laut.de-Kritik
Kutte an, Haargummi raus, Pommesgabel hoch, bangen!
Review von Sven KabelitzNeulich an der Metal-Theke: Ein netter Herr mit graumeliertem Haar, Ziegenbart und tätowierten Armen empfängt Sie freundlich: "Willkommen bei Metallica. Mein Name ist James Hetfield. Wie kann ich ihnen helfen? Darf es heute etwas '... And Justice For All' sein? Dazu vielleicht noch 200 Gramm 'Master Of Puppets'? Vielleicht sogar ein paar feine Scheiben 'Kill 'Em All'? Hier hinten haben wir noch ein bisschen 'Load' im Angebot." Niemand soll diesen Laden unglücklich verlassen. Über "Hardwired...To Self-Destruct" steht "Fanservice" in großen Neonbuchstaben.
Das Mülltonnengeklapper "St. Anger" und die Kakophonie "Lulu" waren grausig, aber in jeder Sekunde spannender als das zehnte Metallica-Album. Nicht jedoch besser! Nachdem die Band ihre Fans über Jahrzehnte herausforderte und verschreckte, bekommen diese 2016 nun genau das, was sie erwarten: puren Dienstleistungs-Metal auf hohem Qualitätslevel.
Hetfield, Ulrich, Hammett und Trujillo kehren acht Jahre nach dem Loudness War "Death Magnetic" endgültig zurück nach Hause. Dort bieten sie einen Querschnitt durch ihre ersten sechs Longplayer und die verschiedensten Metal-Stile. Von Thrash zu Heavy, ein Schlenker über NWoBHM und zurück. Kutte an, Haargummi aus dem schütterem Haar, Pommesgabel recken, bangen.
"Hardwired...To Self-Destruct" stellt vor allem Hetfields großes Comeback-Album dar. Fokussiert verzichtet er bei seinem Gesang weitestgehend auf billige Effekthascherei. Kaum Kaugummivocals, kaum "Yeahs!", "Yohs!" und "Arrrhs!", keine "Bohs!". Von den Soli ausgenommen, stammen sämtliche Gitarrenspuren vom Merica-Redneck. In jedem Riff, jedem Break spürt man die Zeit und Arbeit, die der Handwerker in den Longplayer steckte.
Metal-Gnom Ulrich, neben Phil Collins wohl der meistgehasste Schlagzeuger der Musikgeschichte, klingt bis über beide Ohren motiviert, zeitweise sogar übermotiviert. Scheinbar hat er diesmal tatsächlich vor den Aufnahmen geprobt und kriegt es hin, sich für kurze Zeit auf den Punkt zu konzentrieren. Manch eine der unzähligen Doublebass-Attacken klingt schon zu perfekt. Ein Schelm, wer denkt, dass hier die Möglichkeiten der modernen Studio-Produktion ausgereizt wurden.
Vorsicht, Solo! Leider zieht Kirk Hammett als größter Schwachpunkt die Tracks immer wieder unnötig nach unten. Kein verlorenes Smartphone entschuldigt diese ambitionslose, gelangweilte Vorstellung. "Ich fühle mich so, als ob ich alles spielen kann", tönte er im "Guitar World"-Interview, um dann auf "Hardwired...To Self-Destruct" doch wieder in dem Solo stecken zu bleiben, in dem er spätestens seit "Load" festhängt. Wah-Wah an, die Blues-Tonleiter hoch und runter gniedeln, fertig. Spätestens beim vierten Song "Moth Into Flame" wünscht man sich in die seligen Zeiten zurück, als er auf "St. Anger" ein Solo-Verbot auferlegt bekam.
Der Bassist spielt auch mit.
Auf Balladen verzichten Metallica. Dafür hagelt es Selbstzitate. Der Refrain von "Atlas, Rise!"? Bedient sich passend zum 2012 gegründeten Label bei "Blackened". Der Anfang von "ManUNkind"? "My Friend Of Misery". "Dream No More"? Hat reichlich bei "Sad But True" getankt. Warum hier 77:26 Minuten auf zwei CDs verteilt werden, während die 78:59 Minuten von "Load" noch auf eine CD passten, wird wohl auf immer ein Rätsel bleiben.
Der Opener "Hardwired" springt mit ausgefahrenen Krallen direkt ins Gesicht. Keine akustische Einleitung, keine Vorwarnung. Wütende drei Minuten Punk-Metal, die perfekt auf das Album einstimmen. Hier gibt es nichts Subtiles, nichts Elegantes, nur ungezügelte Aggression. Wir sind Metallica. Wir sind hier, wir sind laut, wir gehen nicht weg.
