laut.de-Kritik

Ein dunkler Kristall.

Review von

Die längste Wartezeit zwischen zwei Mastodon-Alben hat sich gelohnt. Mit "Hushed And Grim" liefern Troy Sanders, Brann Dailor, Bill Kelliher und Brent Hinds ihr erstes Doppelalbum und damit mehr als genug Material, um die Brache seit "Emperor Of Sand"/"Cold Dark Place" zu kompensieren. Doch nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ übertrifft die Band die (nicht gerade geringen) an sie gestellten Erwartungen. 15 Songs in 86 Minuten von Mastodon sind zwar erstmal schwer zu verdauen, und man braucht einige Durchläufe, um die Informationsdichte zu verarbeiten – möchte aufgrund des durchgehend hohen Niveaus letztlich aber tatsächlich keines der Stücke missen.

Mastodon musizieren auf "Hushed And Grim" im besten Sinne in ihrer Komfortzone. Sie stellen hier nichts wirklich Neues vor, rekombinieren ihre Stärken aber auf so frische und versierte Art und Weise, dass man nie das Gefühl hat, sie würden sich wiederholen. Noch nie versammelten die in Atlanta heimischen Sludge-Progger so viele ihre Facetten auf einer Platte. Es finden sich Bezüge zu all ihren bisherigen Werken, selbst zu den frühen "Remission" und "Leviathan".

In "The Crux" und "Savage Lands" prescht das Quartett mit voller Riffbreitseite voran, dagegen stehen die (Halb-)Balladen "Had It All" und "Skeleton Of Splendor" mit akustischer Gitarre und weiten Melodiebögen. Bei "Sickle And Peace" und "Gobblers Of Dregs" brechen leichtfüßige Progrock-Riffs sich Bahn und "The Beast" wird mit Southern-Flair zur Spielwiese von Brent Hinds – jedenfalls solange bis der Song in einem fatalistischen Break plötzlich kippt ... und okay: In den psychedelischen Tiefen von "Dagger", wo unter den Mastodon-Trademarks Moog-Sounds auf orientalischen Folk treffen, schimmert doch noch ein unbekannter Horizont.

Auch dank der bekannten Dynamik ihrer drei so unterschiedlichen Sänger changieren Mastodon scheinbar mühelos zwischen den Ausdrucksformen. Brann Dailor übernimmt mit klarer Stimme die melodischen, manchmal klagenden Hooks, Brent Hinds nuschelt verschroben vor sich hin, Troy Sanders strahlt mit seinem majestätischen Brustton unbändige Kraft aus, was besonders im eher getragenen "Had It All" für Gänsehaut sorgt. Intensive Kontraste ergeben sich im Zusammenwirken von Sanders heiserem Organ mit dem Dailors. Die abschließende Hymne "Gigantium" macht auch deshalb ihrem Namen Ehre.

Nicht unerwähnt bleiben sollen freilich die instrumentalen Individualleistungen der Mitglieder. Ein Grund, warum "Hushed And Grim" so überzeugend gerät, ist, dass jedes der vier Mitglieder sich im Songwriting und Recording offenbar voll ausleben konnte und dennoch alles wie aus einem Guss wirkt. Bill Kelliher schreibt wie kein Zweiter Riffs, die proggiges Potenzial und Komplexität mit schnörkelloser Direktheit verbinden. Hinds, die personifizierte Lässigkeit, dagegen liebt Verzierungen und begeistert mit seinen Soli ("Gigantium"!) – wobei zwei weitere übrigens von Soundgardens Kim Thayil ("Had It All") und Nachwuchs-Blueser Marcus King ("The Beast") stammen. Sanders' abwechslungsreiche Basslines sorgen immer wieder für Highlights in der Tiefe (again: "Gigantium"). Als wertvollster Spieler im Bund kristallisiert sich jedoch einmal mehr Dailor heraus, und zwar von Sekunde Eins an: Sein manischer Trommelwirbel eröffnet das Album fulminant, lässt einem als Hörer gar keine andere Wahl, als unmittelbar einzutauchen. Es vergeht kaum eine weitere Minute, in der man nicht immer wieder verblüfft am Drumpart kleben bleibt. Das Faszinierendste daran: Obwohl er Fill an Fill reiht und kontinuierlich schwindlig spielt, drängt der passionierte Clown-Zeichner nie wirklich in den Vordergrund, sondern schneidet seine Akrobatik zu hundert Prozent auf den jeweiligen Song zu.

So freudig all das klingt – es hängen Schatten über "Hushed And Grim". Thematisch widmet die Band das Album unter anderem ihrem 2018 verstorbenen und nun im Herzen des Cover-Artworks verewigten Manager Nick John und verarbeitet in den Songs weitere Schicksalsschläge der letzten Jahre. Dementsprechend fällt die Grundstimmung eher düster aus; vielen Stücken haftet ein brütender Unterton an. Ausnahmen wie die offener klingenden Singles "Pushing The Tides" und "Teardrinker" (mit geradezu quirligem Solo) bestätigen die Regel. So hat "Hushed And Grim" atmosphärisch weitaus mehr mit der EP "Cold Dark Place" und der 2009 veröffentlichten Traumabewältigung "Crack The Skye" gemein als mit den jüngsten Longplayern "Emperor Of Sand" und "Once More 'Round The Sun".

