laut.de-Kritik

Der Mythos wird niemals sterben.

Review von

Schon vor einigen Monaten spielte ich mit dem Gedanken, eine Meilenstein-Review zu "Soziopath" zu schreiben. Dieses Vorhaben bringt aber auch die Verantwortung mit sich, die extrem provokanten und jede Grenze des guten Geschmacks sprengenden Texte nicht unkommentiert zu lassen und in den heutigen Kontext einzuordnen. Abgeschreckt von dieser Herausforderung, entschied ich mich dazu, das Projekt erst einmal auf Eis zu parken. Nach Hollywood Hanks plötzlichem Tod war mir aber sofort klar, dass meine ad acta gelegte Idee wohl doch realisiert werden muss. Für Hank, sein Vermächtnis und meinen Seelenfrieden.

Im Oktober 2019, ich war frische 15, hörte ich auf Empfehlung meines damals noch Rap-affinen Kumpels Robin hin das erste Mal "Soziopath". Ich hatte, heute unvorstellbar, kaum etwas mit Hip Hop am Hut und mich mehr für Manga, Anime und Splatter-Filme interessiert. Letzteres gab vermutlich auch den Ausschlag dafür, dass es bei Hanks Musik Klick machte.

Als Jugendlicher stand ich deutschem Rap relativ vorurteilsbehaftet gegenüber. Ich selbst wohne zwar seit jeher in einem idyllischen Dorf nahe Köln, ging aber auf eine einige Kilometer weit entfernte Gesamtschule in einem Problemviertel. Als Nerd von außerhalb war man auf dem Pausenhof ein leichtes Opfer, und auch wenn ich nicht von Mobbing sprechen würde, so gehörte ich zumindest nie richtig dazu. Vorrangig pumpten die anderen Kids die 187 Strassenbande, Capital Bra oder KMN Gang. Mein Bild von Hip Hop prägte deutscher Gangsterrap von Mitte der 2010er Jahre. Als Außenseiter, dem es nicht möglich war, sich seiner Umgebung anzupassen, lehnte ich diese "Proleten-Mucke" aus Prinzip ab.

Als ich dann aber zum ersten Mal "Kinderliebe (Skit)" gehört habe, änderte sich mein Verhältnis zu Rap für immer. Ich blieb nicht nur ziemlich verstört zurück, sondern auch fasziniert und zu Tränen gerührt von der Eindringlichkeit der Lyrics und dem bei mir Gänsehaut auslösenden Beat. Der schiefe Synthesizer, der sich am ehesten mit einem Tinnitus vergleichen lässt, der an Kirchenmusik erinnernde Frauengesang und das Glockenspiel im Instrumental spiegeln die Angst und Naivität in Hanks Vortrag perfekt wider. Die einfach vom Kinderlied "Lalelu" gerippte Hook rundet dieses grausame Meisterwerk ab und macht es zu einem schmerzhaften und einzigartigen Hörerlebnis. Man kann dem Track vorwerfen, inhaltlich nicht über seinen Schockeffekt hinauszugehen. Einen solch atmosphärischen und schockierenden Song zu schreiben, ist dennoch eine hohe Kunst.

In den darauffolgenden Wochen war Hollywood Hanks "Soziopath" mein stetiger Begleiter. Ich fand an immer mehr Tracks Gefallen, gerade die immer mit dem Zusatz "(Skit)" versehenen Storyteller hatten es mir angetan. "Die Hoffnung stirbt zuletzt (Skit)" mit seinem ikonischen Geigen-Sample und den drei Sechzehnern, die alle mit dem Ableben des jeweiligen Protagonisten enden, beeindruckten mich schwer. Gerade den zweiten Part von Donjohn mochte ich sehr. Er handelt von einem gehänselten Jungen, der sich in Form eines Amoklaufs an seinen Peinigern rächt und anschließend Suizid begeht: "Halt' mir die Waffe an 'n Kopf, spür' den Lauf an der Schläfe / Dachte nur noch an mein' Vater und sah in seinen Augen die Tränen." Vielleicht lag es daran, dass ich mich damit identifizieren konnte. Versteht mich nicht falsch: Ich verspürte nie die Motivation zu solch einer Tat, aber das Szenario erschien greifbar, und ich war ein Edgelord.

