laut.de-Kritik

Des Quatsche(n)s müde?

Review von

Max Dax stellt in seinem am 17. Dezember in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Interview mit Helge Schneider eine naheliegende Frage: "Wie dürfen wir uns die anstehenden Konzerte vorstellen?" Die singende Herrentorte antwortet nicht – das hätte auch niemand erwartet – mit Promogeschwätz, sondern mit folgendem Satz: "Ich weiß bisher nur, dass ich mittlerweile mal die Worte weglasse und versuche, einfach nur mit Musik und Motorik meine Kunst zu vermitteln." Leider hakt Dax nicht nach, fragt nicht, warum Schneider sich auf den Bühnen wortkarger geben möchte als in den Jahrzehnten zuvor. Denn bereits auf den Konzerten im Sommer 2023 gewann man als langjähriger Beobachter des schneiderschen Schaffens den Eindruck, auf den Bühnen jemanden zu sehen, der mit seinem Image als quasi auf Knopfdruck agierender Quatschmacher ein wenig hadert. Das gilt auch für den Auftritt am 12. August, in Auszügen verewigt auf "Live In Graz".

Der Maestro klimpert auf dem Vibraphon bei "Gartenzaun", bezeichnet Graz als "eine der schönsten Städte", verabschiedet sich mit einem "Das war's schon!", um dann den schnellen Rückzug vom schnellen Rückzug anzutreten: "Aber wir machen trotzdem weiter, war nur Quatsch!" Helge eben, wie man ihn liebt oder hasst, schätzt oder geringschätzt. "Wir" – und das kommt in Helge-Schneider-Rezensionen traditionell zu kurz – sind Sandro Giampietro an der Gitarre, Reinhard Glöder am Kontrabass und Willy Ketzer am Schlagzeug, echte Könner an ihren Instrumenten.

Weiter geht es mit "Texas", dem Titelsong aus Schneiders gleichnamigem Trashfilmklassiker. "Für Jazzfreunde", wie der Tausendsassa betont, werden zwei wenige Sekunden lange, loungig-jazzige Interludes eingeflochten, in denen Willy Ketzer an den Drums glänzt. Im Outro haut Schneider in die Tasten, um "Für Elise", den "Ententanz" und "Yesterday" anzuspielen – ein, um es mit seinen eigenen Worten zu formulieren, "Medley von mir, von meinen berühmtesten Liedern". Ja, das ist immer noch recht amüsant, trotz der Tatsache, dass dieser Gag bereits auf vorherigen Touren zum Standardrepertoire gehörte.

Mit "L.O.T.C." folgt der erste von vier Songs aus Schneiders aktuellem Studioopus "Torero" – das einzige humoristische Highlight des Livealbums, gleichzeitig das erste einiger musikalischer Highlights. Sandro Giampietro sorgt mit seiner grazilen Saitenarbeit für das richtige Ambiente. Es ist Zeit für Ruhrpottromantik! Die Initialen "L.O.T.C." stehen nämlich für Love On The Couch. Helge Schneider schlüpft in die Rolle eines liebestrunkenen Mannes: "Du und ich / Auf de elterliche Couch / Ganz allein." Die Bläser aus der Studioversion sind dankenswerterweise verschwunden, das Genuschel des offensichtlich im wörtlichen Sinne zahnlosen lyrischen Ichs jedoch nicht. Schneiders Alter Ego und seine Angebetete verschwinden unter der von Tante Erna "im Volkshochschulkursus" gestrickten Decke. Das würdigen Sandro Giampietro mit einem zweiminütigen Gitarrensolo und Helge Schneider mit einem Klavieroutro. Hier gehen erstklassig gespielte Musik und gelungener Humor Hand in Hand. Klasse!

Nach dem instrumentalen (und im Vergleich zur Studioversion auf "Heart Attack No. 1" aufgrund einer anderen Instrumentierung kaum wiederzuerkennenden) "My Baby Left Me" mit sehr stilvollem Saxophoneinsatz gibt Schneider den Crowdpleaser – leider. Der Mülheimer scheint seiner Klassiker "Telefonmann" und – natürlich! – "Katzeklo" überdrüssig zu sein, spielt sie aber dennoch. Ohne die Anrufbeantworter-Nachahmung des Saxophons, auf früheren Tourneen gespielt von Meistern wie Tyree Glenn jr. oder Scott Hamilton, wirkt der Live-"Telefonmann" unfertig. Die textlichen Improvisationen wirken insbesondere im "Katzeklo" erzwungen, Schneiders Bemühungen, das Publikum zum Mitsingen zu animieren, müde. In vergleichsweise kurzen Momenten hinterlässt Schneider den Eindruck eines lustlosen Dienstleisters. Da rettet auch Volker Bertzky alias Sergej Gleithmann wenig, der zwischendurch an seiner "vergoldeten Geige" kratzt – und Katzenjammer gekonnt (un)musikalisch umsetzt.

