laut.de-Kritik
Express Yourself - gegen alle Widerstände, mit allen Mitteln.
Review von Dani Fromm"You're now about to witness the strength of street knowledge." Wie prophetisch die Worte ausfallen, die ein wahrhaft spezielles Hip Hop-Album eröffnen, lässt sich am Veröffentlichungstag, dem 8. August des Jahres 1988, noch nicht ansatzweise absehen. Kommerziell erfolgreicher - oder auch nur im Bewusstsein einer interessierten Öffentlichkeit ankommender - Rap stammt bis dato so gut wie ausschließlich aus New York City.
"It's time to put Compton on the map", befindet eine Crew aus dem weit, weit entfernten Kalifornien, rammt unwiderruflich eine Markierung fettesten Kalibers in die Rap-Landkarte und ruft damit nicht nur die eigene Heimatstadt, sondern die gesamte Westcoast auf den Plan. Dabei handelt es sich weder um das erste Album von der Westküste, nicht um das erste Album, das dem Gangsterrap zugerechnet werden muss, ja noch nicht einmal um das erste Album der Niggaz With Attitude selbst.
Trotzdem: "Straight Outta Compton" überragt die - zugegebenermaßen noch ziemlich überschaubare - Rap-Landschaft wie der Burdsch Chalifa (von dem 1988 selbstredend noch nicht einmal der vermessenste Architekt zu phantasieren wagt) Dubai. Zweieinhalb Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung zählt das N.W.A.sche Zweitwerk unbestritten zu den Platten, die kennen muss, wer in der Kopfnicker-Gemeinde nicht ausgelacht werden möchte.
Mit Reimschemata, die sich zu weiten Teilen auf simple Endreime beschränken, lockt man 2011 freilich so wenig hinter dem Ofen hervor wie mit dem rückblickend stellenweise doch verdammt hölzern anmutendem Flow der Protagonisten. Die rohe Kraft, die in den ungeschönten Worten und den drastisch-plastischen Schilderungen steckt, fasziniert aber ungebrochen - genau wie die Frische der Beats.
"Ich hör' keinen Funk, ich hör' nur Hip Hop." Über derlei Blödsinn, den man seit einigen Jahren aus den Mündern offensichtlich unkundiger junger Menschen hören muss, die sich vermutlich für Hip Hop-Heads halten, hätten Dr. Dre, Eazy E und DJ Yella, die "Straight Outta Compton" das Beat-Fundament legten, bestenfalls schallend gelacht. Funkyness und Groove heißen die Zutaten, aus denen sich die Essenz dieses echten Alltime-Klassikers destillieren lässt.
Aus ihrem Patentrezept machen die Knaben dabei gar kein Geheimnis: "And this concludes our program / Of how N.W.A. makes a ruthless jam / Now first we take an average drum / Give it to Dre and the boy gets dumb." Nur, dass die Drums eben keineswegs durchschnittlicher Natur sind - und zudem nicht jeder einen André Young in seinen Reihen weiß.
Den Rest erledigen die MCs: "It's no secret that I sit alone at night / Pick up a pad and pen and begin to write / All kinda lyrics" - oder doch zumindest alles, das den gemeinen Comptoner Straßenjungen (und offenbar nicht nur den) Ende der 80er beschäftigt: "Straight Outta Compton" kredenzt den ganz alltäglichen Wahnsinns-Cocktail aus Diskriminierung, Drogen, Gewalt und Sex.
An der ungefilterten Darstellung stören sich Eltern, Sittenwächter - und die Ordnungsmacht. Falls sie nach "Appetite For Destruction" wirklich jemand für die gefährlichste Band der Welt hielt: Die Herrschaft der Guns N' Roses kann nicht lange angehalten haben. Das FBI rufen Axl und Konsorten jedenfalls nicht auf den Plan - schwer im Gegensatz zu N.W.A.
Die Ermittler fühlen sich - getroffener Hund bellt - von den Rassismus-Vorwürfen in "Fuck Tha Police" diskreditiert, wittern in der ganz und gar nicht zartfühlenden Nummer Aufrufe zum Polizistenmord. In einem Schreiben an Ruthless Records tut die Behörde ihren Unmut kund und fordert das Label auf, die beanstandete Platte umgehend vom Markt zu nehmen.
Etwa 100.000 Einheiten von "Straight Outta Compton" kursieren zu diesem Zeitpunkt in Rap-Untergrund-Kreisen. Bei Ruthless entschließt man sich zur Flucht nach vorne und macht die FBI-Beschwerde öffentlich. Plötzlich berichten die nationalen Nachrichten über die Crew aus Compton. Bessere Promotion hätte selbst der versierteste Marketing-Experte nicht aushecken können. Die Verkaufszahlen explodieren.
