laut.de-Kritik
Der blutrünstige Auftritt hat ein bisschen Ladehemmung.
Review von Philipp KauseZugegeben, innovativ ist es definitiv nicht, was Jerry Cantrell mit "I Want Blood" vorlegt. Dafür bietet es eine entschiedene Abkehr von allen Konzepten wie Eingängigkeit, Überspitzung und manierierter Soli. Wie Cantrell ja sagt, er will Blut. Das ist ein kompromissloses Statement. Das Titelstück ist es musikalisch auch, geradliniger Retro-Hardrock, allerdings mit Akkord-Entwicklungen, deren Dissonanz im Milieu von Stone Sour wurzelt, und mit einem Hauch Deep Purple-Bassline.
Blut steht fürs Leben, für Vitalität, fürs Unter-Strom-Stehen. Für Vampire, die es saugen, und für etwas Echtes, eine Substanz, die man weder fälschen noch 3D-drucken kann. Der einstige Alice In Chains-Musiker lässt einen sägenden Sound vom Stapel, der sich schwer greifen lässt und nirgends anbiedert. Introvertiert versinkt er in den traurigen Krach seines Industrial-getränkten Openers. Viel mehr Text als nötig hat "Vilified" nicht: "It's a hell of a show", das ist das Mantra, die garstige Musik hämmert es uns ein, und dass es abwärts gehe, unaufhaltsam, schleichend, in einem "downward slide". Die ersten 90 Sekunden lang inszeniert der 58-Jährige so gleißenden Lärm, dass der die Worte überfrachtet und unterspült. Gefallen will Jerry ganz offenkundig nicht, mit einer Ausnahme. Und so springt er zwischen stilistischen Bezugspunkten, ohne die Fans eines bestimmten Genres zufrieden stellen zu wollen.
Lässt man die ersten drei Tracks auf sich wirken, wähnt man sich bald in einer Kreuzung aus einem alten Soundgarden-Album mit einer '90er-Tiamat-CD. Grunge trifft auf Dark-Wave und Gothic. Düster sind sie alle. Gleichzeitig mischt sich heiserer Heavy-Rock hinein, Cantrell würde gerne wuchtig klingen. Die Stimme hat aber nachgelassen, gezeichnet von harten Substanzen, deswegen hat der blutrünstige Auftritt ein bisschen Ladehemmung, und Throat-Geröchel steht Jerry nicht gut, kann er technisch auch nicht. Von daher kläfft und schreit er, so gut er noch kann.
Nicht eingängig sein zu wollen, weder in Bezug auf Melodie noch auf Rhythmus, ist ein altes Credo, Cantrells tief sitzende Präferenz. Sie machte auch seine früheren Solo-Alben für mich reizvoll, der ich zwar der Blütezeit des Grunge nachtrauere, mit Standard-Metal aber wenig am Hut habe. Die alte Aussage aus einem Interview in der Guitar World 1998, "Off-time stuff is just more exciting", also Taktmaße, die ungleichmäßig sind und irritieren, "sind aufregender" - die gilt bis heute. Diese Kompositions-Marotte steht der A-Seite von "I Want Blood" gut an.
Die zweite Seite der Scheibe schlägt einen tief melancholischen Pfad ein. "Echoes Of Laughter", "Throw Me A Line", "Held Your Tongue" und das lange "It Comes" verhalten sich gleichmäßiger im Rhythmus. Sie bilden eine schöne Playlist mit dem Schwerpunkt auf Cantrells filigraneren Spieltechniken, durchaus noch mit viel Verstärker-Sound, gleichwohl noch introvertierter, und milder. So super das alles zwar handwerklich den Schmerz von der Seele wischt, so wenig fängt das aber wirklich die Aufmerksamkeit ein, gerade weil es so in sich gekehrt wirkt.
Die Tristesse berieselt perfekt, läuft nebenbei ohne zu stören, jedoch gelingt kein echter Hin-Hör-Moment. "Let It Lie" schert ein bisschen in Richtung Verstimmt- und Schroffheit aus, so dass es nicht zu lieblich wird. Überraschungen bleiben derweil aus.
"I Want Blood" ist auf jeden Fall eine sehr typische Jerry-Platte, angenehm zu hören und hochwertig produziert. Wer beispielsweise "Degradation Trip Vol. 1 & 2" von 2002 zuhause stehen hat, wird dort bei 25 Tracks und zweieinhalb Stunden Spieldauer mehr Spannbreite zwischen zarteren Phasen wie dem Anfang von "Solitude" und brachialeren wie dem Chorus von "Anger Rising" erleben. Ganz so stark auseinander driften die Stücke von "I Want Blood" im Vergleich nicht. Hier herrscht etwas mehr Homogenität vor, aber auch die Dramaturgie von hart zu zart ist in den Nuancen erkennbar.
Mit "Echoes Of Laughter" gelingt zudem ein zeitloser Ohrwurm, der nach zwei Mal Hören haften bleibt und nachdenklich erscheint: "I don't believe in a heaven or a hell. / Could be both in the now, baby, it's hard, hard to tell / I ran all night to find an answer." Musikalisch ist der Track die harmonische Ausnahme auf diesem doch eher dystopisch gestimmten Werk.
4 Kommentare mit 3 Antworten
Back to the 90ies. Da vermisst man Layne Staley fast gar nicht. Erschreckend wie die noch in den 90ern Soundtechnisch gefangen sind oder gerne bleiben. Ein überraschend Alt Klingendes Werk. Hätte nicht gedacht, das di3eser Sound 30ig Jahre später noch Rockt, das er tut. Nett, aber irgendwie, nun ja, man höre selbst.
Back to the 90ies. Da vermisst man Layne Staley fast gar nicht. Erschreckend wie die noch in den 90ern Soundtechnisch gefangen sind oder gerne bleiben. Ein überraschend Alt Klingendes Werk. Hätte nicht gedacht, das di3eser Sound 30ig Jahre später noch Rockt, das er tut. Nett, aber irgendwie, nun ja, man höre selbst.
Naja, gab schon bessere templates.
Doch. Layne vermisst man sehr wohl.
Joah. Wenn man die ersten beiden Solo-Alben direkt davor hört, klingt das hier eher wie ein gefälliger Versuch, diesen Höhenflügen nachzueifern. Aber ist nicht schlecht.
"Der einstige Alice In Chains-Musiker lässt einen sägenden Sound vom Stapel,...".
Wieso "der einstige"? Hab ich was verpasst?
Da das hier nach Brighten das 2. Soloalbum innerhalb von 2 Jahren ist, gehe ich auch davon aus, dass er mit Alice in Chains nicht mehr viel am Hut hat....