laut.de-Kritik
Sie kann Hustler genau so wie Herzschmerz.
Review von Kay SchierIn einem Deutschrap-Märchen wäre Haiyti die unerschrockene Prinzessin, die auf das Krönchen scheißt und sich mit dem Gesocks rumtreibt, aber trotzdem auf falsche Fingernägel steht und das Volk im Club an ihren Status erinnert. SXTN sind die garstigen Stiefschwestern, Haftbefehl und die Azzlacks ein Crossover aus Räuber Hotzenplotz und der Wilden 13, Farid Bang samt Banger Musik die Ritter von der traurigen Gestalt. Sido ist der leicht senile, kauzige Eremit vom Berge, Bushido der böse Zauberer, Kollegah der größenwahnsinnige Fitnesstrainer des Königs, Ufo361 der Hofnarr und Capital Bra der allseits beliebte Dorftrottel; Blokkmonsta ist das Blokkmonsta, Prezident erschreckt die Kinder des Königreichs mit schwierigen Wörtern und von Money Boy weiß immer noch niemand so genau, was er eigentlich sein soll.
Von Haiytis märchenhaften Aufstieg kann man leider immer noch nicht mit Überzeugung schreiben, denn gefühlt bekam vor allem "Montenegro Zero" lange nicht den Hak, den es verdient hat. Brillanter hatten Kitschkrieg (mit Ausnahme von #diy) noch nicht produziert, Haiyti brachte ihre eigenwillige Verschmelzung von Trap und naivem Pop zielstrebig auf den Punkt. Die Bühnen reißt sie zwar ab, wie sie will, aber im Märchen, genauso wie in einer gerechten Welt, müssten die viel größer sein.
Für ihre Kunst braucht sie aber weder Major noch große Hallen: Das "ATM"-Mixtape hält das Niveau ihrer anderen Veröffentlichungen in diesem rohen Schnellschussformat spielend. Sie ist auch fast die Einzige in Deutschland, bei der man das Gefühl bekommt, dass sie den Unterschied zwischen Mixtape und Album versteht (ohne dass ich den selber so ganz begriffen hätte). Die Beats sind nicht bis ins letzte Kitschkrieg-Edelsounddetail ausproduziert. Musikalisch bewegen wir uns zwischen Atlanta-Hood-Sound ("Baeblade") und Spring Break-Trap ("Homezone"), mit einem kurzen Abstecher nach Süden Richtung Dancehall, in der Haiyti auf Patois rappt ("Badgirl"). Die Beats stammen hörbar von Routiniers, die wissen, was sie da trapmäßig tun, ohne zu routiniert zu klingen.
Das gleiche gilt für Haiytis Vocalperformance: "Warte bis es hittet / es dauert nur ne Kippe / und 'n bisschen was zu sippen" ("Baeblade") gibt einem eine gute Vorstellung davon, wie im Hause Haiyti die textliche Inspiration stattfindet. Ähnlich locker aus der Hüfte geballerte lyrische Perlen wie "Militär / Haiyti ist Airforce / Koffertausch / Transfer auf dem Airport" oder "zu viel Hustensaft / kann nicht mehr husten" finden sich in fast jedem Track. Ein genrespezifisch schmaler Grat ist es, auf dem sie mit ihrer Lyrik tanzt, zwischen zu viel, zu verkopft einerseits und nicht zu beschönigendem Schwachsinn andererseits. Ersterem ist sie ohnehin nicht verdächtig, und den Unterschied zwischen sich selbst und Letzterem demonstriert sie mit dem Fruchtmax-Feature auf "Milliardärslounge".
Dauergast Joey Bargeld ist ebenfalls wieder vertreten und nervt mal mehr ("Hardbreak"), mal weniger ("So Special"). Newcomer JACE bringt die "Ich trage einen Buckethead und rappe nicht so gut"-Nummer auf "Avanti" noch am elegantesten über die Bühne. Dickes Shoutout wiederum an den Homie GPC, der sich mit ungeschliffener Gangster-Dada-Lyrik à la "Gib mir den Rolls-Royce im 10er Pack / Fahren in Kolonne durch die ganze Stadt / Uninteressant wer keine Hater hat / Und wenn sie kommen brauchst du Uzis im 10er Pack" ("10er Pack" feat. GPC) unangreifbar macht. Der Hate ist da natürlich legitim, wenn er auch an der Sache vorbei geht.
Haiyti kann bekanntlich aber nicht nur Gangster und Hustler, sondern vorallem auch Herzschmerz. "Flammen um mein Herz nenn mich Glurak / ich weiß du bist keiner von den Losern / es ist vorbei bevor es anfing wie bei Tupac", und man weiß einfach, was gemeint ist, ohne dass das einer Erklärung bedarf. Von der Kiezprinzessin mit Schlagring in der Guccitasche bis zur naiv-entschieden Verliebten, "süßeste Küsse im Parkhaus / bin hart drauf / in nem Love-Rausch" ist es nie weiter als einen Track entfernt.
Ist in der Tat alles nichts, was man nicht schon auf älteren Releases geboten bekommen hätte. Was das "ATM"-Mixtape so überzeugend macht, ist aber, dass man zu keiner Sekunde das Gefühl hat, dass die Künstlerin eine Checkliste abarbeitet. Bei Haiyti werden einem keine Fußballernamen und Modemarken an den Kopf geworfen, weil das eben grad ankommt bei der Dorfjugend. Stattdessen hat sie eine klare Vorstellung von ihrer Ästhetik und wo sie damit hin will. In all ihrer Künstlichkeit hat sie diese Authentizität, die sich nicht kopieren lässt.
Kann man immer noch alles blöd finden. Wenn man das, was sie tut, aber toll findet, ist das mal wieder ein astreines Release für den Sommer wie für den Herbst, für den Club wie für emotionale Gespräche im Club. Wenn man Haiyti toll findet heißt, wenn man sich an das Gewöhnungsbedürftige gewöhnt hat, und das ist so ziemlich alles an ihr. Wenn man mag, wie sie krächzt, schreit, ignorant spittet, säuselt, singsangt, meist autogetunt, was die Brüche in ihrer Stimme nicht kaschiert, sondern bewusst verstärkt, bietet einem das "ATM"-Mixtape alles, was man sich wünscht. Dreizehn schnörkellose, überwiegend rohe Hits in amerikanischer Mixtapetradition. Immer noch einzigartig, immer noch unterbewertet, immer noch Haiyti.
12 Kommentare
Klingt so, als ob jemand unter Wasser hustet.
gpc feature= Instant 4/5 Punkte (ungehört)
Hab bis jetzt nur irgebdwo Homezone gehört und empfand es als furchtbare Grütze. Rest gebe ich mir evtl noch.
Es gibt Alben die sind gut aber anstrengend beim hören (Maeckes, Jaw, Timi Hendrix) und es gibt Alben die sind einfach nur anstrengend...
Das Album anfang des Jahres war eig. hörenswert. Mixtape noch nicht durchgehört.
Stabiles Mixtape. Avanti istn peitschender Trapbanger. Gut durchhörbar.