Airplay oder wie auch immer geartete Unterstützung seitens der Medien beschert der kluge Schachzug freilich nicht. Radio- und Fernsehsender ziehen kollektiv die Schwänze ein. 1989 weiß man weltweit noch von genau einer (!) Radio-Station, die wagt, "Fuck Tha Police" zu spielen: Bei Triple J, dem öffentlich-rechtlichen Jugendradio der Australian Broadcasting Corporation, läuft die Nummer seit sechs Monaten - bis es jemand merkt. Es ergeht die unmissverständliche Aufforderung, "Fuck Tha Police" aus dem Programm zu nehmen.
Die Antwort von Triple J sucht in der Radio-Historie ihresgleichen: "Um auf eine Art und Weise zu reagieren, die dem Selbstverständnis des Senders entsprach, spielten wir statt dessen N.W.S.s Track 'Express Yourself'", so steht es auf der stationseigenen Homepage nachzulesen. "24 Stunden lang ununterbrochen - 360 mal hintereinander." Damit pickt man zielsicher die Kernaussage des Albums heraus: "Straight Outta Compton" geht als ein einziges, wütendes Plädoyer dafür durch, sich auszudrücken. Gegen alle Widerstände, notfalls mit allen Mitteln.
"Gangsta, Gangsta" - ganz genau: "That's what they're yelling." Die dargebotene Gewalt, die so viele irritiert oder gar abstößt: MC Ren, Ice Cube und Mitstreiter glorifizieren sie keineswegs. Sie schildern, manchmal fast schon erschütternd unbeeindruckt, herrschende Zustände.
Hier und da erteilen sie Verhaltensratschläge, deren Logik sogar besorgten Erziehungsberechtigten einleuchten müsste: Wenn du eine erfolgreiche Karriere als "Dopeman" anstrebst, "boy you must qualify / Don't get high of your own supply". Wenn du dir außerdem keine Gonorrhö einfangen willst, lass' besser die Finger von der nächstbesten Crack-Hure, auch wenn sie den leckeren Namen Strawberry trägt. Wer würde da widersprechen wollen?
Ice Cube erteilt in "I'm Not Tha 1" Hilfestellung im Umgang mit einem anderen mäßig angenehmen Frauentyp. Sexistisch, klar. Verständlich aber auch - außerdem entschädigt allein schon das groovende Piano für eventuell fehlende political correctness. Piano und Bass geleiten auch durch eine andere, sinnig "Parental Discretion Iz Advised" betitelte Nummer: "If you fail to see read it in Braille: It'll still be funky." Wie unverrückbar wahr.
Neben astreinen Posse-Tracks bekommt jedes einzelne N.W.A.-Mitglied seine Solo-Bühne. Eazy E reitet seinen Alleingang in "8 Ball". The D.O.C. kommt neben Dr. Dre in "Parental Discretion Iz Advised" zum Zuge. "If It Ain't Ruff" ... tja, dann ist es nicht MC Ren. Selbst die sonst eher im Hintergrund operierenden Kollegen, DJ Yella und The Arabian Prince, treten ins Scheinwerferlicht - mit "Something 2 Dance 2", einem Cowbell-getriebenen Elektroboogie-Freiflugschein für B-Boys weltweit: "murder rap to keep you dancing" eben - wie eingangs schon der Titeltrack versprach.
Nicht zuletzt dank der freundlichen Unterstützung seitens des FBI erreicht "Straight Outta Compton" in kürzester Zeit Platin-Status. Mit Hip Hop von der amerikanischen Westküste ist ab sofort zu rechnen. Der Straßenkreuzer G-Funk rollt. Gangster-Rap befindet sich auf dem Vormarsch, unaufhaltsam. Ein Fass ohne Boden? Mag sein. O'zapft is. "Now continue to dance 'cos I'm thru with tha set."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
42 Kommentare mit 8 Antworten
zurecht!
genau dieses album ist einer der gründe, weshalb ich das deutsche spiegelbild immer als so unerträglich muffig empfinde.
diese geile mischung aus roher realitätsdoku und eigenen (!) künstlerischen ideen plus sex n crime-päckchen von leuten, die den eigenen kram musikalisch auch begreifen und herleiten.
die brannten halt wie ne fackel und nicht wie ein mühsam eingedeutschtes streichholz.
