laut.de-Kritik
Das vorläufige Ende der Abwärtsspirale.
Review von Sven KabelitzAm 19. September 1989 veröffentlichte ein junger Musiker aus Brooklyn sein Debüt "Let Love Rule". Voller Herzblut brummte dreckiger Funk-Rock und Beatlesker Psychedelic-Soul aus den Boxen, während der Sänger uns einen Garten baute oder wütend über rassistische Taxifahrer schimpfte. Sein analoger Sound, zur damaligen Zeit retro und innovativ zugleich, galt als Gegenentwurf des Klangs der arg ausgelutschten 1980er. Lenny Kravitz wollte deutlich spürbar mit jeder Pore seines Körpers Musik machen.
Auf den Tag genau 25 später Jahre später steckt Kravitz mehr Leidenschaft in die dürftige Darstellung des Stylisten Cinna in "Die Tribute von Panem" als in ein neues Album. "Strut" versprüht den Charme einer Auftragsarbeit. Ein mit Automatismen gespickter Bürojob, den man eben ohne nachzudenken abarbeitet. Wenn man keine Botschaften mehr zu transportieren hat, singt man eben Ständchen zum "Happy Birthday" oder über "Sex". Letzteres verkauft sich schließlich immer gut, und nur noch darum geht es.
Die künstlerische Weiterentwicklung Kravitz' stockt seit seinen Anfangstagen und zweieinhalb einwandfreien Alben. Von seinem Zorn und seiner Passion verlor der Sänger scheibchenweise von Longplayer zu Longplayer. Manchmal polierte er seine Ideen neu, doch das Grundschema bleibt. "Strut" steht nun - vorerst - am Ende dieser Abwärtsspirale. Kravitz bedient sich hier musikalisch ausgerechnet bei genau dem Yuppitum, gegen das er einst angetreten war.
Saftlos plündert er in "The Chambers" die frühen Duran Duran. Kravitz spielt Wine Glasses (episch!), weite Keyboardflächen umsäuseln den Bass. Das Ergebnis tönt kalt wie ein toter Fisch. Dabei handelt es sich hier noch um einen der guten Momente auf "Strut". Über "I'm A Believer", ein Song, dessen spannendstes Detail der im Hintergrund mitklatschende Woody Harrelson darstellt, braucht man im Grunde kein weiteres Wort zu verlieren.
Selten wurde der Akt des Beischlafs phlegmatischer besungen als im Opener. Das simpel gestrickte Rip-Off von Bowies "Fame", das nur während der Disco-Bridge vom Original abweicht, verfügt schlichtweg über nichts Eigenes. Anstelle des Wortes "Fame" brabbelt Kravitz immer wieder "Sex, Sex, Sex" ins Mikro und vermittelt die Erotik eines ältlichen Biologielehrers, dessen nach Mottenkugeln muffelndes Jacket Ellbogenflicken zieren.
"New York City" geht den selben ausgelatschten Weg. Rollschuh-Disco-Funk, in dem das Glitzern der Spiegelkugel über mangelnde Inspiration hinweg täuschen soll. Klang das Saxofon auf "Let Love Rule" noch kernig und unkeusch, weht heute durch die Straßen von New York nur noch ein laues, an Steve Norman von Spandau Ballet erinnerndes Lüftchen. Während die Frisur perfekt sitzt, singt Kravitz zum missgestalten, hölzernen Funk des Titeltracks: "This is the chance for you to go beserk." Dabei steckt in jedem Schlumpf ein größerer Berserker als in "Strut".
Die Ballade "The Pleasure And The Pain" zieht sich ereignislos über fünf Minuten hin. Kravitz zitiert sich fleißig selbst und schmeckt wie der zehnte Aufguss eines Kaffeepads. Phrasenhaft knödelt ein Gitarrensolo. Von Vergnügen oder Schmerz findet sich hier nicht die kleinste Spur. Nur die Langweile bleibt. Die Langweile, die auf "Strut" ungeahnte Steigerungsmöglichkeiten entwickelt. "She's A Beast" kleistern schwülstige Geiger dermaßen zu, das von der Bestie nur ein rosa Plüscheinhorn bleibt. "It's so fluffy, I'm gonna die!" Und zwar an Überzuckerung.
