laut.de-Kritik
Intime Neuinterpretationen von Billie Eilish, Joy Division und Co.
Review von Florian DükerJames Blake stünde wohl ohne seine Cover nicht da, wo er heute steht. Gleich zwei der erfolgreichsten Stücke auf seinem Debütalbum, das ihm zum Durchbruch verhalf, stammen ursprünglich gar nicht von ihm selbst: "The Wilhelm Scream" kommt dabei heraus, wenn man dem Bluesrock von Papa James jeglichen Bluesrock entzieht und ihn durch ein Maximum an Electronic-Melancholie ersetzt. Hier stehen sich Cover und Original wunderbar gegenüber: zwei Generationen, Vater und Sohn, mit genau denselben Sorgen und Emotionen, aber vollkommen unterschiedlichen Mitteln, diese Gefühle zu vermitteln. "Limit To Your Love", James Blakes basserfüllte Version des gleichnamigen Songs von Feist, und auch der Fan-Liebling "A Case Of You" von der "Enough Thunder"-EP stammen nicht aus eigener Feder.
Wie so viele andere Künstler hat auch James Blake einen Weg gefunden, trotz der Corona-Pandemie und des Konzertverbots für seine Fans zu musizieren. Via Instagram und YouTube konnten diese dem Briten dabei zuschauen, wie er am Klavier unter anderem Stücke von Billie Eilish, Nirvana, Stevie Wonder, Bill Withers, Radiohead oder Ray Charles darbot. Er habe "mehr Zeit an meinem Instrument als am Laptop" verbringen wollen. Folgerichtig ist daraus nun eine EP entstanden, die sechs Coverversionen enthält: "when the party's over" von Billie Eilish, "Atmosphere" von Joy Division, "Never Dreamed You'd Leave In Summer" von Stevie Wonder, "Godspeed" von Frank Ocean, "When We're Older" von Beyoncé und "The First Time Ever I Saw Your Face" von Roberta Flack.
Gegen diese Songauswahl gibt es grundsätzlich wenig einzuwenden, schon bei den Originalen handelt es sich um wirklich schöne Stücke. Eingefleischte Fans haben allerdings mit Ausnahme des Beyoncé-Covers alle Songs auch in der James Blake-Version bereits gehört. Überraschungen liefert die EP also wenig. Schade, denn die unerwarteten Cover sind doch meist die besten. Für solche Überraschungen sorgte er bei den Instagram-Konzerten beispielsweise mit einem Nirvana-Cover, das den Alternative Rock/Punk von "Come As You Are" ins Gewand einer delikaten Ballade zwängt. Oder als er mit einer Version von Aquas "Barbie Girl" das Publikum eines seiner Solo-Klavierkonzerte in nervöses Gekicher ausbrechen ließ.
Nun spricht die vorhersehbare Tracklist mit Cover-Versionen, die vorher bereits in Livestreams und Konzerten zu hören waren, nicht unbedingt für die EP, aber auch nicht unbedingt dagegen. Viele Hörer werden von diesen Livestreams, Konzerten und YouTube-Uploads überhaupt nichts mitbekommen haben und sich einfach auf eine EP mit Neuinterpretationen von bekannten oder unbekannten Stücken freuen.
Diese Neuinterpretationen weichen mehr oder weniger stark von den Originalen ab, innerhalb der EP allerdings lässt sich kaum Variation erkennen. Bis auf das Joy Division-Cover "Atmosphere" sind sämtliche Songs vollständig auf James Blakes Stimme und das Klavier reduziert. Das verleiht der EP einen intimen Charakter und passt zum vorweihnachtlichen Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung. Wie das Artwork andeutet, fühlt es sich ein wenig an, als wohne man einem Privatkonzert des Künstlers bei.
Durch sein virtuoses Klavierspiel und seine Stimme, der gerade in den hohen Lagen kaum Grenzen gesetzt sind, ist James Blake den Songs von Größen wie Stevie Wonder und Beyoncé durchaus gewachsen. Letztere hat mit "Otherside" auf dem Soundtrack des "König der Löwen"-Remakes für ein absolutes Highlight gesorgt, das Blake auf "When We're Older" um zwei selbstgeschriebene, romantische Verse erweitert. Noch romantischer geht es auf dem Outro zu. Schon 1973 räumte Roberta Flacks "The First Time Ever I Saw Your Face" völlig zurecht die Hauptpreise bei den Grammys ab und auch knapp 50 Jahre später hat diese Ballade rein gar nichts an ihrer Schönheit eingebüßt.
Dass der Brite Balladen wie "The First Time Ever I Saw Your Face" oder "when the party's over" drauf hat und ihm auch Lieder wie "Godspeed" von Frank Ocean keine Probleme bereiten, ist hinlänglich bekannt. Letzteres hat er ja sogar selbst für Frank Oceans Meisterwerk "Blonde" koproduziert. Interessanter ist die Frage, ob und wie James Blake mit Joy Divisions Gothic-Rock klar kommt. Interessanterweise wurde die Kommentar-Funktion unter dem YouTube-Upload des Songs auf dem Kanal des Sängers deaktiviert. Jedermanns Sache scheint dieses Cover also nicht zu sein. So oder so ist es zumindest mutig, sich an eine solche Kult-Band heranzuwagen.
Braucht Musik eine Daseinsberechtigung? Zumindest ein Cover sollte bestimmte Voraussetzungen erfüllen, damit sich nicht nachher die Frage stellt, ob es dieses Cover denn nun überhaupt gebraucht hätte. Wer das Original verhunzt, der sollte es lieber gleich bleiben lassen. Selbiges gilt auch für den, der nur kopiert und dem Original nichts originelles hinzufügt. Im besten Fall gilt das Cover dem Original mindestens als ebenbürtig, wertet es sogar auf und enthält die persönliche Note des neu-interpretierenden Künstlers.
Grandios umgesetzt hat James Blake diese optimale Form der musikalischen Interpretation damals mit seiner Klavier-Version von Joni Mitchells "A Case Of You". Trotz der Menge an neuen Anwärtern auf der EP bleibt dies sein bestes Cover. Ob "Covers" nun eine Empfehlung verdient, hängt vom Adressaten ab. Wer mit Klavierballaden, James Blake allgemein oder seiner musikalisch soften Seite (ja, er hat tatsächlich auch eine andere Seite!) nichts anfangen kann, lässt getrost die Finger davon. Unvoreingenommenen Hörern aber, denen James Blakes Klavier-Interpretationen nicht bekannt sind, lässt sich die "Covers"-EP gerade für die in dieser Jahreszeit hoffentlich reichlich vorhandenen besinnlichen Stunden definitiv empfehlen.
2 Kommentare
*schnarch*
Völlig belanglose tracklist... würde ich sagen wenn’s nicht Blake wäre, der Songs teils spannender umsetzt als die Originale eigentlich sind. Nur deshalb riskier ich mal ein Ohr.