Wohl auch wegen dieser dunklen Wolken als Leitbild ist "Hushed And Grim" trotz seiner Länge und Vielseitigkeit ein kohärentes Werk geworden. Mastodon definieren auf diesem neunten Studioalbum ihre Parameter nicht neu, fördern aber einige der schillerndsten Diamanten ihres über 21 Karrierejahre hinweg aufgebauten, ureigenen Klanguniversums zutage. Ob es ihre bis dato beste Platte ist, muss jede Hörerin für sich selbst entscheiden. Sie ist es in jedem Fall wert, sich lange damit zu beschäftigen.

Trackliste

  1. 1. Pain With An Anchor
  2. 2. The Crux
  3. 3. Sickle And Peace
  4. 4. More Than I Could Chew
  5. 5. The Beast
  6. 6. Skeleton Of Splendor
  7. 7. Teardrinker
  8. 8. Pushing The Tides
  9. 9. Peace And Tranquility
  10. 10. Dagger
  11. 11. Had It All
  12. 12. Savage Lands
  13. 13. Gobblers Of Dregs
  14. 14. Eyes Of Serpents
  15. 15. Gigantium

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LAUT.DE-PORTRÄT Mastodon

Mastodon ist nicht nur die Bezeichnung für einen prähistorischen Kollegen des gängigen Mammuts, sondern auch der Namen einer aus Atlanta, Georgia stammenden …

9 Kommentare mit 26 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Ein schönes POP-METAL-Album. So dunkel wie ein Arztkittel.

    • Vor 3 Jahren

      Weil so richtig badass böser Schwarzkittel-Metal in 250bpm mit düsterer Schminke und Grunzlauten ja so überhaupt nicht cringig-lächerlich ist. Da haben die Leute so richtig Angst vor. Dann ganz klar lieber Pop-Metal.

    • Vor 3 Jahren

      Er kritsiert doch lediglich ihre Hinwendung von geschmeidigem Sludge Metal (Remission) hin zum relativ belanglosen Pop-Tralala. Find ich durchaus valide.

    • Vor 3 Jahren

      Tut er das? Wo denn?

    • Vor 3 Jahren

      Und wo behauptet er, dass 250bpm Schwarzkittel Medöl nicht cringy sei...?

    • Vor 3 Jahren

      Wenn ihm Mastodon wie das absolute Gegenteil von "dunkler" Musik klingt, gehe ich mal davon aus, daß er solche lächerliche Grunzmusik abfeiert, die schon seit 20 Jahren keine Sau mehr schockiert. Er kann das gerne korrigieren, aber solange nehme ich das trollige Statement beim Wort.

      Über die Bandentwicklung hat er jedenfalls nix gesagt.

    • Vor 3 Jahren

      Über Angst machen und schockieren sagt auch keiner was. Niemand hat oder hatte je Angst vor Musik, insbesondere Grunzmusik.

    • Vor 3 Jahren

      Ja, das ist ein reines Troll-Statement. Wenn er es nicht mag, muss er es ja nicht hören. Ja, die frühen Alben waren härter, aber Mastodon ist weit von einem Weichspül-Pop-Metal entfernt, wie Volbeat es leider heute ist. (BTW: Von denen kam ein neuer Song raus und der klingt wieder was härter, aber der Chorus ist wieder sehr poppig und macht alles wieder kaputt.)

    • Vor 3 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 3 Jahren

      Öhm... Doch, Schwinger. Vor Musik hatten Leute schon oft Angst, auch speziell vor Metal. Schadlicher Einfluß auf die Jugend und so. Verführung durch Satan, Ritualmorde usw. Deswegen sind diese Metalrichtungen auch so albern, die sich für besonders böse, finster und hart halten (siehe: Deutschrap) - wir haben halt nicht mehr 1990, und das checken diese Musiker einfach nicht.

    • Vor 3 Jahren

      Leute, das ist einfach nur sehr glatt--poppig gefällig-unglaublich langweilig und seicht produziert-Jedes Album von den STOOGES klingt dunkler.

    • Vor 3 Jahren

      Hmjoa, da ist schon was dran. Bin auch nicht völlig überzeugt, aber das war ich auch länger nicht mehr bei Mastodon. Sind halt, ähnlich wie Baroness, in nem Bereich, der ein wenig mit Metal usw. spielt und eher "poprockige" Melodien benutzt. Wäre die Produktion weniger poprockig gefiele es mir auch besser.