bei nem typen wie ice cube hat man auch nicht das gefühl, man müsste sich dauernd nach unten orientieren. diese fast raubtierhafte subversivität ist so dermaßen charismatisch.
wir haben hierzulande im genre (nicht nur aber dominant) diese gurken, die sich allesamt nicht zwischen prekariats(krümel)monster, rächer der migranten einerseits oder flennende blumentopfspießer für jungunionisten andererseits entscheiden können
großes theater kommt eben doch aus hollywood und nicht aus berlin/hh etc.
ich danke dir für den geilen und angemessen langen text, liebe dani
AAAAAHHHH JETZT weiß ich wo K.I.Z. den Titel von Straight outta Kärnten haben
nö. ein jahr vorher gabs bereits "n.w.a. and the posse".
war eine art compilation wenn ich mich recht erinner, denn erst SOC wurde doch so richtig als Album vermarktet und auch angesehen (allein schon qualitativ).
Neue Nigga-News: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/urte…
Wie also wollen wir künftig damit umgehen? Ich würde es vorziehen, wenn es da eine weltweit einheitliche Regelung für alle Menschen jeglicher Coleur gibt. Ebenso wie für den heutigen Gebrauch der Wörter "Zigeuner", "Jude", "Kartoffel", "Knoblaufresser", "Bleichgesicht", "Kümel", "Nazi", etc pp. - entweder alles als neuen Sprachgebrauch unter veränderten Vorzeichen gelten lassen, oder alles für immer stigmatisieren. Was meint ihr?
nigger
Was genau schlägst du als politisch korrekte Variante zu "Jude" vor? Darf man dann wenigstens noch Christ oder Muslim sagen?
Morphi: Guter Punkt, natürlich ist "Jude" ein völlig normales Wort, wird aber m.E. dennoch immer mit so einem "Oha, er hat Jude gesagt" Blick aufgenommen, besonders wenn man das Wort in einem Satz verwendet indem man zum Ausdruck bringen will, dass jemand (zu) gut wirtschaftet. Was ja so "eigentlich" keinen Nazi-Bezug hat, sondern nur auf die Tradition hinweist die die Juden als Banker, Finanziers, Händler, Geschäftsmänner, etc nunmal inne hatten.
Und ich wollte ja eben keine Alternativen zu diesen ganzen Wörtern, sondern ein allgemeines "locker machen" da all diese Begriffe heute allermeist in einem anderen Kontext verwendet werden, bzw die Deutungen sich gewandelt haben, bzw sich weitere Deutungen zu einer ursprünglichen hinzugesellt haben.
Ein Grammatik-Nazi z.B. ist heute klar jemand der andere ständig verbessert obwohl die Fehler ziemlich nichtig sind. Etc. - da wird nur der Bezug auf die unglaubliche Verbissenheit und Engstirnigkeit der Nazis genommen, nicht auf die Gesinnung.
So ist der Nigga heute auch eher der coole Schwarze im HipHop/Ghetto-Romantik-Kontext als der gedemütigte Sklave von damals.
Du bist so unerträglich dumm, das geht auf keine Kuhhaut.
Ebene genau dann, wenn ich JUDE im Kontext des "gut Wirtschaftens" benutze ist es diskriminierend. Denk vielleicht mal drüber nach, weshalb Juden früher Banker/Geldverleiher oder Händler waren. Manchmal ist es für mich wirklich schockierend, wie wahnsinnig dämlich du bist. Das macht mich wirklich betroffen.
Dass Du mich für unerträglich unsäglich unfassbar unendlich etc dumm hältst wissen wir hier alle seit Jahren, aber wiederhol das ruhig immer wieder.
Wen jemand gut wirtschaftet, dann ist das doch eine eher positiv besetzte Eigenschaft von ihm, oder? Ich meine, natürlich ist mir die Brisanz in diesen Begrifflichkeiten klar, mir gefällt nur nicht, dass eine gewisse PC (die von wem genau bestimmt wird?) immernoch vorschreiben will welches Wort 2013 wie besetzt ist. Natürlich kann man sich dann um einzelne Worte streiten und es z.B. bei "Jude" anders sehen als bei "Kartoffel", klar. Aber Nigger/Nigga ist doch das beste Beispiel wie sich eine eigentlich entsetzliche Bedeutung in eine völlig andere gewandelt hat, bzw. eine weitere Bedeutung sich paralell dazu durchgesetzt hat (Nigga als cooler HH-Dude).
Sicher kommt es aber in erster Linie darauf an welches dieser Wörter in welchem Kontext und in welcher Umgebung geäußert wird.