laut.de-Kritik

Krieg ist doof.

Review von

"Der Black- und Death-Metal von Kanonenfieber soll nicht nur unterhalten, sondern anregen, sich weiterzubilden und das Bewusstsein gegen die Verherrlichung des Krieges schärfen." heißt es im Promotext zum Konzertfilm "Live in Oberhausen". Aber tut er das?

Ja, Kanonenfieber gehen mit weniger Begeisterung an die Thematik als beispielsweise Sabaton, aber das "Anti-Kriegs-Metal" zu nennen ist, als würde man True-Crime-Podcasts als Anti-Mord-Podcasts bezeichnen. Gebt doch einfach zu, dass ihr eine morbide Faszination für Krieg habt und nicht in erster Linie eine Bildungsfunktion. Ich hab im Pit zumindest niemanden erspäht, der damit gehadert hat, wie so etwas Schlimmes passieren konnte.

Vielleicht ist Metal einfach nicht das richtige Medium, um sachlich über die Schrecken des Krieges aufzuklären. Oder wenn, dann nicht diese Art von Sound und Performance, denn der Inhalt ist brutale Verzweiflung, der Sound brutaler Hype, epochal und feierlich. Allerdings zwingt sie niemand zu dem Ballanceakt, wenn Noise, der anonyme Musiker hinter Kanonenfieber, einfach epischen Kriegsmetal machen wollen würde, würde das seine Abnehmer finden. Der historisch fundierte Ansatz mit Fokus auf das Leid ist da um einiges sympathischer.

So sehr mir Typen, die ein bisschen zu gut über die Weltkriege Bescheid wissen, suspekt sind: Kriegsverherrlichung kann man Kanonenfieber wirklich nicht vorwerfen. In den Texten schreit niemand "Viva Victoria" während er auf der Jagd nach Ruhm und Ehre Gegner niedermäht. In Kanonenfieber-Lyrics wird im Schlamm und Dreck der Schützengräben gewühlt und am Ende konsequent ins Gras gebissen. Lust zum Mitmachen bekommt man da eher weniger, die Texte für sich gelesen sind wirklich deprimierend und haben den gewünschten Effekt. Sie basieren allesamt auf echten Geschichten und vielen tragischen Einzelschicksalen. Und für jeden Schritt weg von glorreichem Sabbaton-Kriegsfetischismus im Metal, von ganzem Herzen: danke.

Für den Inhalt wäre eine gefühlstote Industrial- Ästhetik auf der Bühne angebracht, die Kanonenfieber nur teilweise liefern, denn man merkt, wie viel Bock die Jungs haben, auf der Bühne abzureißen und einzuheizen. Wenn man über den gescheiterten, eigenen Anspruch und die Differenz von Inhalt und Form hinwegsehen kann, geben die Soldatenuniformen, gestapelten Sandsäcke und Maschendrahtzäune ein stimmungsvolles Gesamtbild ab und gehen zusammen mit dem Sound echt hart.

Eine Minute ruhiges Gitarrenintro ist dem Publikum vergönnt, bevor der erste Blastbeat von "Grossmachtfantasie" auf die Konzerthalle einprasselt. Und von da an wird eineinviertel Stunden humorlos auf die Instrumente eingedroschen, wie es von einer Black/Death-Metalband nicht anders zu erwarten ist. Die Setlist besteht aus einem Mix der beiden bislang veröffentlichten Studioalben, Überraschungen gibt es daher nicht. Auch wenn die Band erst seit knapp drei Jahren live zusammen auf der Bühne steht, merkt man, dass die Musiker allesamt Profis sind, die schon davor reichlich Bühnenerfahrung gesammelt haben. Noise' Stimme ist von dem, was er ihr da antut, recht unbeeindruckt, die Screams sind bis zum letzten Song durchgehend beinahe in Studioqualität.