Geht es noch schlimmer? Ja! Bereits der Beginn des überspannt quengelnden Saxofons im "Happy Birthday" zieht einem schlichtweg die Schuhe aus. "This morning is a special morning / We're gonna party all day long / We're gonna celebrate the day that you were born / And we will start right with this song." Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber das hier hat mit Geschmack nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. Dieser schunkelnde Schlonz ist ein künstlerischer Offenbarungseid, ein Verbrechen, Exkrement! Der verzweifelte Versuch, Stevie Wonder zu beerben, dessen missverstandenes Martin Luther King Jr.-Tribute "Happy Birthday" in den Dorfdiscos um Mitternacht beim Verlesen der Jubilare bisher herhalten musste. Beim Auspusten der Kerzen auf dem Geburtstagskuchen bleibt einem nur ein Wunsch: "Aufhören!"
Lieber Herr Leonard Albert Kravitz, arbeiten Sie doch freundlicherweise an Ihrer Schauspielkarriere weiter. Auch die Bereiche Innenarchitektur, Modeschmuck und Parfümherstellung bieten Potenzial. Aber bitte, bitte, mit Sahnehäubchen oben drauf: Verschonen Sie uns mit weiteren Alben, die die nostalgisch funkelnde Erinnerung an Ihre Vergangenheit dermaßen in den Arsch treten.
11 Kommentare mit 10 Antworten
man möchte sich die augen ausweinen.
Heißt Lenny, sieht aber aus wie Carl.
Sehr schön.
Carl, wer?
Lustig.
Review unterschreibe ich blind und taub, vor allem den Satz zu den zweieinhalb einwandfreien Alben zu Anfang seiner Karriere.
Das hier werde ich gar nicht erst hören.
Lenny, der ewige Traum von mittlerweile alternden und Fett ansetzenden End-Dreißiger-Muttchen mit 1Live-Abo..
Mitunterschrieben!
Wo sind die einfachen aber mitreißenden Melodien und Ideen früherer Tage? Das hier ist einfach langweilig...2 Sterne finde ich angemessen!
Die konservativen Pfeifen werden es nie kapieren. Die Vergangenheit ist vorbei und seit dem hat sich viel geändert. Wenn ihr früher hören wollt, dann legt die alten Platten auf. Ganz einfach. Das ganze Leben das selbe machen, extrem laaaaangweilig!!!
Die letzte durchgehend gute war Circus, und das ist schon lange her.
Stimmt, Circus fand ich auch noch durchgängig gut. Sind doch eher 4 sehr gute Alben des Herrn Kravitz. War 96 auf der Circus-Tour (mit der Drummerin hinter Gittern..), das war auch ne feine Live-Performance.
Hätte Lenny Kravitz nach "Circus" den Tod gefunden, er wäre eine zauberhafte Legende geworden bzw. geblieben. Stattdessen starb sein Zauber bei lebendigem Leibe ab dem Album "5" nach und nach. Sein Album "Strut" wirkt wie das Endstadium. Allerdings haben sich auch die Zeiten geändert. Es fällt einem Musiker nicht leicht, weiterhin an der "großen Musik" zu arbeiten, während die gesamte Musikindustrie den Bach runtergeht und sich die Kids nur noch illegale Downloads auf dem Smartphone reinziehen. Seine Tochter hat ihn sicherlich auch desillusioniert. "Hey Daddy, du alter Sack, die jungen Leute denken heute anders als ihr früher. Der Style von Katy Perry ist cooler als die Brille von John Lennon." Zum Trost kann man sagen, dass all die legendären Club-27er im weiteren Verlauf ebenfalls verblasst wären. Doch sie gingen rechtzeitig. Womöglich würde Kurt Cobain heute eine Ballade mit Rihanna aufnehmen. Man kann es nicht ausschließen.