laut.de-Kritik
Die Leiden des jungen L.
Review von Johannes JimenoAus den schottischen Highlands kommt der nächste Singer/Songwriter-Shootingstar und hört auf den Namen Lewis Capaldi. Der Sänger mit italienischen Wurzeln veröffentlicht sein Debüt "Divinely Uninspired To A Hellish Extent" mit reichlich Vorschusslorbeeren: "Someone You Loved" ist ein Nummer Eins UK-Hit, er tourt als Voract u.a. bei Rag'n'Bone Man, Sam Smith und Ed Sheeran mit, sogar den End Credits Song "Days Gone Quiet" für den PlayStation 4 Exklusivtitel "Days Gone" steuert er bei. Überzeugt der stimmgewaltige Insulaner auch auf Albumlänge?
Die durchweg subtil und zurückhaltend inszenierte Instrumentierung hebt sich schon mal positiv hervor. Gitarre und Klavier beherrschen beinahe durchgehend das musikalische Geschehen. Kein Song wirkt unnötig überladen. Die Stimme Capaldis entfaltet sich gut, insbesondere bei Balladen wie dem sehr intimen "Bruises" oder dem elegischen "Lost On You". Auf der lyrischen Seite dominiert adoleszenter Herzschmerz mit all seinen Facetten: toxische sowie zu Ende gehende Beziehungen, Verlustängste, die große Liebe, Sehnsucht, die Leiden des jungen L. Lediglich "Hollywood" handelt von der inneren Unsicherheit, wenn man zum ersten Mal weit weg von Zuhause ist - übrigens der einzige, etwas fröhlichere Uptempo-Song.
Perspektivisch setzt sich Capaldi als der leidende, selbst-zweiflerische Mann in Szene, der sich die Schuld an allem gibt. Zumeist gelingt ihm der Spagat zwischen berührend und kitschig, mitunter steigt jedoch ein Hang zum Weinerlichen empor, z.B. beim gehetzten "One" und dem schleppenden "Forever".
Wirft man indessen einen genaueren Blick auf Songstruktur und analysiert Schemata, verbirgt sich hinter dem Schleier des introvertierten Indie-Folk ein trocken kalkulierter Pop. Mit einer frappierenden Rigorosität schnürt die Produktion Capaldis Stimme zwar nicht ein, stülpt ihm aber ein Korsett über, das seine Songs massentauglich und somit ein Stück weit beliebig macht.
Es ist das bekannte Raster: Erste Strophe mit acht Zeilen, Pre-Chorus, Chorus. Zweite Strophe nur noch drei bis vier Zeilen, Pre-Chorus, Chorus. Brigde, unzählig wiederholter Chorus. Fertig sind die heiligen 3:30 min, um die sich die ersten zehn Songs von "Divinely Uninspired To A Hellish Extent" schlängeln. In diesem Kontext ergibt der hochtrabende Titel sogar noch Sinn.
Es ist ein Jammer, dass Capaldis leicht raues und ungemein kraftvolles Organ nicht besser zur Geltung kommt. Vor dem Hintergrund seiner durchaus fähigen Produzenten Malay (Lorde, Frank Ocean) und Jamie Hartman (Calvin Harris, Birdy) fällt das noch mehr ins Gewicht.
"Fade" bildet hierbei fast schon einen revolutionären Ausbruch mit gelungener, sukzessive steigender Dramaturgie und einem Hauch Gospel im Refrain - ohne wenn und aber der beste Song. "Hold Me While You Wait" trägt ähnliche Elemente, nur weniger ausufernd. Der fünfminütige Schlussakt "Headspace" brilliert mit gekonnt vielseitigem Gesang.
"Divinely Uninspired To A Hellish Extent" ist ein sanftes Stück Musik, das den Hörer in den Arm nimmt und Verständnis für schwierige Angelegenheiten zeigt. Es sind berührende Songs, die jeder versteht. Darin liegt auch das Problem: Das unerbittliche Pop-Konstrukt verschenkt das unverkennbare Talent des Lewis Capaldi ein wenig. Sein Erfolg tröstet ihn darüber hinweg.
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