Zwischen den einzelnen Liedern wird nicht gesprochen, stattdessen gibt es thematische Schauspieleinlagen, die meistens von Tod und Vernichtung im Krieg handeln, dabei aber mäßig immersiv und eher etwas ulkig wirken. Wenn man sich aber von der Illusion freimacht, dass das keinen Spaß machen soll, sind die Einlagen ein nettes Gimmick. Zum Beispiel sprüht einer der Soldaten mit einem Wasserdampf-Flammenwerfer ins Publikum, später wird mit einem echten Flammenwerfer hantiert. Von einem von Noise viel zitierten "Grabmal des unbekannten Soldaten" ist diese Darbietung aber ein gutes Stück entfernt.

Releases von Live-Aufnahmen richten sich in der Regel sowieso in erster Linie an Hardcore-Fans. Daher, Kanonenfieber-Ultras, ihr wisst wahrscheinlich schon, was abgeht. Wenn man drauf steht, gibt es wirklich nichts auszusetzen, die Band gibt durchgehend alles, spielt ihr hartes Set ohne Ermüdungserscheinungen und liefert dabei ein Spektakel für die Fans ihrer Nische. Wenn ihr euch über die Schrecken des Krieges weiterbilden wollt, greift nur zu, wenn sich in der anderen Hand eine Sabaton-CD befindet.

Trackliste

  1. 1. Grossmachtfantasie
  2. 2. Menschenmuhle
  3. 3. Sturmtrupp
  4. 4. Der Fusilier I
  5. 5. Grabenlieder
  6. 6. Der Maulwurf
  7. 7. Panzerhenker
  8. 8. Kampf und Sturm
  9. 9. Die Havarie
  10. 10. Die Feuertaufe
  11. 11. Lviv zu Lemberg
  12. 12. Waffenbruder
  13. 13. Verdun
  14. 14. Ausblutungsschlacht

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Kanonenfieber – Live in Oberhausen €22,99 €3,00 €25,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Kanonenfieber – Kanonenfieber, Neues Album 2025, Live in Oberhausen 2024, CD + Blu-Ray Digipack, 2 CD Digipack €44,90 Frei €47,90
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Kanonenfieber – Kanonenfieber, Neues Album 2025, Live in Oberhausen 2024, Doppelvinyl Schwarz, 2 LP €52,90 Frei €55,90

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Kanonenfieber

Kanonenfieber sind irgendwo zwischen Death- und Black Metal einzuordnen, je nachdem, welche Quelle herangezogen wird. Oft ist die Rede von Blackened Death …

5 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 17 Stunden

    "Zwischen den einzelnen Liedern wird nicht gesprochen, stattdessen gibt es thematische Schauspieleinlagen, die meistens von Tod und Vernichtung im Krieg handeln"

    :lol: :lol: :lol: :lol:

    dann lieber: FISTFUCKING GOD'S PLANET!!11

  • Vor 9 Stunden

    "So sehr mir Typen, die ein bisschen zu gut über die Weltkriege Bescheid wissen, suspekt sind"

    Bitte was?

    • Vor 3 Stunden

      Ich bilde mir ein, ebenfalls recht viel über die beiden Weltkriege zu wissen, sowie über viele andere Konflikte anderer Epochen ebenfalls, da mich (Militär-) Geschichte ganz einfach interessiert.
      Aber gerade beim Thema der beiden Weltkriege trifft man besonders in Deutschland oftmals auf Typen, die sich zwar gut auskennen, die aber politisch komplette Irrläufer sind. Da wird die Wehrmacht verherrlicht, dass es kracht, die Waffen-SS versucht als "normale" Soldaten darzustellen usw. usf.

  • Vor 7 Stunden

    Hab die mal gehört, weil die bei von irgendeinem langhaarigen YouTuber als "guter deutscher Black Metal für Einsteiger" bezeichnet wurden.

    Fand ich ziemlich peinlich, wie eigentlich alle Gimmick-Bands, egal ob sie Piraten-, Musketier- oder Weltkriegs-Rock machen (und gibt's dafür nicht Sabaton?)

    Zum Glück wurde mir dann Betlehem in den Algorithmus gespült und die fand ich dann ganz nett auf eine lebensverneinende, depressive Art und Weise. ;)

    • Vor 6 Stunden

      Hoffe nur, dass das nicht irgendwelche NS Deppen sind. In der Szene sind die Übergänge ja leider teilweise fließend.

