laut.de-Kritik

Der alte, räudige Rock'n'Roll-Hund will es noch mal wissen.

Review von

"Last Man Standing" passt bestens als Album-Titel für den "Killer" Jerry Lee Lewis. Er ist der einzige, heute noch lebende Künstler aus einer Schar großer Namen, die bei einem ganz speziellen Label den klassischen Rock'n'Roll prägten. Elvis Presley, Roy Orbison, Johnny Cash, Carl Perkins und eben Lewis – sie alle standen bei Sam Phillips' Sun-Records unter Vertrag. Bereits 1954 veröffentlichte Lewis seine erste Single - ohne größeren Erfolg. Erst nach dem Wechsel zum aufstrebenden jungen Studio Sun schlugen seine dortigen Veröffentlichungen "Whole Lotta Shakin' Goin' On" und "Great Balls Of Fire" 1957 mächtig ein.

Während Elvis wie pures Dynamit startete, künstlerisch immer tiefer versandete, später verfettete und schließlich starb, (über)lebte Lewis stets wie ein echter Rock'n'Roller. Mitsamt einem – für seine Zeiten atemberaubenden - Fundus an Skandalen, die ihm eine ähnlich fulminante Karriere wie die des jungen Lastwagenfahrers aus Tupelo verwehrte. Neben Alkohol und Drogen fehlte natürlich ebenfalls nie das dritte Rock'n'Roll-Element: Sex. Insgesamt sechs Ehen führte Jerry Lee – die skandalumwittertste sicherlich jene mit seiner damals erst 13-jährigen Cousine Myra. Diese Hochzeit fand stand, als Jerry Lee bereits – ungeschieden – zweifach anderweitig verheiratet war.

Seine Songs enthielten explizite sexuelle Anspielungen – was er mit "Great Balls Of Fire" tatsächlich meinte, mochte das prüde Amerika am liebsten erst gar nicht andenken. So wandelte er sich rasch vom hoffnungsvollen Newcomer zum misstrauisch beäugten Outlaw. Jerry Lees einträgliche Anfangsgagen wurden radikal gekürzt, er blieb ein ständiger Gast im Observationsbereich der Finanzämter – und war dennoch nie weg vom Fenster. Seine Hauptertragsquelle blieben die ungezählten Konzerte, die er jahrzehntelang nicht nur in den Staaten aufführte.

2006 hat Jerry Lee Lewis sein 70. Lebensjahr vollendet – und legt mit "Last Man Standing" eine einzigartige Geburtstags-Einspielung vor. Satte 21 Titel lang begleiten berühmte Stars der verschiedensten Musikgenres den Künstler am Klavier – darunter so unterschiedliche Leute wie Bruce Springsteen, Kid Rock, bis auf Charlie Watts sämtliche aktuellen Stones-Mitglieder und Kris Kristofferson. Trotz des einen oder anderen Mankos bzw. nicht so überzeugendem Gaststars legt Lewis hier ein beeindruckendes Spätwerk vor.

Der Opener "Rock And Roll" hält, was er verspricht: Hier mündet der im typischen Lewis-Stil eingespielte Song in ein Duell zwischen Jimmy Pages Gitarre und dem elektrisierenden Klavierspiel des Killers. "Before The Night Is Over" zeigt sich als freundlicher Blues- und Boogie-Schunkler mit B.B. King. Lewis' gelungenes Cover des Springsteen-Klassikers "Pink Cadillac" wird vom Boss höchstpersönlich gesanglich unterstützt. Rod Stewarts Beitrag in ""What's Made Milwaukee Famous" klingt leider ebenso zahnlos und kaum erinnerungswürdig wie seine letzten Alben-Produktionen.

Zusammen mit Ringo Starr intoniert Jerry den berühmten Chuck-Berry-Hit "Sweet Little Sixteen". "You Don't Have To Go" knarzt als erdiger Shuffle und glänzt besonders mit Neil Youngs Gitarrenspiel.

