laut.de-Kritik
Das Karriere-Tief bringt musikalische Freiheiten.
Review von Stefan MertlikJames Morrison kann einem fast leid tun. Nachdem "Higher Than Here" 2015 nicht mehr die Platinerfolge der drei Vorgänger erreichte, trennte sich das Major-Label von ihm. Drei sich anschließende Todesfälle im engen Familienkreis legten die Karriere des Briten endgültig lahm. Mit "You’re Stronger Than You Know" trotzt er Trauer und Rückschlägen und veröffentlicht – folgerichtig – sein bisher ausgelassenstes Album.
Die zwölf Stücke blicken nach wie vor mit weit aufgerissenen Augen auf die Charts. Dennoch nimmt sich der 34-Jährige mehr denn je Freiräume, um seine Fähigkeiten und Ideen auszuspielen. Morrisons Markenzeichen ist die rauchige Stimme, die bei besonders hohen Tönen bricht. So markant wie auf "You're Stronger Than You Know" setzte er diese auf keiner seiner bisherigen Veröffentlichungen ein.
Dass er die Platte ausgerechnet mit der Single "My Life Goes On" beginnt, kann als Kampfansage an diejenigen verstanden werden, die ihn längst abgeschrieben haben. Im Duo mit Joss Stone, die ebenfalls seit vier Jahren auf ein neues Album warten lässt, trichtert er sich Mut ein: "Don't be scared 'cause there's no doubt / I'll lift you up when you're feeling down / I'll mend your heart, I'll heal your wounds / I'll do what no one else could do".
Morrison widmet die Platte seiner Frau Gill. In der Pianoballade "So Beautiful" und dem darauffolgenden "Feels Like The First Time" wird das besonders deutlich. Dem Musiker geht es um eine Positivität, die er mit flachen Motivationsreden befeuert. "It's not the same as it was when, when you were 17 / But fuck it, you're a woman now, you're stronger than you've ever been", heißt es in "Power", das mit dem F-Wort-Einsatz Morrisons neugewonnene Freiheit in "Something Right"-Manier unterstreicht.
Die neuen Stücke leben von einem noch stärkeren Soul-Einschlag. Ohne dessen Intensität zu erreichen, orientiert sich "Cross The Line" ganz nah an Stevie Wonders "Heaven Help Us All". "I Still Need You" fährt mit einem Gospelchors dann aber doch noch die großen Geschütze auf. In der Kirche fühlt sich Morrison hörbar wohler als auf den Bühnen der Rockfestivals. Auch wenn er auf dem Albumcover mit einer Gitarre post, nehmen Tasten- und Blasinstrumente eine wichtigere Rolle ein.
Nach einer Dreiviertelstunde leiden die Ohren an Überzuckerung. "You’re Stronger Than You Know" ist trotz aller Ecken und Kanten ein Brei aus großen Refrains. Das schmeckt zwar, doch das beste Tiramisu der Welt reicht nicht für eine ausgewogene Mahlzeit.
1 Kommentar
Gute Kritik! Passend zur Lebenssituation des Herrn Morrison und nicht so von oben herab (oder doch von unten herauf aufgrund des Neides? Man weiß es nicht), wie leider viel zu oft sonst auf dieser Seite!