"Hardwired...To Self-Destruct" zeigt deutlich, was für ein Missverständnis die letzten Alben darstellten. Metallica sind Schreiner, die dir jederzeit eine hochwertige Kommode wie "Atlas, Rise!" anfertigen. Ein abwechslungsreiches Stück, dass sie mit Links zur ihrer eigenen Vergangenheit und einem mehrstimmigen und eingängigen NWoBHM-Solo verzieren. Ehrbares Metal-Handwerk, mit einem an die griechische Mythologie angelehntem Text dekoriert. Zur Kunst, zu einem für sie neuen Horizont, fehlte Metallica dauerhaft schlichtweg das Werkzeug.
Nach dem furiosen Auftakt nehmen sie leider etwas zu häufig den Fuß vom Gaspedal, was zu diversen Längen führt. Statt weiteren Brechern folgen Midtempo-Nummern, wie für "Metallica" geschaffen. Mitten in dieser Umgebung schaut Cthulhu in "Dream No More" auf ein freudiges Wiedersehen vorbei. "Cthulhu awaken / He sways in abyss returning / Inhaling black skies / He shakes with a torture burning / All lost in his eyes." In "ManUNkind" lassen sie gar die Blues-Riffs aus "Load" wieder von den Untoten auferstehen. Schade.
"Halo On Fire", die Drama-Queen des Longplayers, kommt in seinen cleanen, harmonieseligen Strophen einer Ballade am nächsten. In der Steigerung, die der längste Song des Albums durchlebt, hält er sich jedoch nicht lange an diesem Ort auf. Dieser markiert nur den Ausgangspunkt, das Auge des Sturms, aus dem sich die hymnenhafte Nummer episch erhebt.
Das Lemmy Kilmister-Tribut "Murder One", benannt nach dessen Verstärker, beginnt mit Clean-Sound in "Welcome Home (Sanitarium)"-Manier. Eine Vorlage, die Metallica im weiteren Verlauf leider zu selten nutzen. Anstatt der Verlockung nachzugeben, für ihren mit mit "Aces" und "Iron Horses" gefüllten Salut einfachheitshalber einen Motörhead-Track zu imitieren, schrieben sie einen lavazähen Song, der einige Zeit zum Wachsen benötigt. "Born to lose / Living to win."
Lemmy bleibt jedoch nicht alleine unter den Verstorbenen. "Blacked out / Pop queen, amphetamine / The screams crashed into silence." Nach "Amy" von Amy Winehouse' Schicksal bewegt, entstand das vor Iron Maiden und Slayer-Anleihen gespikte "Moth Into Flame". Seine Dynamik bezieht das Stück aus den mehrstimmigen Gitarrenparts, harten Riffs und Ulrichs Doublebass.
"Here Comes Revenge" baut mit wuchtigen Riffs und schreienden Gitarren langsam Stimmung auf. Dem gegenüber stehen die Strophen, in denen Hetfields melodische Gitarre gegen den bedrohlich voranrumpelnden Rhythmus kämpft. Der simpel gestrickte Refrain reißt all dies mit den wohl blödsten Lyrics des Albums mit dem Arsch ein. "Here comes revenge, just for you / Revenge, you can't undo / Revenge, it's killing me / Revenge, set me free."
Vom Genre im Allgemeinen und von Metallica im Speziellen erwartet man sicher keine Gedichtsbände, aber etwas mehr Mühe hätte man sich schon geben können. Ähnliches gilt - kurz zurückspulen - für "Hardwired". "We're so fucked! Shit out of luck!" Nicht wenige würden sich freuen, auch mal so "fucked" zwischen Milliönchen, schnuckeligen Familien und in den Griff bekommenen Suchtproblemen zu enden.
Mit dem Riff-Wirbelsturm "Spit Out The Bone", bei dem Ulrichs Doublebass hohl dreht, kommt das Beste zum Schluss. Metallica drehen die Uhren zurück auf den 25. Juli 1983. Zurück zu "Kill 'Em All". Hart, intensiv, schlichtweg brillant, ohne dabei die Melodie aus den Augen zu verlieren. Ein aus puren Adrenalin gestricktes Meisterstück, das wohl nur noch die größten Optimisten Metallica zugetraut hätten. Selbst Trujillo bekommt nun, nachdem er bereits seit 13 Jahre in der Band spielt, seine siebzehn Sekunden Fame ab. Ein kurzes Distortion-Bass-Solo, aussagekräftiger als jeder Hammett-Moment.
Im besten Track seit "… And Justice For All" schreien die alten Grantler ihren Fans ein "Hey, haben wir es nicht noch immer voll drauf?" entgegen. Die Antwort darauf interessiert sie bereits nicht mehr und geht im finalen Lärm von "Spit Out The Bone" unter. Ein Abschluss, der die Sehnsucht nach einem Metallica-Album, das komplett auf diesem Level spielt, weckt. Ein Longplayer, der so endet, kann schlichtweg kein schlechter sein.
