laut.de-Kritik
Ein unterschätzter Songwriter.
Review von Michael SchuhMark Lanegan steht für künstlerische Wandlungsfähigkeit ohne Qualitätsverlust. Letztlich ist es nur eine Frage des Geschmacks, ob man dem rastlosen US-Songwriter auch auf experimentelle Seitenpfade ("Black Pudding" mit Duke Garwood) folgen mag oder wirklich alle drei seiner Duett-Alben mit Isobel Campbell für lebensnotwendig erachtet. Dass ich letzteres ausschließe, liegt in erster Linie am gigantisch spannenden Solo-Werk des großen Vokalisten seit seinem Debüt "The Winding Sheet" von 1990.
Das geschmackssichere Label Light In The Attic (Rodriguez, Lee Hazlewood) hat sich nun ein Herz gefasst und legt eine groß angelegte Anthologie des betörenden Grummlers vor. 32 Tracks, zwölf davon unveröffentlicht, lassen das Bild eines Suchenden entstehen, der stets sein selbst gestecktes Ziel erreicht: Ob dies nun dunkle Akustik-Folk-Balladen und Country-/Blues-Exkurse sind oder einfach die nächste volle Whiskey-Flasche.
Kurz: "Has God Seen My Shadow? An Anthology 1989-2011" war überfällig und präsentiert einen Songwriter, der selbst 24 Jahre nach seinem Debüt noch nicht die breite Anerkennung erfährt, die er verdient. Wie schon seine Screaming Trees zu Grunge-Hochzeiten in Europa nie größeren Anklang gefunden haben, musste auch Lanegan geduldig auf einen Karriereschub in der alten Welt warten. Die kam in Gestalt des Josh Homme, der 2003 zur Verwunderung vieler QOTSA-Fans seinen hoch geschätzten Studiokumpel sogar mit auf Tournee nahm - wegen maximal drei Songs pro Abend.
Seither bildete sich ein erlauchter und hoffentlich bald anwachsender Kreis anbetungswilliger Soundfreaks um den psychedelischen Bariton. Nach Gründen muss man hier nicht lange suchen: Das magische Duett "Come To Me" mit PJ Harvey, von dem auch der Albumtitel geborgt wurde, der wehleidige Klassiker "One Hundred Days", das zarte "Kimiko's Dream House" oder der spröde Alternative Rock seiner Frühphase ("Mockingbirds"), sie alle evozieren die Weite seiner Heimat Washington in einer bis heute eindrucksvollen Weise.
Dass man auf der Retrospektive auch gestandene Alternative-Heroen wie J. Mascis ("Sunrise", "The River Rise"), Jack Endino und Ben Shepherd (Soundgarden) antrifft, belegt einmal mehr Lanegans Standing in der Szene. Dass Lanegan mit Namedropping wenig zu tun haben will, belegt die Tatsache, dass er der Songsammlung ausgerechnet jene zwei Songs vorenthält, auf denen Kurt Cobain im Background singt ("Down In The Dark", "Where Did You Sleep Last Night") von besagtem '90er Debütalbum. Der Blick ist stattdessen nach vorne gerichtet: Mark Lanegans Reise ist noch lange nicht zu Ende. Derzeit arbeitet er am "Blues Funeral"-Nachfolger.
7 Kommentare mit 4 Antworten
evozieren, dass wort kannte ich noch gar nicht
Blues Funeral - sein letztes Album war für mich eines der besten der Jahre. Höre ich immer wieder gern und hat diesen intensiven Sog.
welchen denn? ich glaube, der letzte ist inzwischen mein favourit.
warte mal, da steht ja sog...
ich werde auch mal reinhören... thx für die rezi
ML halte ich für chronisch überschätzt.
definitiv!
finde ich gar nicht. sein werk mag durchwachsen sein, aber er wird nirgends als universalgenie dargestellt und findet in den medien doch nur dezent statt
Ich kenne Mark ja nur von QOTSA, sein Solozeug habe ich noch nie gehört.
Ich halte ML halte ich für chronisch unterschätzt.
Der Mann lebt den Blues und zeigt seine Grunge Wurzeln