Ein harter, vorwärtstreibender Rock-Kracher ist die "Travelin Band" mit John Fogerty als Gast-Solist. Kerniger Drive und Rhythm'n'Blues-Feuer satt - bei derartigen Uptempo-Nummern lässt Lewis so manch Adidas-tragenden Wuschelkopf-Jungspund ziemlich schlaff aussehen. Da sprintet er, was musikalisches Fingerspitzengefühl und sogar Tempo angeht, allerlei angesagten Rock-Rumpelbands locker davon.

Sicher: Ab und an macht sich natürlich das Alter bemerkbar. Etwa in der Stimme, der ihre Jahre anzumerken sind. Manche Gesangspassage schwankt, und auch in Sachen Halten des Tones sind nicht ausschließlich makellose Momente zu entdecken. Doch sind das nicht Anmerkungen, die ebenfalls auf den späten Johnny Cash zutreffen? So befindet sich der "Killer" fraglos in guter, bereits anerkannter Gesellschaft. Doch Lewis' einzigartiges, explosives Piano-Spiel, das hat noch immer und stets sein altes Feuer. Und: Lewis spielt nicht nur die Rolle der schäbigen, alten Rock'n'Roll-Ratte – er lebt(e) sie!

Krachig gerät das "Honky Tonk Woman" der Stones, hier mit einem gut aufgelegten Kid Rock als Sideman. "Couple More Years" mit Willie Nelson ist etwas zu schlurfig und beschwört eine Spur zu sentimental das Thema Älterwerden. Nicht voll überzeugend: Little Richards Beitrag zum Beatles-Klassiker "I Saw Her Standing There". Mit dem ehemaligen "Lucille"-Energiebündel ist die Zeit nicht so gut umgegangen wie mit Lewis. Besinnlich beschließt das nachdenkliche "The Pilgrim", ein Song von und mit Kris Kristofferson als Gaststar, den abwechslungsreichen Song-Reigen. Hier weht in Arrangement und Ausführung mehr als nur ein Hauch Johnny Cash durch den Titel.

Diese Ansammlung altmodisch eingespielter, rüder Anachronismen macht einfach einen Heidenspaß. Sterile Studio-Perfektion oder gar angesagte Produktions-Gimmicks sind hier nirgendwo zu finden. Freunde unpolierter, mit Ecken und Kanten versehener Spielarten von Rock, Rythm'n'Blues und Boogie erleben 2006 auf "Last Man Standing" einen glänzend aufgelegten Studio-"Killer". Mitsamt seiner ganz speziellen, unnachahmlichem Piano-Energie. There Ain't No Age For Rock'n'Roll!

Trackliste

  1. 1. Rock And Roll
  2. 2. Before The Night Is Over
  3. 3. Pink Cadillac
  4. 4. Evening Gown
  5. 5. You Don't Have To Go
  6. 6. Twilight
  7. 7. Travelin' Band
  8. 8. The Kind Of Fool
  9. 9. Sweet Little Sixteen
  10. 10. Just A Bummin' Around
  11. 11. Honky Tonk Woman
  12. 12. What's Made Milwaukee Famous
  13. 13. Don't Be Ashamed Of Your Age
  14. 14. Couple More Years
  15. 15. Ol' Glory
  16. 16. Trouble In Mind
  17. 17. I Saw Her Standing There
  18. 18. Lost Highway
  19. 19. Hadacol Boogie
  20. 20. What Makes The Irish Heart Beat
  21. 21. The Pilgrim

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1 Kommentar

  • Vor 17 Jahren

    Reingehört und Verliebt, was Anderes kann ich zu diesem Album nicht sagen, so ein Spaß beim hören von Musik hatte ich schon lange nicht mehr, der gute alte Rock'n'Roll hat mich in Seinen Bann gezogen.(Klavier rockt^^) YEAHHHHH