laut.de-Kritik

Die Dandys aus dem Burgenland und der eigenständige Ideenklau.

Review von

Der Spiegel marschierte schon vor, indem er dem neuen Album der Österreicher attestierte, es sei "mehr als das Erkennen der Kapitulation, mehr als ein Testament der Angst", ergo noch vor besagten Alben von Tocotronic und Blumfeld das wichtigste deutschsprachige Werk der letzten 15 Jahre. Mindestens.

Da hilft es wenig, dass Jens-Christian Rabe vom Feuilleton der SZ am Freitag spöttisch bemerkte, dass ein solches Urteil wohl darauf beruhe, dass Ja, Panik "schon mal von Walter Benjamin und Billy Wilder gehört haben und dann alles brav nach den Regeln der auch schon nicht mehr ganz jungen Intertextualität wieder verwursten".

Zugegeben, der Versuch, mit ein paar geschmeidigen Sätzen wider der radikalen Referentialität die Luft aus dem Phänomen Ja, Panik herauszulassen, war nicht eben schlecht. Allein, es hat nicht geholfen. Die Dandys aus dem Burgenland sind gerade wegen ihres eigenständigen Ideenklaus die neuen Lieblinge einer deutschen Pop-Kritik. Sie wären es übrigens auch ohne die affirmativen Begleitschreiben von Maurice Summen.

Das hat fraglos damit zu tun, dass mit Sänger Andreas Spechtl endlich einmal wieder einer die Monstranz aus Kaputtheit, Menschenfeindlichkeit und Genie vor sich herträgt, wie die altintellektuelle Heldenprojektion aus so mancher halbsteilen, links-liberalen Kritiker-Bio: Bob Dylan, Mick Jagger, John Cale und Lou Reed, Rio Reiser. Relativ exklusiv kommt für Spechtls Stammbaum natürlich noch der Selbstzerstörer Falco hinzu.

Im großartigen Velvet-Underground-Rocker "Run From The Ones That Say I Love You" singt Spechtl: "Back in Berlin a ghost came to stay / ich befürchte, es fischt bald jemand diesen Buben aus der Spree / Und ich sag Tommy, kommts nur mir so vor / oder schmeckt das H hier auf der Straße auch nicht anders als am Schottentor". Die Drogen und (West-) Berlin - da war doch auch mal was.

Es gibt viele Fährten auf diesem klassizistischen, anglizistisch-germanistischen Rockalbum, die man aufnehmen könnte: Den anfänglich unentschlüsselbaren Albumtitel "DMD KIU LIDT", der als Cliffhanger für die große Kostenstelle zwischenmenschlicher Beziehungsmuster fungiert: "Die Manifestation der Traurigkeit in unserem Leben ist der Kapitalismus" folgt ja auf "The Taste And The Money" und "The Angst And The Money".

Songtitel wie "Nevermind", "Time Is On My Side" oder eine Zeile wie "Save the planet, kill yourself", die genauso als popgeschichtliche Koordinaten zu lesen sind wie als narrative Mittel eines poetischen Realismus. Den Wink, dass die Zeichen bei Thomas – gemeint ist Gitarrist Thomas Schleicher - nicht mehr auf Sturm, sondern nun auf "Success", auf Erfolg stehen.

Er verknüpft den alten Wüter "Thomas Sagt" aus dem Jahr 2007 mit "Nevermind", in dem Spechtl allein mit E-Gitarre bilanziert: "Und am Ende bleib ich übrig, wie sich das so gehört / Ich lerne langsam sprechen und das man sich nicht selbst zerstört / Doch vielleicht sollt ich davon gar nicht lassen, es hat ja alles keinen Sinn / Der Hass hat sich so tief in mich gefressen, dass ich wohl ganz verloren bin".

Fernab aller Deutungsexzesse, zu denen Ja, Panik mit einem Schulterzucken einladen, sind der Band zwar keine geradlinigen Indiesmasher wie "Marathon" oder "Alles Hin, Hin, Hin", dafür allerdings kontemplative, gereifte Rocksongs gelungen: "Trouble", "Barbarie", "The Evening Sun". Berlin hat Ja, Panik den Schmäh ausgetrieben und stattdessen Sternburger und den Blues gebracht. Die Wut, sie ist aber noch lange nicht weg beim alten Herumtreiber Spechtl, der im abschließenden "DMD KIU LIDT" zur Faust'schen Hasstirade ausholt.

In 14 Minuten treibt es ihn der enttäuschten Liebe wegen durch die Nacht und um die Welt. Er gibt sich erst traurig und gleichgültig, dann höhnisch und letztlich fuchsteufelswild: "Du stammelst was von Pazifismus und lässt dich ficken für ein Handgeld". Selbst die Weltpolitik von Angela und Nicolas wird dabei zum Kollateralschaden. Es sei letztlich doch alles beim Alten, singt Spechtl zum Schluss müde. Es folgen acht Minuten Stille. Es ist ein Wahnsinn.

Trackliste

  1. 1. This Ship Ought To Sink
  2. 2. Trouble
  3. 3. The Horror
  4. 4. Barbarie
  5. 5. Run From The Ones That Say I Love You
  6. 6. Nevermind
  7. 7. Surrender
  8. 8. Bittersweet
  9. 9. Grey & Old
  10. 10. Time Is On My Side
  11. 11. Mr. Jones & Norma Desmond
  12. 12. Modern Life Is War
  13. 13. Suicide
  14. 14. The Evening Sun
  15. 15. Dmd Kiu Lidt

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LAUT.DE-PORTRÄT Ja, Panik

Zunächst ab 2001 unter dem Namen "Flashbax" aktiv, veröffentlichen die Mitglieder von Ja, Panik bereits 2004 das Album "Straight Outta Schilfgürtel".

1 Kommentar

  • Vor 13 Jahren

    meine fresse, laut.de, diesmal muss ich dir danken... hatte die band nie auf dem schirm, was mir da entgangen ist... was n monster von einem album, was ein gigantisch herrlicher abgesang, der titeltrack allein rechtfertigt 5 sterne... nach 2maligen hören direkt losgezogen und die alten alben gekauft....
    "Du stammelst was von Pazifismus und lässt dich ficken für ein Handgeld...."!
    Wie eine freundliche Vergewaltigung !
    bombe !