Anschließend verlagert sich der Fokus des Livealbums auf die Songs des aktuellen Studioalbums "Torero". Zum Glück! In "Horses" setzt Schneider seine Trompete sehr geschmackvoll ein und lässt uns unironisch gen Prärie träumen. Beim ersten Hören befürchtet man selbst als Kenner der instrumentalen Studioversion minutenlang, dass Schneider die melancholische Spätwestern-Stimmung bald mit lyrischen Albernheiten konterkariert respektive zerstört. Allein: Er tut es nicht. Bis auf ein schneidersches gedehntes A kann man fünf Minuten lang die äußerst hörenswerte Musik genießen. Zwischendurch ertappt man sich bei der Überlegung, von welchem Künstler Schneider die großartige Instrumentalnummer entliehen haben könnte. Des Rätsels Lösung: Von niemanden. Es handelt sich um eine Eigenkomposition. Der alberne Helge bewies einmal mehr, dass er ein hervorragender Songwriter ist.

Auch der Latin Jazz in "American Bypass" überzeugt musikalisch. In humoristischer Hinsicht geht es einmal mehr schneideresk zu: Das lyrische Ich – offenbar Howard Carpendale – verguckt sich am Strand, will "zeigen, was [es] kann", zieht sich aus und springt ins Meer. Schneider setzt mit dem Gesang früher ein als in der Studioversion. So kann die Band länger glänzen. Insbesondere Sandro Giampietros einminütiges Gitarrensolo gefällt.

Nach dem ebenfalls überzeugenden "Night In Tunisia", einem Dizzy-Gillespie-Cover, endet das Livealbum mit "She's Gone". Das Intro mit Piano und Mundharmonika lässt Uneingeweihte vermuten, dass Schneider sein Album mit einem vierten textfreien Stück beendet. Doch nach knapp einer Minute setzt der Gesang ein, diesmal offensichtlich durch Herbert Grönemeyer inspiriert. Die herzzerreißende (*räusper*) Geschichte der Trennung eines trinkfreudigen Mannes und einer bierkastenkaufenden Frau wird erzählt, wie sie sich sowohl in Mülheim an der Ruhr als auch in einer anderen Stadt im Pott, die bekanntlich ebenfalls keine Schönheit ist, zugetragen haben könnte – die Geschichte der Trennung von Sohn und Mutter, wie Schneider mit einem unerwarteten Plottwist enthüllt.

Auffällig: Die vier Songs des aktuellen Studioalbums, die es auf "Live In Graz" geschafft haben, stechen positiv hervor. Überraschend: Der Meister der Albernheit überzeugt auf dem Album vor allem musikalisch, weniger humoristisch. Platz für mehr Albernheit hätte nicht nur die Speicherkapazität der CD hergegeben, sondern auch das Konzert in der Landeshauptstadt der Steiermark. Doch nicht nur Schneiders legendäre Erzählungen zwischen den Songs wurden – man behalte seine eingangs zitierte Aussage im Interview mit Max Dax im Hinterkopf – für das Livealbum konsequent entfernt. Auch Klassiker des gepflegten Quatsches wie "100.000 Rosen" wurden nicht verewigt. Sollten sie in Graz ähnlich unmotiviert vorgetragen worden sein wie der größte Hit der Komikerlegende, ist es nicht schade drum.

"Live In Graz" legt Zeugnis davon ab, dass der singenden Herrentorte der Spagat zwischen gelungenem Humor und gelungener Musik nicht mehr so gelingt wie in früheren Tagen. Zu oft hat man das Gefühl, die Albernheit sei nur noch um der Albernheit willen da. Die Musik aber ist besser als je zuvor. Lieber Herr Schneider: Lassen Sie die Worte zukünftig noch häufiger weg!

Trackliste

  1. 1. Gartenzaun
  2. 2. Texas
  3. 3. L.O.T.C.
  4. 4. My Baby Left Me
  5. 5. Telefonmann
  6. 6. Katzeklo
  7. 7. Horses
  8. 8. American Bypass
  9. 9. Night In Tunisia
  10. 10. She's Gone

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4 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Der deutsche Snoop Dog, nur musikalischer.