"Soziopath" war mehr als nur mein Lieblings-Album, es war Protest. Wer eine LP mit einem solchen Cover hört, kann nur ein Creep sein, und das Zitieren einer x-beliebigen Line reichte aus, damit dein Crush nie wieder ein Wort mit dir wechselte. Zeilen wie "Ich fick' deine behinderte Freundin und zeig' dir, wie man Tiere quält" sind halt schon verdammt lustig, aber auch ziemlich krank.

"Soziopath" ist Musik, die man nur hört, wenn man alleine ist, und das war ich sehr häufig. Die Tracks halfen mir, mich von meinem Umfeld abzugrenzen und mich dabei noch cool zu fühlen.

Die größte Stärke von "Soziopath" liegt in seinem besonderem Vibe. Das Album umgibt eine magische Aura, ähnlich wie das "Star Wars"-Franchise oder "Super Mario 64", nur in pervers. Diese Aussage mag zwar sehr subjektiv klingen, man liest sie aber immer wieder in den YouTube-Kommentaren unter den unzähligen Uploads von Hank Songs. Ich glaube, es liegt daran, dass diese Werke allesamt so revolutionär und für sich alleinstehend sind, dass sie für viele Menschen die Sichtweise auf ein komplettes Medium prägten.

Doch erst in den letzten zwei bis drei Jahren, mit zunehmender Expertise, fiel mir auf, wie viele Schwächen dieses Album doch hat. Gerade den Representer-Tracks fehlt es an Punchlines. Der Witz geht zu selten über die Provokation hinaus. Dass "Soziopath" durchgehend sehr gut gereimt und geflowt ist, wenn auch nicht so überragend wie oft dargestellt, tröstet da nur ein wenig. Außerdem quetscht Hank ständig zu viele Silben in eine Zeile, muss dann auf 90BPM doubletimen, trifft den Takt nicht, und der Hörer versteht kein Wort.

Bis auf die JAW-Parts sind auch die meisten Features hart scheiße. "Eastside Representer" birgt zwei der schlechtesten Strophen, die ich jemals gehört habe. Porta One und Rikz heißen die beiden Männer, die Wackness hier neu definieren. Etwas soooooo Schlechtes habt ihr noch nicht gehört, ich zitiere einfach mal ein paar Zeilen:

"Ich zerteile deine Rhyme-Scheiße / Schmeiße Steine aus Langweile" - Was?

"Denn Hip Hop inszeniert von Wack MCs fasziniert" - Ja, stimmt, ich bin fasziniert!

"N*gga, ihr steht dumm nebeneinander wie auf den Feldern Kälber" - WAS ZUM FICK?!

"Eastside Representer, grobe Flowmethode, N*gga, oben ohne" - Ich kann das alles nicht mehr ... und das war nur der Part von Rikz. Der von Porta One ist so endlos dumm, dass ich auch einfach den ganzen Sechzehner hätte reinkopieren können. Ich rate jedem, sich "Eastside Representer" mal zu geben.

Ich habe jetzt viel Negatives aufgezählt, die positiven Aspekte und kreativen Einfälle überwiegen aber bei weitem. Da gäbe es zu einem den superunterhaltsamen Themen-Song "Rechts vor Links", in dem Hank von seinen Fahrkünsten rappt, die überraschend eingängigen englischen Hooks auf "HIV Prototyp" und dem Titeltrack, die selbstgebauten, zwar trashigen, aber sehr charmanten Beats und vieles mehr. Vor allem Hanks angenehme Stimmfarbe trägt das Album. Die Kombination aus seiner Stimme und seinen Texten und Flows lassen ihn manchmal wie einen noch gestörteren Deadpool wirken. Die Person Hollywood Hank erscheint trotz unerreichter Edginess cool, nie cringe.

Ich muss noch etwas zu den in jeder erdenklichen Form politisch inkorrekten Texten sagen: Ja, die Texte sind in wirklich jeder erdenklichen Form inkorrekt. ABER! Hank stellt sich immer als Geisteskranken dar, dessen Verhalten höchst verwerflich und außerdem so realitätsfern ist, das ich es für abwegig halte, dass sich jemand diese Kunstfigur zum Vorbild nehmen könnte. Wer sich mit Hanks späteren Werk auseinandersetzt, weiß auch, dass die Texte von "Soziopath" in keinster Weise seine Meinung widerspiegeln.

Später fand ich über Hank zu Favorite, über Fav zu Kollegah und dann zum ganzen Selfmade-Camp, zu einer Zeit in der die 257ers und Karate Andi die letzten dort gesignten Künstler waren. Doch für mich liefert das nur den Beweis dafür, dass "Soziopath" auch da noch einen Teenager derart zu begeistern vermochte, dass er anschließend nur noch beschissene Musik hört. (Ich hatte "HRNSHN" auf Dauerschleife).

