laut.de-Kritik
Verunsichert hinter all dem Coachella-Cool.
Review von Yannik GölzDie Solopfade der Blackpink-Mitglieder haben etwas gemeinsam, was vielleicht gar nicht so doll auffällt. Abseits von Jisoo machen sie alle mit ihren jeweiligen Solo-Alben eine Genre-Entwicklung durch und einen bewussten Schritt weg vom K-Pop hin zu "nur" Pop. Dabei klingt die Musik davor und danach nicht fundamental unterschiedlich. Es gibt nur eine grundlegende Neuorientierung: K-Pop ist ein radikales Singles-Genre - und der "nur"-Pop der Gegenwart hat den Anspruch, ein Album-Genre zu sein.
Macht also mal ein Album, haben sie gesagt, so richtig mit Storytelling und verschiedenen Facetten, aber doch auch wie aus einem Guss. Und es ist irgendwie faszinierend, wie sie individuell daran scheitern. Lisas "Alter Ego" war nicht aus einem Guss genug, Rosés "Rosie" ein bisschen zu sehr aus einem Guss. Aber schon die Singles haben klargemacht, dass Jennie mit "Ruby" eigentlich die sichere Wette sein dürfte, wer mit dem Soloalbum am meisten Resonanz finden wird.
"Ruby" ist ohne Frage das ambitionierteste der Blackpink-Soloalben. Das verrät ja schon die Liste der Kollaborationen mit Dominic Fike, Doechii, Childish Gambino, Kali Uchis. Aber auch die Producer-Credits zwischen Dem Jointz, Mike Will, Diplo und El Guincho und visuelle Unterstützung von Teams hinter Phänomenen wie XG zeigen: Hier ist nicht per se Hits or Else das Credo gewesen, sondern hier wird durchaus eine Neigung zum Alternativen angedeutet. Also nicht ganz so alternativ, dass es wirklich jemanden befremden würde, aber immerhin alternativ genug, um manchen Leuten den K-Pop-Beißreflex zu nehmen. Die Angst vor Musik, die sich zu schnell zu leicht anschmiegt. Klar Sachen, dass niemand von Twice einen Song wie "ZEN" aufnehmen würde.
Ich fürchte trotzdem leider, dass ich dem Hype nicht komplett folgen kann. So sehr Jennie jetzt auch mit ihrem globalen Coachella-Chic und den gut zusammengestellten Kollaborateuren aufschlägt, plagt "Ruby" überraschenderweise doch ein ähnliches Problem wie Lisas "Alter Ego": Da sind gute Songs und gute Ideen, gesammelt auf einem irgendwie zaghaften Projekt. Nur was ihre Bandkollegin noch auf klassischen Popstar-Glamour gedreht hat, dreht Jennie eben auf den aktuellen Font Popstar. Mehr lowkey, mehr experimentell, mehr dessen bewusst, dass Popmusik heute auch nur eine Nische unter vielen ist.
Dieses Problem äußert sich vor allem darin, dass Jennie als Performerin ein bisschen verunsichert wirkt. Ich weiß, dass sie sehr gut rappen kann, und sie hat auch gesanglich ihre soliden Momente. Trotzdem halten viele Songs damit hinterm Berg, sie einfach mal von der Leine zu lassen. Momente, in denen sie startet, durchrappt oder wirklich ins Epizentrum der Songs vorrückt, finden sich ernüchternd wenige. Stattdessen fühlt sie sich öfter wie der MC einer ihrer selbst gewidmeten Fernsehshow an.
Ganz eigenartig: Der Song "Like Jennie", der klingt, als hätte den jemand in der dritten Person über sie geschrieben. Man sollte meinen, diese Hooks darüber, wie cool Jennie ist, wären richtig in den Händen von einem DJ Drama aufgehoben, der ihren Wrestling-Einlauf aufpeitscht. Aber so? Es fühlt sich ehrlich ein bisschen stupide an, diese ewig wiederholten Selbstbeweihräucherungen.
Und die lassen ja auch nicht nach: "With The IE", "Start A War", "ExtraL", "Mantra", auch "ZEN": Mir schwant irgendwann das Gefühl, Leute hätten viel Spaß, über Jennie als Person zu texten, aber vergessen dann, dass diese Texte ja auch aus ihrem Mund kommen müssen. Und das halbe Album in der dritten Person lobend über sich selbst zu reden, das hat irgendwann auch nichts mehr mit Empowerment zu tun. Es steht eher fast ein bisschen im Widerspruch mit der auf artsy gedrehten Verpackung.
Und trotzdem gibt es die Momente, in denen die Ideen wirklich zusammenkommen. Gerade das Pacing des Albums macht Spaß, es fließt sehr gekonnt zwischen verschiedenen Texturen und Tempi, was dann die zwei-Minuten-Bop-Formel von Songs wie "Mantra" durchaus betont. "ZEN" hat einen fantastischen Drop. "Seoul City" hat eine verdammt gute Atmosphäre, "ExtraL" mit dem bretternden Doechii-Part nimmt auch richtig Fahrt auf. Interessanterweise kommen die besten Flows immer wieder dann zustande, wenn sie auf Koreanisch rappt. Wie gesagt: Man merkt stellenweise, dass da sehr viel hätte gehen können, aber irgendwie wird sie auch auf ihrem eigenen Album immer wieder dazu abgeordnet, statt eines Protagonistens den animierende Cheerleader für ihre eigene Brand zu spielen.
Es ist schon so, dass "Ruby" gerade für Nicht-K-Pop-Fans vermutlich das interessanteste Post-Blackpink-Album sein wird. Es unternimmt immerhin spannende Gesten nach links und rehts, bringt ein paar sehr solide Bops an den Start und hört sich smooth und kohärent von oben nach unten durch. Aber ich würde doch mit der eher ernüchternden Diagnose schließen, dass es genau wie "Rosie" und "Alter Ego" nicht so wirklich an den Punkt kommt, Jennie als Protagonistin neu zu erfinden. Im Gegenteil: Das Album scheint mehr als die Blackpink-Diskographie verunsichert damit, was sie eigentlich leisten könnte. Es ist sich sicher, dass sie den Kopf wegduckend beiseite geht, wenn eine Doechii auf dem Track ist. Das beißt sich dann natürlich ein bisschen damit, wenn 80% des Albums nur darüber reden, wie selbstbewusst sie denn sei. Dieses Selbstbewusstsein spürt man dem Album aber nicht zu 100% an.
2 Kommentare
"Die Solopfade der Blackpink-Mitglieder haben etwas gemeinsam, was vielleicht gar nicht so doll auffällt. Abseits von Jisoo machen sie alle..."
Stimme überein. Solides Pop-Album für 3 Sterne. Mantra ganz klar bester Song. Von den ganzen Blackpink Girls ist es auch ganz klar das beste Album. Vor ein paar Tagen hat auch Yeji von Itzy eine Solo EP veröffentlicht und es ist erstaunlich gut.