  • Vor einem Jahr

    War vor einem Jahr bei einem Auftriff und hatte den gleichen Eindruck. Musikalisch einwandfrei wie immer, aber gerade die alten Gassenhauer könnte er sich mittlerweile klemmen, die kriegt er auch mit seinem Improvisationstalent nicht mehr frisch gehalten. Vielleicht würde ihm irgendein abseitiges Nebenprojekt gut tun, bei dem niemand den absurden und klamaukigen Helge erwarten würde. Generell bleibt er natürlich trotzdem eine Oase in der deutschen Musiklandschaft.

  • Vor einem Jahr

    "Zu oft hat man das Gefühl, die Albernheit sei nur noch um der Albernheit willen da." - Okay, wozu war die denn in der Vergangenheit da?
    Ansonsten find ich die Rezension gut, würde aber dennoch 5 Punkte für das Werk vergeben. Wenn manche Dinge nicht mehr so gut funktionieren, konzentriert man sich halt mehr auf seine Stärken, ohne sich zu verstecken. Mit gefällt, wie er das macht. "Ring the bells that still can ring", fällt mir da ein...

    • Vor einem Jahr

      Danke für das Feedback! Früher war die Albernheit essentieller Bestandteil des Gesamtkunstwerks, zudem noch neu/anarchisch, damals hätte niemand in dieser Fülle (fast) rein instrumentale Stücke wie "My Baby Left Me" oder "Horses" auf einem Helge-Schneider-Konzert erwartet.

      Eine Formulierung wie "Albernheit der Publikumserwartungshaltung wegen" wäre tatsächlich deutlicher gewesen, klang in meinen Ohren beim Schreiben aber zu angestrengt/albern. ;-)

    • Vor einem Jahr

      Seht, es ist Meisenmann! Und sein wohlgefiederter Sidekick, Eichelhäherboy!

    • Vor einem Jahr

      Du findest also, wenn er die mittlerweile z.T. erzwungene Albernheit weglassen würde, wäre das Gesamtpaket besser? Denke ich auch. Aber Herrn Schneider dient ja seine Kunst immer noch auch zum Broterwerb, daher schielt er wohl auch etwas auf die Publikumserwartungshaltung (schönes Wort...) Alberner Helge!
      Zur Bewertung: Wer sich "Meisenmann" nennt, hat von Helge Schneider wohl auch schon ein paar andere Sachen gehört und muss die Veröffentlichung in Bezug zum Gesamtwerk setzen. Da wäre es unfair dem "früheren" Helge gegenüber, hier volle Punktzahl zu vergeben. Ich bin nur in so einem Fall kein Fan von "Aufhören, wenn's am schönsten ist", er soll bitte weiter veröffentlichen, so lange er noch Ideen hat!

  • Vor einem Jahr

    Schon witzig... jede Schlagerplatte wird hier (von vornherein schon) verrissen, aber eine Platte von Helge Schneider kriegt 3 Sterne. DAS ist Qualitätsjournalismus !

    • Vor einem Jahr

      Wieso soll eine Platte von Helge Schneider NICHT drei Sterne bekommen?
      Schlager ist eben zu großen Teile einfach schlechte Musik. Dass da alle Veröffentlichungen verrissen werden, stimmt aber auch nicht.

    • Vor einem Jahr

      Wenn Helge wollte, könnte er ein Ben-Zucker-Album an 3 Nachmittagen hinscheißen.

    • Vor 11 Monaten

      Dieser Kommentar wurde vor 11 Monaten durch den Autor entfernt.

    • Vor 11 Monaten

      Dudebro, das könnte das verunglückteste Kompliment des Jahres sein. Wenn du so bei Sexanbahnungen vorgehst wirst du wohl ungefickt sterben müssen.

    • Vor 11 Monaten

      Kann guten Gewissens berichten, bereits gefickt zu haben. Danke der Sorge um meine Person!

    • Vor 11 Monaten

      Helge in den Schlagerbereich zu stecken ist..... gewagt.

    • Vor 11 Monaten

      Das hat hier glaube ich keiner getan, mein Post war wohl etwas missverständlich.
      Ich habe mich auf den Ausgangspost bezogen, der impliziert, Schlager sei ja wohl besser als Helge Schneiders Musik.
      Daraufhin wollte ich ausdrücken, dass Schlagerplatten größtenteils zu Recht schlecht bewertet werden, während das besprochene Helge Schneider - Album sehr wohl (mindestens!) drei Sterne verdient hat.

      Bearbeiten kann man hier ja leider nix, ich hoffe, es ist jetzt klar, was ich sagen wollte...