laut.de-Kritik

Nach der NIN-Tour auf dem Karrierehöhepunkt.

Review von

Wohl nicht mal die kühnsten Pop-Analysten hätten im Jahr 2000 anhand des niedlichen Liedchens "Playgirl" geglaubt, den Namen Ladytron längerfristig speichern zu müssen. Timingmäßig absolut perfekt platzte der funkelnde 80er Synthie Pop-Diamant mitten rein in den synaptischen Überfunktionswahnsinn von Etienne de Crécys "Am I Wrong" und Fischerspooners "Emerge" und sorgte allseits für glasige Augen.

Das Debütalbum "604" hatte dann zwar noch seine kleinen Hits, mit "Playgirl" schien jedoch alles gesagt zu sein. Ein Electroclash-One-Hit-Wonder lud zum ultimativen Safety Dance. Das war in Ordnung so.

2008: Nach Tourabsagen an Marilyn Manson, Zusagen an Nine Inch Nails und Remixaufträgen für Dave Gahan und Bloc Party sind Ladytron inzwischen auf einem Level angekommen, dass sie nicht mal selbst erahnen konnten.

Was das grafisch überfrachtete Cover-Artwork von "Velocifero" noch nicht vermuten lässt: Die New Wave-Elektroniker feilten diesmal mit ungeheurer Liebe am Detail und streben mit den dreizehn neuen Songs konsequent ihrem Karriere-Höhepunkt entgegen.

Das im Vorfeld auf MySpace platzierte "Black Cat" öffnet druckvoll die Tore zum atmosphärisch dunklen Tanz-Terrain, auf dem die beiden Eisprinzessinnen Helena Marnie und Mira Aroyo betörender denn je ihre Kurven drehen. Der in Hochform agierenden Bulgarin Aroyo gebührt zu Recht die Ehre, den Opener komplett in ihrer Muttersprache einzusingen. Und siehe da: Ihr gewohnt Kühlturm-temperierter Beitrag ist diesmal trotz exotischem Zungenschlag überaus konkurrenzfähig; ein schauerliches Stück Gothic Pop vom tiefschwarzen Meer.

In der Top-Single "Ghosts" (mit sehenswertem Video aus der Joshua Tree-Wüste) schrammelt der Synthiebass dreckiger als bei zahlreichen Rockbands; ein Verdienst, das sich wohl besonders die Herren Reuben Wu und Daniel Hunt ans Revers heften dürfen.

Die lange als stille Synthesizer-Nerds wahrgenommenen Musiker scheinen mittlerweile ein schlüssiges Konzept ersonnen zu haben, wie man Ladytrons oft lieblich dahinfließenden Albumtracks knackig und voluminös die Ecken abschleift. Dass die Truppe hier von den Live-Erfahrungen an der Seite Trent Reznors profitieren konnte, ist schwer anzunehmen.

Dessen Tour-Keyboarder Alessandro Cortini ist jedenfalls Teil des "Velocifero"-Produktionsteams, genau wie Vicarious Bliss aus dem Pariser Justice-Umfeld. Dass das Quartett aus Liverpool dann noch seine hochwertigsten Songwriting-Ergebnisse präsentiert, lässt Form und Inhalt in nicht geahnter Wucht aufeinander prallen.

"I'm Not Scared", nicht der alte Neil Tennant-Titel für Patsy Kensits Eighth Wonder, ist härtester Tanzflächensport, "Season Of Illusions" trägt Ladytrons aktuellen Melodiereichtum äußerst lässig zur Schau und in "Kletva" wird auf der ollen Hammondorgel geknödelt, bis zum Ende hin die Computer von ihr Besitz ergreifen.

Dass dabei über sämtlichen Tracks lichterloh die Refrains funkeln und die Girls durch die Bank mit cherubinischer Flötenstrahlkraft glänzen, erschließt sich erst nach mehreren Hörrunden. In "Predict The Day" staunt man nur noch über den plötzlichen Minimalismusanfall, bevor die letzten drei Songs noch mal eine Hürde nach der anderen aufstellen. Das Abschlussduett "Versus" bringt mit Danny Hunt erstmals einen männlichen Ladytron ans Mikrofon und man fragt sich unwillkürlich, warum das nicht schon früher passiert ist.

In Mailand residiert dieser Hunt übrigens mittlerweile, einer Metropole, in der Depeche Mode 1989 nach den Albumaufnahmen regelmäßig in den House-Clubs abstürzten. Heraus kam "Violator". Ladytrons neue heißt "Velocifero". Es klingt, als hätten die Liverpooler auch ordentlich gefeiert.

Trackliste

  1. 1. Black Cat
  2. 2. Ghosts
  3. 3. I'm Not Scared
  4. 4. Runaway
  5. 5. Season Of Illusions
  6. 6. Burning Up
  7. 7. Kletva
  8. 8. They Gave You A Heart, They Gave You A Name
  9. 9. Predict The Day
  10. 10. The Lovers
  11. 11. Deep Blue
  12. 12. Tomorrow
  13. 13. Versus

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