laut.de-Kritik
Furiose Bestandsaufnahme ohne Rücksicht auf Hörgewohnheiten.
Review von Toni HennigDie Berliner Band Mutter genießt seit gut dreißig Jahren im Underground Kultstatus. Dass bislang nur wenige Notiz von ihnen genommen haben, dürfte Sänger und Texter Max Müller aber kaum stören. Das Noise-Rock-Ungetüm entstand 1986 aus den Trümmern von Camping Sex. Deren wunderbar-selbstzerstörerisches "1914!" (1985) inspirierte sogar Thurston Moore von Sonic Youth. Auch auf "Der Traum Vom Anderssein" klingen die Berliner unberechenbar und kein bisschen gezähmt.
"So Bist Du" tritt aber zunächst indirekt die Nachfolge von "Wer Hat Schon Lust So Zu Leben" vom eher poppigen Album "Text Und Musik" (2014) an. Max Müller hat damals vor dem Aufschwung populistischer Parteien in die Köpfe derjenigen geschaut, die ihre sozialen und existenziellen Ängste auf Zugezogene und Migranten projizieren. So entlarvt er die Befindlichkeiten der sogenannten Wutbürger.
Das Ausmaß davon sieht man aktuell in den sozialen Netzwerken. "Egal, ob sie dir sagen, dass es so gewesen wäre, für mich klingt das wie eine Verschwörungstheorie, von der keiner weiß, ob es so gewesen ist", singt er anfänglich in "So Bist Du". "Jede Gewissheit, es könnte so gewesen sein, macht dich froh", fügt er mit lieblicher Stimme zu einer verführerisch-einprägsamen Melodie weiter an. Schließlich glauben viele Menschen nur noch das, was sie glauben wollen. Diese direkte Sprache benötigt keine Metaphern, keine ausschmückende Poesie. Als präziser Beobachter gegenwärtiger Zustände reicht deshalb wohl niemand hierzulande Max Müller das Wasser.
Das Titelstück knüpft eingängig daran an. "Die Zeit wird langsam knapp, die Angst die dir im Nacken sitzt, ist bedrohlich und sehr real", beschreibt er die Gefahr eines spürbaren gesellschaftlich-politischen Wandels. "Verdrängung heißt das Gegengift, das schon lange wirkt", bringt er die Kernbotschaft des Albumtitels auf den Punkt. Träume und Utopien leben weiter, verblassen aber zu kleinen Sehnsüchten, weil sich jeder gerne individuell selbst verwirklichen möchte. Trotz zahlreicher Möglichkeiten, unser Potential zu entfalten und etwas Neues zu erschaffen, führen die meisten von uns eine gewöhnliche Existenz.
Bleibt also eine Neuverortung in diesen Zeiten. "Willst du erfahren, wo du stehst?", fragt er in "Fremd". Antworten geben die weiteren Zeilen nicht. Es liegt am Hörer, den Worten eine subjektive Bedeutung beizumessen und gegebenenfalls sein Selbstbild zu hinterfragen. Einer ideologischen Kategorisierbarkeit verweigern sich Mutter aber seit jeher. Deswegen verlieren Max Müllers Texte nie ihre Relevanz und Wichtigkeit. Zur Blütezeit der Hamburger Schule haben Blumfeld aus seinen lyrischen Qualitäten geschöpft. Messer und Die Nerven tun es heute.
Dennoch steht auf "Der Traum Vom Anderssein" mehr denn je Intensität und Energie im Vordergrund, wie "Fremd" nachdrücklich und fulminant beweist. Mit wirbelnden, wuchtigen Drums und sich steigernden, überschlagenden Gitarren-Kaskaden kann man sich der repetitiven Sogwirkung dieses Stückes schwer entziehen. Man vergleicht Mutter deshalb nicht zu Unrecht mit den Swans.
Am besten halten sie diese Spannung in "Menschen Werden Alt Und Dann Sterben Sie" aufrecht. Die dissonanten Gitarren-Feedbacks von Olaf Boqvist schneiden rasiermesserscharf ins Fleisch, Florian Koerner von Gustorf baut mit seinen Drums wie Thor Harris bei den Schwänen eine bedrohliche Subtilität auf, während Max Müller mit Stimmverzerrungen etwas Unverständliches in dieser kathartischen Lärmorgie heraufbeschwört. So ungestüm wie auf dieser Platte hat man Mutter seit dem brachialen "Du Bist Nicht Mein Bruder" (1993) eher selten gehört.
Die heftigen und schweren Drumschläge am Ende von "Geh" kennen ohnehin kein Erbarmen mehr. Man wähnt sich als Hörer gekrümmt auf dem nackten Asphalt. Im Abschlusstrack "Kravmann" experimentiert Max Müller zu treibenden Krautrock-Rhythmen à la Can und Neu! mit Autotune. Hat man sich an die Stimmmodulationen gewöhnt, groovt diese Nummer jedoch unaufhaltsam wie ein Zehntonner nach vorne.
Die längst verdiente Anerkennung außerhalb der alternativen Musikszene erfahren Mutter aufgrund ihrer Kompromisslosigkeit und der stetigen Verweigerung gegenüber gängigen Marktmechanismen aller Voraussicht nach nicht mehr.
Ungeachtet dessen lassen sie sich seit ihrer Gründung in keine Schublade pressen. Mutter schöpfen ihre Kreativität wieder einmal aus sich selbst heraus. Das Album, das keine Rücksicht auf die Hörgewohnheiten nimmt, muss sich nicht hinter den besten Werken wie "Du Bist Nicht Mein Bruder" (1993) und "Hauptsache Musik" (1994) verstecken.
4 Kommentare mit 11 Antworten
Die verlinkten Videos sind Gold
Ja. Der hat sich hier einfach alles mit Mutter im Songtitel rausgesucht. Keine Ahnung, wieso.
Hier die Richtigen:
https://youtu.be/gysFuVKkgLg
Und paar ältere Sachen:
https://youtu.be/5wdrMtKEyZo
https://youtu.be/x9ObuIzVd0s
Mein Lieblingslied vom Regener ist ja "Arisches Kind", alleine die Teddybären-Zeile ist (in Ermangelung einer treffenderen Beschreibung) pures Gold. Will das irgendwann mal, mit meiner im Aufbau befindlichen kleinen Riotkid-Bande, vom Balkon der letzten unsanierten und deshalb Zugezogenen-freien Platte in Leipzig gröhlen. Fast so wie früher
Dachte erst an Sven Regener. Gröhle lieber "Die Erde wird der schönste Platz im All" herunter. Ist weitaus sinnvoller als der Kack.
hähä geklaut von rammstein, copyright lässt grüßen aber okay
Mutter gibt es schon 30 Jahre. Eher haben sich Rammstein von Mutter inspirieren lassen.
Hmmmm fragt man sich wer sich wohl jetzt aufgrund der Videoverlinkungen "löschen" sollte!
tonitasten? sicher??
nikolaus? wt? wasn fürn link dicker
Hab den entsprechenden Link mal gemeldet. Wusste selber nicht, was das für ein Dreck ist.
@jerome: Munkelt man.
Dass Mutter mit dem Namen schon seit 1988 bestehen lässt sich ja problemlos nachlesen.
Herbst '86 sogar, steht auf der Bandseite.
Der erwähnte Link, der nicht den Richtlinien entsprechen soll, ist jetzt nach erfolgter Meldung auch für immer gesperrt.
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Was Hennig anscheinend nicht wusste - alle Musik aus den Fingern von Max Müller.
http://www.kaput-mag.com/stories-de/dirk-d…
Eigentlich und soll aber bitte keiner schreiben.