laut.de-Kritik

Die neuen Propheten des Dancefloor-Gospels.

Review von

Endlich, endlich, bringt das französische Neo-House-Duo Gaspard Augé und Xavier de Rosnay aka Justice sein erstes Album mit dem bildhaften Titel "†" heraus. Nach dem Remix der Simian-Nummer "Never Be Alone" dürfte sie wohl jeder kennen, der schon einmal eine Disco von innen gesehen hat. Und jetzt schlagen anlässlich des Debüts alle Musikkritiker im Land vor Begeisterung Purzelbäume, pardon, galipettes. Keine Frage, in einem Anfall eines housigen frankophilen laissez-faires purzele ich mit, journalistische Omniseriosität hin oder her.

Justice haben mit "†" (oder doch "Cross", vielleicht gar "Croix"?) ein Album aufgenommen, das seinesgleichen sucht und natürlich nach Verweisen zu Daft Punks "Homework" schreit, obwohl ich nicht denke, dass es sich als ähnlich epochal erweisen wird.

Dennoch sind die zwölf Tracks sicher nichts für jeden. Hart muss man es mögen, und schräg. Kein Problem fürs Clubvolk, aber was ist mit dem Rest? Die breite Masse findet mit "†" wohl kaum ihre Religion. Dabei geht es pompös los, undefinierbare Synthiebläser, vielleicht die Trompeten von Jericho, künden von der Landung der beiden Propheten des neuen Dancefloor-Gospels.

Natürlich muss diese Nummer "Genesis" heißen. Benannt nach dem ersten Buch der Bibel, in dem nicht nur der Anfang der Welt nach christlicher Sichtweise beschrieben ist, sondern auch die Erschaffung des Menschen, der Sündenfall, der Turmbau zu Babel, Sodom und Gomorrha. Geschichten von menschlicher Fehlbarkeit und Schwäche. Eine quasi-religiöse Erfahrung hält "Genesis" in Sekunde 38 bereit, als der Beat einsetzt. Massiv wie der Turm zu Babel, schmutzig wie Sodom, verdorben wie Gomorrha. Und schon wird der Hörer - führe uns nicht in Versuchung - schwach.

Schnipsel von funky Gitarren und Sequenzer-Ohrenquäler leiten über in das nicht minder kaputt klingende "Let There Be Light". Die ersten Worte, die Gott sprach. Und es ward tatsächlich Licht. Frenetisch wird durch den neu gefundenen Garten Eden getanzt, der Apfel vom Baum der Versuchung ist natürlich längst gepflückt und verschlungen. Erst gegen Ende gibt der ruhende Beat etwas Raum zum Runterkommen. Ist dies der siebte Tag?

Weitere Banger auf "†" folgen. Das formidable "Phantom" stampft sich den Weg in die Gehörgänge, dazu gibt’s diese typischen, bratzenden Synthies. "Stress" wird seinem Namen gerecht, ein Schwarm von Streichern fällt über die Ohren her, das bereits bekannte "Waters Of Nazareth" groovt trotz stark verzerrter Beats ganz gewaltig.

A propos Groove: Die softeren, discolastigen Nummern schießen durchs Ohr direkt in die Hüfte. Der Chor auf "D.A.N.C.E." und die Vokalistin Uffie auf "Tthhee Ppaarrttyy" kleiden die beiden Tracks in ein waschechtes Oldschool-Gewand, dass so mancher Hip Hop-Veteran in die Knie geht.

In knapp fünfzig Minuten verzeichnet "†" kein Füllmaterial, auch das ist bemerkenswert. Wäre Elektromusik aus Frankreich eine Religion, hätte sie in diesem Tonträger einen neuen Altar gefunden, die Musik darauf kündet von einer Erweckungsbewegung. Augé und de Rosnay sind ihre Hohepriester.

Trackliste

  1. 1. Genesis
  2. 2. Let There Be Light
  3. 3. D.A.N.C.E.
  4. 4. Newjack
  5. 5. Phantom
  6. 6. Phantom Pt. II
  7. 7. Valentine
  8. 8. Tthhee Ppaarrttyy
  9. 9. Dvno
  10. 10. Stress
  11. 11. Waters Of Nazareth
  12. 12. One Minute To Midnight

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