Noch zu Lebzeiten rankten sich zahlreiche Theorien rund um Hollywood Hank. Es gab immer wieder Gerüchte über sein angebliches Ableben, dann sollte er doch wieder lebendig, aber im Gefängnis sein, sich ins Ausland abgesetzt haben oder an neuer Musik arbeiten. Seit dem Bak Ta Ehli-Projekt von 2014 bis zu seinem inzwischen von der Familie bestätigen Tod gab es so gut wie keine offiziellen Informationen über oder von Sven Pingel.

Was die Musik von Hollywood Hank für mich am interessantesten machte, war der Mythos um den Artist selbst, und der wird niemals sterben. Ruhe in Frieden, G.O.A.T.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Vorwort
  2. 2. Introvertiert
  3. 3. Nur die Liebe zählt
  4. 4. Liebe & Romantik
  5. 5. Feinschmecker (Skit)
  6. 6. HIV Prototyp
  7. 7. Ostdeutschland
  8. 8. Eastside Representer
  9. 9. Hart aber Herzlos
  10. 10. Die Hoffnung stirbt zuletzt (Skit)
  11. 11. Sex, Drugs and Rock'n'Roll
  12. 12. Soziopath
  13. 13. Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
  14. 14. Kinderliebe (Skit)
  15. 15. Schöner Wohnen
  16. 16. Volles Programm
  17. 17. Tod der Scheidung (Skit)
  18. 18. Gott, schenk ihnen Flügel
  19. 19. Discovery Channel
  20. 20. Internetstars (Skit)
  21. 21. Rechts vor Links
  22. 22. Deepthroating & Peitsche
  23. 23. Das Urteil

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Hollywood Hank

Drogen, Gewalt und Knast: Im Leben des Horrorcore-Rappers Sven Pingel alias Hollywood Hank geht es alles andere als geschmeidig zu. Derbe Punchlines, …

9 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Wann kommt eigentlich die Meilenstein-Rezi? Einzigartig in der Deutschrap-Historie.

  • Vor 9 Monaten

    Auch für mich ein absoluter Deutschrap Meilenstein.

  • Vor 9 Monaten

    Gute Review, dennoch finde ich das hank immer noch zu sehr darauf reduziert wird nur Randgruppen anzusprechen. Zumindest in meiner gegen kenn ich ne Menge Leute die Hanks Musik hören. Gerade Leute aus der Memphis und Trap Szene. Für mich ist Soziopath das deutsche Gegenstück zu Mystic Stylez. Ja, es ist kein Memphis Album aber inhaltlich Kratzen beide Alben ähnlich an der Grenze des guten Geschmacks, beide Alben teilen sich ähnlich wacke Features usw. Mystic Stylez wird ja dennoch von jedem als Cool angesehen. Bei Soziopath ist das meiner Meinung nach ähnlich. Das Album klingt trotz der weirden Texte dope und ist heute noch ähnlich gut hörbar. Die Bushido, Sido oder Favorite Tracks von damals dagegen kann man sich heute nicht mehr antun. Finde hank sticht aus seinem Umfeld neben Künstlern wie Jaw und Favorite auch einfach raus. Er hat im Gegensatz zu den beiden einfach ne freshe Performance und klingt nicht so akward wie die. Favorite könnte ich mir heutzutage nicht mehr geben und Jaw fand ich schon damals wack af. Hank ist der einzige dieser Ära der auch heute noch fasziniert, auch wenn sich mein Geschmack geändert hat.

    • Vor 9 Monaten

      Gehirn im Mixer und Schock fürs Leben von JAW sind zwei legendäre Deutschrapalben, die haben wir wochenlang im Freundeskreis rauf und runter gepumpt. Hank ist/ war sicherlich der Rapper mit dem genialen Flow und der brachialen Stimme, aber JAW kann auch rappen und hat sich textlich und albumkompositorisch einen ganz eigenen Kosmos erschaffen. Er ist einer der wenigen Rapper, der oftmals selbstreflexive und selbstkritische Elemente in den Mittelpunkt gestellt hat, verbunden mit einem tiefschwarzen Humor, einer Weltverachtung, listigen Beobachtungen und einer feinen bis schmerzhaften Manifestierung von eigenen Gefühlen in seiner Kunst.