    • Vor 3 Jahren

      "Vor Musik hatten Leute schon oft Angst, auch speziell vor Metal. Schadlicher Einfluß auf die Jugend und so."

      Das ist nicht Angst, sondern einfach nur reaktionär.

    • Vor 3 Jahren

      Konservative sind halt besondes ängstlich.

  • Vor 3 Jahren

    Einfach nur geil das Album. Gerade die letzten drei Songs haben mir die Schuhe ausgezogen. Wie geil das alles einfach klingt. Ich liebe Gitarrensoli und hier kommt man so dermaßen auf seine Kosten. Einfach nur fetter Sound. Für mich war "Once More Around The Sun" mein Lieblingsalbum von Mastodon, aber ich glaube das löst sich hiermit ab. Ja, das Album ist wirklich recht düster und im Vergleich zu den anderen Alben langsamer, aber scheiß drauf. Ich hab wirklich selten so ein geiles Album gehört. 5/5

  • Vor 3 Jahren

    Mit The Hunter doch eigentlich alles gesagt. Von den letzten 3 aber wahrscheinlich ihr stärkstes, kann ich mir fast zur gänze anhören. Vor allem wenn so alte Remission/Leviathan-Grooves aufgenommen werden und mit ausgereifteren Elementen verbunden sehr ansprechend.

    • Vor 3 Jahren

      Schade, dass sie nicht nochmal 'nen Sprung machen konnten.

    • Vor 3 Jahren

      Bin im Wesentlichen bei dir. Bislang guter Höreindruck, aber so ein krasser Sprung wie Blood Mountain - Catch the Skye ist nicht mehr zu erwarten. (wäre auch nicht fair.)

    • Vor 3 Jahren

      Definitiv nicht fair, weil der emotionale Einschlag von außerhalb der Band, der diesen Sprung damals wohl zu einem nicht unerheblichen Teil mit ermöglichte, allem Vernehmen nach auch diesmal wieder ausblieb.

      "Einfach" nur ne ziemlich gute Modern Metal Band, die ein auch für ihre Verhältnisse ziemlich gutes Modern Metal-Album aufgenommen hat also.

    • Vor 3 Jahren

      Inwieweit da die persönliche Tragik ein Motor war, kann und will ich nichht beurteilen. Das Resultat ist bekannterweise ein Quantensprung in deren Songwriting und Soundgestaltung. Wie gesagt, ist nicht mehr zu erwarten, aber die Band liefert weiterhin solide ab.

    • Vor 3 Jahren

      Songwriting-technisch erscheint mir CtS als absoluter Höhepunkt - was irgendwie schade ist - weniger releasen und dafür mehr feilen, wäre doch vermutlich möglich bei ihrem Status. Bei BM hat noch das Albumkonzept zur Kohärenz beigetragen, das fehlt bei ihren neuen Releases schon merklich.

      Anderes Problem erscheinen mir die Vocals - sie setzen geschickterweise schon auf 3 Sänger, aber das Hilft leider nicht darüber hinweg, dass jeder der 3 so in etwa 0 wandelbar ist. Eine neue Stimme für Mastodon!

    • Vor 3 Jahren

      Diesbezüglich schnuppern sie ja auch nicht erst seit gestern in die richtige Richtung, imo. Vielleicht beim nächsten mal jemand, der ohne die Band nicht gleich so vereinnahmend funktioniert?

      Jedenfalls - hätte ich die Ergänzung zu Kubis Add-on-Liste von im besten Deutungssinne echt gruseliger Halloween-Songs noch fertig bekommen, hätte sich dort die herrlich-kaputt scheppernde "Black Tongue"-Version von Leslie Feist ebenfalls darauf befunden.

    • Vor 3 Jahren

      Stimmt, da war doch was.

      Anyway, wollte ergänzen, dass sie im Grunde auch ohne Vocals funktionieren könnten, wenn sie es schaffen könnten, das ADS-Gewitter an den Drums ein bisschen zu reduzieren ohne an Spannung zu verlieren.

      ... Female-fronted Mastodon erscheint dann doch wahrscheinlicher und wer bin ich überhaupt, an denen rumzukritteln.

    • Vor 3 Jahren

      Also Remission funktioniert latürnich quasi ohne Vocals, aber so auf Über-Albumlänge müsste eben mehr gehen als Geshredder.

    • Vor 3 Jahren

      abcdefg die katze lief im schnee ::)

  • Vor 3 Jahren

    Ich will die ja irgendwie schon lange mögen, zumal sie mir schon öfter von Leuten, mit denen ich eine recht große gemeinsame Schnittmenge an musikalischen Vorlieben habe, empfohlen wurden, aber die gehen mir, bis auf ein paar wenige Tracks (Steambreather!!!) echt nicht so gut rein. :(

  • Vor 2 Jahren

    Ich kann mich den Jubel-Arien nicht so wirklich anschließen. Das Album zündet bei mir einfach nicht. Ist schon fast eine Enttäuschung.