laut.de-Kritik

Zwischen siedenden Club-Tracks und kontemplativem Gospel.

Review von

"Als ich noch ein bekennender Christ war und jeden Tag zu Gott betete, war ich voller Selbsthass", erinnert sich Nakhane, der als Homosexueller in einer streng christlichen Gemeinde in Port Elizabeth, Südafrika aufwuchs. "Jeden Tag meines Lebens habe ich verzweifelt versucht, alles zu tun, um wie andere Menschen zu sein und heterosexuell zu fühlen. Ich habe mich sogar irgendwie davon überzeugen lassen, es wäre möglich, meine Homosexualität zu heilen. Ich habe ständig in Angst gelebt, meine Gefühle eines Tages nicht mehr kontrollieren zu können."

Den daraus resultierenden inneren Konflikt lässt der 30-Jährige seit Jahren Schritt für Schritt hinter sich und in die Musik einfließen, die in seinem Leben mittlerweile die Stelle des Glaubens eingenommen hat. In einem Umfeld, in dem gleichgeschlechtliche Liebe geächtet wird, kämpft er sich aus der unerbittlichen Erwartungshaltung der Anderen und eigenen seinen Angststörungen heraus hin zur Selbstakzeptanz.

Zum ersten Mal verarbeitete er seine Erfahrungen, noch unter dem Namen Nakhane Touré, auf dem hörenswerten Debüt "Brave Condusion" (2013). Klingt sein vertrackter Folk auf dem nur in Südafrika erschienenen Album noch nach einer Mischung aus Radiohead und Jeff Buckley, putzt er sich für seine nun international erscheinende Platte "You Will Not Die" neu heraus.

Nun steht Soul mit stark elektronischem Einfluss im Mittelpunkt. Er pendelt zwischen siedenden Club-Tracks und gedankenversunkenen Gospel-Stücken. Als verbindendes Element dienen die aus seinen Erfahrungen gestrickten Texte und die androgyne Stimme, die mal an Anohni, mal an Benjamin Clementine und gelegentlich an den sehr frühen Seal erinnert.

Gemeinsam mit dem Produzenten Ben Christophers (Bat For Lashes) entstand in London ein Longplayer, dessen Fundament elektronische Beats und energische Synthesizer bilden, die verzerrte und akustische Gitarren, Piano, Streicher, Chöre und traditionelle Elemente aus Nakhanes afrikanischer Heimat flankieren. Ein ebenso experimentelles wie tanzbares Werk, ebenso melodramatisch wie meditativ, das vom Abstreifen der Religion und dem Bewusstsein der eigenen Sexualität erzählt, ohne auch nur eine Minute lang verkopft zu klingen. Dabei wohnt "You Will Not Die" selbst in den feuchtfröhlichsten Momenten eine dunkle, gepeinigte Seele inne.

Diese offenbart Nakhane bereits im spannungsgeladenen Opener "Violent Measures" deutlich. Ein düsterer Trip Hop-Track von ganz tief unten, mit schleichenden Pianoakkorden, Gospel-Brummen und einem knarzendem Bass. Von hier aus nimmt "You Will Not Die" erst einmal Fahrt auf. Die stampfenden Beats, flitternden Synthesizer und die Refrain begleitende Gitarre führen das vielschichtige, von Jean Cocteaus Roman "Les Enfants Terribles" inspirierte "Clairvoyant" in eine wilde Party-Nacht. Ein dichtes Dickicht voll drängender Dynamik. Mit seinem Wechsel zwischen Falsettgesang und rauer, kratziger Stimme baut Nakhane einen ungemeinen Spannungsbogen auf.

Das zerbrechliche Titelstück "You Will Not Die" basiert auf diesem einen Schlüsselmoment im Leben des Musikers, Schauspielers und Autors, der das Album erst in dieser Form ermöglichte. "Eines Nachts im Traum hörte ich diese Stimme, die mir meinen Todestag nannte. Ich wachte auf, und mir wurde klar: Ich werde heute nicht sterben, nicht morgen und auch nicht in zehn Jahren. Mir geht es gut, und ich werde das Leben da draußen genießen." Ein Gedanke, der ihn von seinen Ängsten befreite. Daraus entstand eine emotionale, sich langsam aufbauende Klavierballade.

Ähnlich beginnt der Höhepunkt "Presbyteria" mit seinem einnehmendem "Black and white never looked so good"-Refrain. Ein intimer Rückblick auf Nakhanes von der Kirche und dem Glauben dominierte Zeit in den presbyterianischen Kirchen. Die Zeit, in dem selbst die ihn liebenden Menschen sagten, er lebe in Sünde, und er solle seine Sexualität unterdrücken. All die Sonntage im Gebet, in denen er sich selbst verneinte. Man spürt den Schmerz, der sich durch die Strophen zieht, doch Nakhane erliegt nicht der Wut. Stattdessen klingt er versöhnlich.

"And I know without a shadow of a fucking doubt / You always meant so well". Damit zeigt er sich einem elementaren Gedanken der Religionen näher, als all jene, die Nakhane ächteten und verteufelten: Der Vergebung.

Trackliste

  1. 1. Violent Measures
  2. 2. Clairvoyant
  3. 3. Interloper
  4. 4. You Will Not Die
  5. 5. Presbyteria
  6. 6. The Dead
  7. 7. Star Red
  8. 8. Fog
  9. 9. By The Gullet
  10. 10. All Along
  11. 11. Teen Prayer
  12. 12. Clairvoyant (Radio Mix)

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LAUT.DE-PORTRÄT Nakhane

Nakhane Mahlakahlaka alias Nakhane Touré ist Schauspieler, Schriftsteller und Musiker zugleich. Auf seinem preisgekrönten Debütalbum "Brave Confusion", …

2 Kommentare

  • Vor 6 Jahren

    Das ist ein tolles Album.
    Sehr elegisch und eine Stimme mit vielen Facetten. Das Glanzstück auf dem Album bleibt aber The DEAD , das zieht mir selbst die Socken und Schuhe von allein aus. Definitv mein erster Anwärter fürs Album des Jahre.
    Und gerade lese ich der ist auch noch schwul und schwarz. Erinnert an Frank Ocean. Langsam ist outen in der schwarzen Schwulenszene wohl doch kein so grosses Problem mehr, das wäre wünschenswert. Ich geb 5 von 5 .
    Ps. am 20.Mai schau ich mir den mal Live in Concert in Köln an.

  • Vor 6 Jahren

    Liegt es nur an "schwarz und schwul" oder warum erinnert mich die Musik irgendwie an Kele Okereke? Jedenfalls gefällt mir das Album sehr gut und vielleicht sehe ich mir Nakhane auch nächsten Sonntag im Artheater an.