    • Vor 9 Monaten

      Alles richtig. Mir persönlich hat seine Musik dennoch nie viel gegeben. Flowtechnisch für damalige Verhältnisse definitiv mehr als solide, aber hatte wie gesagt nicht unbedingt nicht die beste Stimme für Rap. Lyrisch hatte eher definitiv was drauf. Aber sehe da auch Favorite weit vorne. Hanks lyrik war bis auf paar punchlines auch häufig ziemlich zweckreimlastig. Hat mich aber nie so gestört. Jaw war mir lyrisch aber schon immer zu verkopft. Für mich ist er einfach nicht dieser große Lyriker. Wenn ich ihn mit anderen im drap vergleiche die das einfach im Blut haben. Auf den deepen cuts hat er immer noch ganz gut funktioniert aber fand vieles von ihm einfach zu weird/krank und verschroben, ohne die gewisse dopeness bei zu behalten. Mag für deepe Tracks nicht wirklich wichtig sein aber gerade auf dem Tape mit hank im battle Modus fand ich ihn unfassbar wack. Finde das liegt ihm einfach gar nicht. Keine Ahnung, mir war seine Musik immer zu radikal, kaputt und crazy um noch wirklich damit zu connecten. Möchte nicht die Gedankengänge haben die jotta hat.. klar hank und fav waren auch abgefuckt und so aber immer auf Rap Ebene mit Humor.

  • Vor 9 Monaten

    Was für eine schlecht geschriebene Kritik. Wirkt wie schnell hingeklatscht. Auf das Album gar nicht wirklich eingegangen. Dann wasch dir die Ohren, wenn du den Doubletime nicht verstehst. Das ganze liest sich nicht wirklich wie einer Kritik zu einen Album was 5 Sterne hat (vollkommen verdient) nur bringt der Autor kein Stück rüber wieso die 5 Sterne. Dann noch Wörter wie "Crush" "Cringe" in einer Soziopath Kritik ist wirklich etwas zum Fremdschämen. "Die Person Hollywood Hank erscheint trotz unerreichter Edginess cool, nie cringe." Ahja.

    Das Album hat so eine schlechte Meilenstein review nicht verdient, denn sie nimmt wenig Bezug zum Album, die Beats hat Hank übrigens alle selbst produziert bis auf einen. Könnte noch auf einiges eingehen aber Ich belasse es dabei. Bleibt nur zu sagen Ruhe in Frieden Sven, danke für deine Kunst und dem Meisterwerk Soziopath.

    Übrigens auch ein Meisterwerk ist der Track "History X Stromausfall 3000 8000 Bars" Der 11 minütige Track heißt so ähnlich, kann mir den sperrigen Namen nie merken. Gänsehaut Track

  • Vor 9 Monaten

    Ich finde auch, dass die Review nur unzureichend beschreibt, wodurch das Album so besonders ist bzw. inwiefern sich Hank damit von allen Wegbereitern und Epigionen abgrenzt.

    Vielleicht zuerst die Produktion, die so unverschnörkelt, trashig und gleichzeitig funktional ist, dass sie immer noch taugt; was ich höchstens über eine handvoll Deutschrapalben aus den Nullern sagen kann.
    Darüber rappt der Kerl dann technisch überlegen, ohne dass es nach SavasBanjoKolletechnikgewichse klingt und hat einfach bessere Punches als alle anderen. Natürlich war der Edgynessfaktor für mich als jugendlicher entscheidend, heute würde ich aber sagen, dass die Nonchalance mit der einem dieses Potpourrie aus perversem serviert wurde noch wichtiger ist.
    Hier gibt es keine Metaebene fürs Feulleton wie bei KIZ. Der Ekel zieht sich nicht ins absurd comichafte, weil Hank anders als Fave nicht mit Anglizismen um sich schmeißt. Das Abgründige wird nicht durch eine traumatisierte Künstlerpersona gerechtfertigt wie bei JAW und all die Hitler- und andere Schocklines wirken doppelt gut, weil sie nicht klingen, als wären sie reine Provokation. Hank hatte einfach eine andere Delivery. Die krassen Lines wurden nicht für diesen deutschen "Hohoho-Effekt" ins Schaufenster gestellt. Das Ding wirkt in seiner Abartigkeit wahnsinnig authentisch und gleichzeit so durch, dass es wohl auch kaum Raum zur Identifikation gegeben haben dürfte.

    Große Kunst!