laut.de-Kritik

Gospel, Autotune und Kurt Cobain vereint.

Review von

Ein bisschen beeindruckend muss man es ja finden, wie arglos GO:OD Music zur Zeit musikalische Konventionen umwirft. Keine Promophasen. Alben in der Länge von EPs. Keine Singles. Keine Warnung. Ein Tape pro Woche. "Kids See Ghosts" heißt der dritte Streich, vielleicht der beeindruckendste bisher: Nun als Band mit dem langjährigen Gesinnungsgenossen Kid Cudi unterwegs, präsentiert Kanye West knapp zwanzig Minuten triumphaler, überschwänglicher und regelrecht psychedelischer Ekstase.

Verschwunden ist die Ruhe von "Ye", weg der Minimalismus. "This is the package you ordered, huh? Beautiful madness", konstituiert Cudder auf "Fire" und trifft den Nagel damit auf dem Kopf. Die drei eröffenden Nummern kanalisieren Opulenz, Songwriting und musikalische Exzentrik, wie man sie von "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" oder "Yeezus" kennt, verkürzen sie aber mittels sehr schroffer Laufzeit zu fast noch intensiveren Vignetten.

Gleich das Intro "Feel The Love" empfängt auf minimalem Bass-Gerüst mit großspurigen Cudi-Chants im Kontrast zu einem eiskalten Pusha T-Verse, bevor zur Line "Love to fuck to trap music" die Hölle losbricht: Auf die kurz zuvor noch so unterkühlten Bass-Synthesizer schmettert Kanye wie von den Geistern von Waka Flocka Flame und Big Shaq gleichzeitig besessen Waffengeräusch-Adlibs in einer solchen Dichte, man könnte von den Scat-Gesängen der Trap sprechen. Es folgt ein Beatbreak, und manipulierte Vocal-Samples stehen psychedelischen Gitarren gegenüber, um für einen kurzen Moment einen verlorenen, ruhigen Raum im Song zu öffnen.

Wenn auf den letzten acht Bars alle Elemente gleichzeitig wieder einsetzen, schwillt der Song zu einer so intensiven und überwältigen Sound-Collage an, dass man fast ein wenig an eine Gospel-Version von Portisheads "Machine Gun" denken mag. Dabei sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass der Track trotz gerade einmal zweieinhalb Minuten Dauer allen Einzelelementen nicht nur angemessen Raum zur Einführung lässt, sondern auch genug Dramaturgie verleiht, damit sich das Gesamtprodukt dennoch homogen anfühlt.

Die Energie bleibt auf "Fire" erhalten, das mit André 3000 an der Koproduktion für zwei pointierte Verses das Tempo sogar noch anzieht. Über eine folkige, von schrägen Gitarren getragene Sample-Line gibt es einen summenden Cudi und einen rappenden Kanye, bevor die organische Textur des Songs harmonisch in das Louis Prima-Sample fließt, das den Beginn von "4th Dimension" markiert.

Hier geht ein krudes Weihnachtslied aus den Dreißigern einem der heftigeren Bassdrops der Platte voraus, bevor Cudi und Kanye in ihrer härteren Gangart Einzeiler von sich geben, die in die besten "Hurry up with my damn crossiant"-Momente zurückversetzen. "Bought her alligator, I ain't talkin' Lacoste / Made me say, 'Ungh, uh'", "That's too new to mention, or fit in a sentence / If I get locked up, I won't finish the sent ..." oder "She said I'm in the wrong hole, I said I'm lost" sind so Bars, für die man Kanye hört. Abgesehen davon erinnert die Dichte interessant geflippter und angeordneter Vocal-Samples (unter anderem diabolisches Gelächter) und der Marsch-artige Drumbeat an etwas, das man als die Horrortrip-Version von "Jesus Walks" bezeichnen könnte.

Nach dem eröffnenden Trio verändert sich die Energie von "Kids See Ghosts". "Freeee (Ghost Town Pt. 2)" lässt dem Standout-Track von "Ye" einen noch wilderen, experimentelleren Song folgen. Von mancher Seite sogar mit dem Sound von Led Zeppelin verglichen, lässt sich auf jeden Fall festhalten, dass die schwerfüßige Gitarrenuntermalung und die ausufernden Vocal-Manipulationen auf der mantrahaft rezitierten "I feel free"-Line meilenweit vom typischen Soundbild eines klassischen Kanye- oder Cudi-Tracks wegfällt. Von Pitch-Shift über Autotune bis hin zu exzessivem Layering passiert hier wirklich alles.

