Und bis heute ist das noch so / Am allermeisten gefiel mir Afrobs Flow / Es war die Neuigkeit, auf Deutsch zu rhymen / Heute ein Meilenstein wie Freundeskreis."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Quadratur Des Kreises
  2. 2. Leg Dein Ohr auf die Schiene der Geschichte
  3. 3. Lasst Mich Nicht Alleine
  4. 4. Enfants Terribles International
  5. 5. Letzten Sonntag Bei Donata
  6. 6. A-N-N-A
  7. 7. Nachtrag
  8. 8. Future Mothers
  9. 9. Vorspiel
  10. 10. Baby, Wenn Ich Down Bin
  11. 11. Cross The Tracks
  12. 12. Wenn der Vorhang Fällt
  13. 13. Zwischenteil
  14. 14. Overseas-Übersee
  15. 15. Cassandra & Christina
  16. 16. Telefonterror
  17. 17. Im Land Der 1210er
  18. 18. Enfants Terribles '96
  19. 19. Easy At Last (Outro)

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17 Kommentare mit 52 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    Das wichtigste hat Herr Johannesberg vergessen. Dabei habe ich ihn extra darauf aufmerksam gemacht! Das Cover ist der einzige Beweis, dass es für ein halbes Jahr die überaus leckeren Kellog's Chocos & Whities gab. Deutlich rechts oben im Bild zu sehen. Hach, habe ich die gemocht. Die Musik auf dem Album wurde hingegen schneller wabbelig als ein Cornflake der mit Milch in Kontakt gerät.

  • Vor 8 Jahren

    "Maximi-Maxima-Maxi-Max gehört locker zu den Top Ten - ach was, Top fünf! - der besten deutschen Rapper aller Zeiten"

    Shitstorm incoming! :D

    Wichtige Crew, wichtiges Album, tolle Zeit!

  • Vor 8 Jahren

    Schöner Text, Stefan, und aufgrund des Einflusses wohl auch ein verdienter Meilenstein im Bereich Deutschrap. Für mich aber, der ich das Album ohnehin erst annähernd ein Jahrzehnt später gehört habe, ist das Teil nicht gerade gut gealtert. Da spricht mich - wenn es überhaupt etwas aus der Ecke sein soll :D - schon eher der Nachfolger an.

    Was Maxens Qualitäten als MC angeht, neige ich schon aufgrund seiner Schnarchnasen-Delivery aber auch eher dazu, dem Intro-Kollegen zuzustimmen... Der Vergleich mit Black Thought ist ja wohl sehr gewagt! :D

    "In einem nicht mehr auffindbaren Interview aus den 90ern bezeichnete sich Max bereits als Hookmaster à la Method Man. Die Leute kämen immer zu ihm, wenn sie einen coolen Refrain bräuchten. Die Gene der als Sängerin arbeitenden Mutter helfen anscheinend."

    Ha! Also haben Flizzy und Max doch etwas gemeinsam. Nur dass es bei Fler nicht eine singende Mutter war, die ihn zum Meister der Hooks und des Timings gemacht hat, sondern schlicht der Fakt, dass er als Quasi-Schwarzer auch eher vom Soul kommt, die übrigen deutschen Rapper dagegen vom Schlager.

    • Vor 8 Jahren

      Hihihi, Slow Flow auf deutsch Schnarchnasen Delivery :-)

    • Vor 8 Jahren

      Wenn Speedi mal wieder Verstopfung hat und sich quälend langsam die Wurst aus dem Arsch presst, ist das ein geilerer Slow Flow als der von Max Herre.

    • Vor 8 Jahren

      Ich glaube, bei Max ist es einfach diese etwas verlotterte Studenten-Müsli-Attitüde, die mich davon abhält, seinen "Slow Flow" zu genießen. Es fehlt einfach an... Coolness. :D Wirkt einfach eher schnarchig auf mich. Eigentlich schade, denn da stecken ja musikalisch und textlich durchaus gute Ideen dahinter.