laut.de-Kritik
Trotz guter Ansätze so farblos wie das Cover-Artwork.
Review von Philipp KauseDie Stimme von Marcus Mumford, ehemals Mumford & Sons, hat im ersten Moment einen hohen und zunächst mal angenehmen Wiedererkennungswert. Sein neues erstes Solo-Album bestätigt diesen Eindruck. Die andere Seite jener Gesangs-Medaille zeigt sich während der 38 Minuten Laufzeit von "(Self-Titled)": Wird die Musik aufs Essenzielle des Folkrock, auf den inneren Kern herunter gekocht, dann trägt die noch immer jugendliche Stimme mit der crémigen Kratzigkeit nicht auf voller Länge. Obschon in Mumfords Stimmfarbe eine innere Spannung brodelt und sie dadurch mit einem klaren Hinhör-Effekt lockt, wirkt sie schnell monoton, zusehends beiläufiger und verliert an Reiz.
Nie bei Mumford & Sons spitzte sich das Konzept einer Platte so auf die Lead Vocals zu. Wo die frühen Werke eine Riesenpalette an Instrumenten ausreizen, beschränkt sich "Wilder Mind" auf konventionellen Softrock gemischt mit The Killers-artigen Eighties-Klangwänden. Nie aber hört man Marcus Mumford so 'stripped' wie jetzt in "Cannibal", oder wie in der ersten Hälfte von "Prior Warning", dann im zarten "Only Child", im Beinahe-Acapella "Go In Light" oder im gesangslastigen "How".
Man kann Etliches von diesem Album schon nebenbei plätschern lassen, ohne dass es stören würde. Doch es springt emotional überhaupt kein Funke über, und auch intellektuell steckt die Gesamtleistung nicht an: Weder berührt noch überrascht ein Moment. Weder ereignet sich Innovatives noch Eingängiges. Weder Wut noch Trauer finden erkennbar statt, nicht einmal auf "Cannibal", das Trauma nach dem sexuellen Missbrauch zum Thema hat, den Marcus als Sechsjähriger erlebte. All diese Indifferenz birgt audiometrisch gesehen in etwa so viel Spannung wie eine Pressekonferenz von Olaf Scholz.
Songschreiberisch versandet die Platte im Durchschnittlichen. Die Produktion hingegen liegt um einige Klassen oberhalb von "Delta", jenem letzten, perfektionistisch sterilisierten Mumford & Sons-Werk. Meist konturieren sich die Songs jetzt zwar sauber und klar, und sie grenzen sich voneinander ab. Der Abwechslungsreichtum in stillen bis dramatischeren Arrangements löst aber das zentrale Manko nicht: Schwache Lieder handwerklich hochwertig umzusetzen, das ergibt zwar akzeptable, hörbare, aber keine zeitlosen, großartigen Stücke. Das von Star-Autorin Julia Michaels mit getextete "Prior Warning" zieht - immerhin für eine Warnung - enttäuschend unauffällig vorbei, während auch Phoebe Bridgers in "Stonecatcher" dem Album keine Energie verleiht.
Julias Zeilen stecken im Grunde voller guter Bilder und Szenarienbildung, wenn sie einen Vertrauensbruch skizziert und dass man den bereut. "Wir gaben uns ein Versprechen, dass wir immer ehrlich sein würden / ich dachte nie, dass ich es je brechen würde (...) Dann bist du zu Boden gesackt / als ob du etwas in Sand malen würdest", und auch das Englische klingt mit geschliffenen Zeilen wie "Each word is a cut / that I see coming / I clench my fists / as I'm inflicting them" poetisch und scharf. Das Folktronic-Pochen, das darunter liegt, entfaltet sich hier und da ganz gut in Effekten, die sich wie das Spratzen einer Metallherstellung anhören. Das meiste an diesem Tune eiert hingegen leider teilnahmslos.
Sogar im Duett mit Brandi Carlile singt Marcus so hysterisch exaltiert und metallisch in den zu hohen und zu lauten Gesangs-Tonlagen, wie schon auf "Delta" stellenweise. Das bemerkenswerteste Lied auf "(Self-Titled)" ist wohl der Industrial-gespickte Electropop "Better Off High", gleichwohl der Textinhalt mit seinem Anpreisen von Medikamentenmissbrauch zwecks Mood Management nicht supportwürdig erscheint; Elvis starb an sowas.
"Only Child" sediert, und kommt trotz einer schönen Grundstruktur wegen seiner Gleichförmigkeit wiederum nicht als Anspieltipp infrage. "Dangerous Game" hätte ein Peter Gabriel ebenbürtiger Song werden können. In den Synth-Spielereien und der verborgenen Polyrhythmik erinnert das Mini-Drama an den Klassiker "Games Without Frontiers" a.k.a. "Spiel Ohne Grenzen". Während die Soundscapes eine klasse Kreuzung zwischen schroff und fließend, zwischen Klassik und Elektronik darstellen, fühlt sich nur Clairos Gast-Stimme wohltuend natürlich an, derweil Mumford selbst einen gezwungenen, allzu bemühten Eindruck macht.
"(Self-Titled)" hätte was Gescheites werden können, zeigt aber schon anhand des Titels und des Artworks, das hier die hängenden Flügel der Ideenlosigkeit in einem desillusionierten und entsprechend entmutigenden Album münden. Mit dieser Musik könnte man Lauterbachs düsterste Prognosen von einem schweren Herbst unterlegen, und wenn "(Self-Titled)" überhaupt eine Farbe hat, so lautet sie wie die Platte optisch ausschaut: Blassgrau.
1 Kommentar
Diese Spielart des Genres wäre ohne den konstanten Push seitens der Radio-Sender schon in der letzten Dekade ausgestorben