Freilich könnte ein Metallica-Album nicht konservativer als "Hardwired...To Self-Destruct" klingen. Von Produzent Greg Fidelman rund in Szene gesetzt, ruft hier alles nach Tradition und nach Versöhnung mit den verlorenen gegangenen Fans. Nach dem Wunsch, die über Jahre abhanden gekommene Credibility zurück zu erlangen. Wir sind die Wauzis. Habt uns bitte wieder lieb. Dabei gelingt ihnen trotz mancher offensichtlichen Anbiederung und diversen Kritikpunkten das souveränste Album, das man von Metallica im 35. Jahr ihres Bestehens erwarten kann.
65 Kommentare mit 87 Antworten
Auf den Punkt, die Review. Plöp!
Puh, also wenn die Review stimmen sollte, dann muss ich ja doch noch ein Ohr riskieren bei dieser heißgeliebten, aber seit 1998 völlig abgeschriebenen Band.
Warte aber erstmal noch weitere Meinungen hier ab.
Einfach das hier anhören: https://youtu.be/m46Z0-HXySo
haha, wow!
Das klingt ja tatsächlich nach einer angenehmen Zeitreise! Fraglich ob man das braucht nach den übergrandiosen Alben von damals, die eh für alle Ewigkeit sind, aber das schon mal ein Argument, nicht schlecht.
Naja, ist fraglich, ob du mit der neuen was anfangen wirst können, wenn du die alten Alben so aufs Podest hebst. Ich bin recht angetan vom neuen Album, sind allerdings ein paar Langweiler dabei. Trotzdem fühlt sich das alles wieder viel lebendiger und homogener an als auf den letzten Platten.
Dann habe ich es also doch gehört. Feines Album, hätte ich ungefähr so vor knapp 20 Jahren erwartet.. naja. Wird sicher nicht viel Spielzeit bekommen, wenn ich zu Metallica greife, dann am ehesten zum Debut oder den 3 Nachfolgern.
3,5/5
Bild dir eine eigene Meinung
Deep Purple machen kein Child in Time mehr. genauso wie Black Sabbath kein Paranoid Album mehr einspielen.
Wobei man sagen muss, dass Purple mit Now?What! ein gutes Album mit reihenweise guten Songs heraus-gebracht haben. Metallica eben nicht. Es lastet alles auf den Schultern des Frontmanns. Das ist einfach zu viel.
"Neulich an der Metal-Theke: Ein netter Herr mit graumeliertem Haar, Ziegenbart und tätowierten Armen empfängt Sie freundlich: "Willkommen bei Metallica. Mein Name ist James Hetfield. Wie kann ich ihnen helfen? Darf es heute etwas '... And Justice For All' sein? Dazu vielleicht noch 200 Gramm 'Master Of Puppets'? Vielleicht sogar ein paar feine Scheiben 'Kill 'Em All'? Hier hinten haben wir noch ein bisschen 'Load' im Angebot." Niemand soll diesen Laden unglücklich verlassen. Über "Hardwired...To Self-Destruct" steht "Fanservice" in großen Neonbuchstaben."
DAS wurde beim Prodigy-Album kritisiert, Herr Kabelitz! Ich verlange eine Erklärung!!1
Wäre für mich eigentlich auch ein Kritikpunkt. Hier gab es jedoch, im Gegensatz zu Prodigy, zwanzig Jahre dazwischen, in denen sie andere Dinge ausprobiert haben. Außerdem stimmt hier einfach die Umsetzung.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
wow... vernichtene Kritiken hier, die ich nicht teile. Nachdem ich mit den Magnetic-Geschichten nicht so viel anfangen konnte, finde ich Hardwired mehr als solide. Knackige Riffs (natürlich auf den Punkt gespielt), ein akzeptables Maß an Härte (für mich rockt das... besser gesagt metalt das) und gesanglich noch ne Schippe druff gelegt. Metallica könnte Gold scheißen und es gäbe immer noch Leute, die sagen: na, das hätte jetzt aber mehr glänzen können... Die Zeiten von Masters, aber auf vom Black-Album sind vorbei... kommen auch nicht wieder (wie sollen die das denn auch noch toppen?)... aber ich höre Hardwired oft und gern. Cheers
pommesgabel bis zum truck.
Einmal gehört und zur sofortigen Erkenntnis gekommen das ein weiterer Durchlauf mich zu Tode langweilen wird.
Da blieb wirklich gar nichts hängen!
Hendrik ich bin bei dir. Gerade gesanglich ist das mit das beste von Metallica. Man hätte hier und da straffen können aber es ist eine sehr gute Metalplatte.
Das Album geht für mich grob in Ordnung. 4 Sterne ist aber schon etwas wohlwollend. Eine Ballade fehlt auch. Zugegeben, hätte ich auch ein leicht überdurchschnittliches Album Metallica nicht mehr zugetraut. Hat "Murder One" das verkappte Blink 182 Intro von "Adam's Song"? Wäre ja auch was für die "Analen"...
Weiß nicht warum dieses ziemlich okaye Album in vielen Augen besser ist als die, bis auf das lahme Instrumental, fast perfekte Death Magnetic entzieht sich auch komplett meinem Verständnis.