    • Vor 4 Stunden

      Bethlehem ist viel zu hohe Kunst für (solche) Politik, keine Sorge. Die Faschos brauchen hierzulande keine Grauzone, haben eine fest-etablierte Underground-Szene rund um Absurd (ja die gibt es immer noch) und ähnliche Kapellen.

    • Vor einer Minute

      Danke, das ist gut zu wissen! Ich werde mir dann mal etwas mehr von denen anhören.

      Über Absurd bzw. Möbus habe ich neulich durch Zufall mal wieder was gelesen – absolut übel die ganze Geschichte, von damals bis heute.

      Ne ernsthaft, ich muss noch einen Absatz schreiben, wie absolut ekelhaft und schamlos sich Möbus und seine Band nach dem Mord gezeigt haben. Ich hatte die Tat damals mitbekommen, wusste aber bis vor kurzem nicht, was danach passiert ist. Ich war wütend, als ich das gelesen habe, und das passiert mir nicht so oft.

      Da wünscht man sich eine große Portion Karma.

    • Vor einer Sekunde

      Und ich habe nicht mal den Nazi-Kram erwähnt. Das kommt sogar noch dazu.

  • Vor 4 Stunden

    Ja ne danke, viel lieber Endstille

  • Vor 3 Stunden

    Analyse eines der Songs durch einen Metalfan, dem wissenschaftlichen Direktor des Deutschen Panzermuseums:

    https://www.youtube.com/watch?v=DJ3O6ADMlQ…

    • Vor 3 Stunden

      Darauf ein herzliches :conk:

    • Vor 3 Stunden

      Ah ja, der ist wahrscheinlich in deinen Augen auch rechts obwohl er sich ständig gegen die Vereinnahmung vom Weltkriegsverliererfanclub oder linksextremen Spinnern, die dem Museum Kriegsverherrlichung vorwerfen, wehren muss.

      Der Song wird dort übrigen kritisch betrachtet, weil er Legendenbildung betreibt, die geschichtswissenschaftlich widerlegt worden ist.

      Aber Hauptsache draufhauen auf alles, was den eigenen Horizont übersteigt.

    • Vor 3 Stunden

      Nein ein, du missverstehst mich. Panzer-Fandom übersteigt in keiner Weise meinen Horizont.

      Und auch wenn freilich jeder seine Obesessionen und Faszinationen haben darf, ist eine Faszination mit Militärmaschinerie, insbesondere Panzern, schon ziemlich weit oben auf der Beknacktheitsskala einzuordnen.

    • Vor 2 Stunden

      Dann können sie die militärhistorischen Studiengänge abschaffen.

      Und die Band ist wie schon Sabaton Pazifisten, aber wie oft soll ich das noch schreiben?

    • Vor einer Stunde

      Ich durfte/musste Kanonenfieber auch schon live sehen ... Musikalisch, ja war in Ordnung, aber ich bemängel da ganz eindeutig die Rolle von Noise auf der Bühne. Dieses Laienschauspiel regt weder zum Nachdenken an, noch ermutigt es das Publikum zu Anti-Kriegsparolen. Da wird Weltkrieg einfach abgefeiert und zelebriert. Neben mir standen 20 ... "Recken", die einfach schön mit der Faust in der Luft den Füsilier mitbrüllten - da wurde nichts verstanden und Noise hat das ganze mit seinem Duktus eher befeuert. Finde das ganz kritisch und da sind Sabaton fast noch sympathischer, die geben wenigstens zu, dass es Partymucke ist ...

    • Vor einer Stunde

      "Dann können sie die militärhistorischen Studiengänge abschaffen."

      Junge, das ist deine überzogen-reaktionäre Auslegung, nicht meine. :rolleyes:

      "Und die Band ist wie schon Sabaton Pazifisten, aber wie oft soll ich das noch schreiben?"

      Was irgendwelche Bands aus Marketinggründen von sich behaupten mögen, ist mir doch vollkommen wumpe! Trotzdem wird von beiden Krieg fetischisiert. Im besten Fall macht die Band das wirklich nur aus Spaß; im schlechtesten Fall werden kriegsbegeisterte Hohlbirnen mit abgeholt, wie es der User über mir treffend beschreibt.