Logischerweise braucht es deshalb auch mehr als ein paar Hördurchläufe, um sich wirklich auf Songstruktur, Swagger und Energie des Songs einzulassen, gerade in Anbetracht der Rolle, die er auf dem Tape einnimmt. Durch die fehlenden Verses kommt der Nummer fast ein gewisser Reprise-Charakter zu (auch wenn "Ghost Town" gar nicht auf derselben Platte ist), doch mit jedem Hören zündet die majestätische, überschwängliche Aura der Nummer ein bisschen mehr.

Interessanterweise folgt auf diesen Höhepunkt des Größenwahnsinns mit "Reborn" und dem Titeltrack "Kids See Ghosts" eine introvertiertere, ruhigere Phase. "Reborn" ist der offensichtlich Kid Cudi-lastigste Track des Projekts, nicht nur, weil ihn zu großen Teilen seine geschmackvoll gelayerte Autotune-Hook trägt, sondern auch, weil der Optimismus in der prominentesten Zeile "I feel so reborn, I keep moving forward" in Kombination mit den verhaltenen, hoffnungsvollen Midi-Keyboard-Lines eine überraschende Veränderung im Ton des Projekts darstellt.

Nachdem die erste Hälfte eine gewisse Manie, eine chaotische Energie der beiden Protagonisten ausdrückte, stabilisiert sich hier der Zustand sichtlich. Dass sich ein Gefühl der Ausgeglichenheit und Zuversicht einstellen darf ist ein besonderer Moment für beide Rapper, die sich bislang eher ausweglos in ihren emotionalen Zuständen gesuhlt haben, und charakterisiert auch die besondere Synergie ihrer Zusammenarbeit. Während Kanye Cudis musikalische Palette ins Unendliche ausweitet, zwingt dieser ihn wiederum, einen gewissen Fokus beizubehalten und scheint als emotional stabilisierender Faktor zu wirken.

Auch der Titeltrack passt in dieses Mojo. Mit einer stoischen, aber unerwartet eingängigen Hook von Mos Def aka Yasiin Bey trägt dieses vielschichtige, aber subtile Instrumental eine fast meditative Ausstrahlung. Kanye fährt erneut zu einem seiner stärkeren Rap-Performances auf, die zwischen wilden Punchlines ("I like breakfast in bed but prefer breakfast and head") und subversiven Eingeständnissen von Schwäche und Verwundbarkeit oszilliert ("Well, it took me long enough to rap on this strong enough.").

"Cudi Montage" beendet das Projekt mit einer Kondensation aller bisherigen Stärken: Auf einem obskuren Kurt Cobain-Sample geben sich Gospel-Chops, spektakuläre Vocal-Layerings und nahbare, intime Storytellings die Klinke in die Hand, um eine realistische, aber lebensbejahende Ballade über das Durchhalten abzuliefern. Ein beachtliches Statement, bedenkt man die Geschichte geistiger Gesundheit, die beide Rapper teilen. Mit einem wieder und wieder beschworenen "Stay strong / Lord shine your light on me, save me, please" entlässt die Platte den Hörer schließlich.

"Kids See Ghosts" ist ein zugänglicheres Album als "Ye", aber bei weitem kein gewöhnliches. Die Dramaturgie geht eigenwillige Wege, das Songwriting lebt von schnell und wirkungsvoll geschlagenen Wechseln in Sample und Ton. Auch wenn die Laufzeit des Projekts gemäß der sieben Tracks kurz gerät, birgt es gerade dank Tracks wie "Feel The Love", "Freeee" und "Cudi Montage" genug musikalische Ideen, um ein ganzes Doppelalbum zu befeuern.

Auch wenn die textliche Introspektion von "Ye" oder einem Album wie "Man On The Moon" hier zumeist zugunsten stimmungsvoller Überheblichkeit unterschlagen wurde, haben Ton und Energie von "Kids See Ghosts" etwas durchaus Inspirierendes, einen Funken, der überspringt. Kombiniert mit einer derartig hohen Dichte an markanten, experimentellen und psychedelischen Momenten ist das im Grunde auch genau, was man sich von einem Kanye-Cudi-Projekt erhofft hat: ein Trip von einem Album.

Trackliste

  1. 1. Feel The Love (feat. Pusha T)
  2. 2. Fire
  3. 3. 4th Dimension (feat. Louis Prima)
  4. 4. Freeee (Ghost Town Pt. 2) (feat. Ty Dolla $ign)
  5. 5. Reborn
  6. 6. Kids See Ghosts (feat. Yasiin Bey)
  7. 7. Cudi Montage

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