laut.de-Kritik
Als der Rausch die ewige Quelle künstlerischen Schaffens war ...
Review von Christoph Dorner"Hey now now, hey now now / I'm driftin' back", singt Neil Young gleich zu Beginn seines 35. Studioalbums "Psychedelic Pill", und fast könnte man meinen, es wäre wieder das Jahr 1979. Schließlich rufen dieses markante Zitat und die beständig hohe, flatterhafte Stimme Youngs nicht von ungefähr "Hey Hey, My My" vom legendären Folk-Thunder-Album "Rust Never Sleeps" ins Gedächtnis.
Damals wie heute heftig rumpelnd im Hintergrund: Die treuen Vasallen von Crazy Horse. Dabei ist auch der Albumtitel, so viel wird klar, durchaus als nostalgische Reminiszenz an die jungen Karrierejahre als Drifter, als lärmender Herumtreiber zu verstehen. Und an den Rausch als ewiger Quelle künstlerischen Schaffens, obwohl - oder vielleicht gerade weil – Neil Young seit letztem Jahr Alkohol und Cannabis öffentlich abgeschworen hat.
Neil Young treibt also in seinen Erinnerungen flussaufwärts, vorbei am letzten wirklichen Feedback-Kracher "Ragged Glory" aus dem Jahr 1990, weit zurück in die Vergangenheit. Ein Suchender ist er ja immer gewesen. Nach der Punk-Folklore von "Americana" hat er dieser Tage mit "Waging Heavy Peace" (der deutsche Titel "Ein Hippie-Traum" ist etwas peinlich) auch seine Autobiographie veröffentlicht.
Darin umkreist er auf 475 Seiten in recht hölzernem und bisweilen selbstgefälligem Plauderton sein Leben - der Kanadier ist nun mal kein Großerzähler und intellektueller Sprachjongleur, sondern ein ewig grollender, manchmal naiver und stets erratischer Songpoet und politischer Zeitenspiegler an der elektrischen Gitarre.
Das Buch kommt auch in jenem ersten Song "Driftin' Back" zur Sprache, einem fast 28-minütigen, mäandernden Folk-Dröhner: "Dream about the way things sounded, write about them in my book", singt Young, ehe ein warmer, kulturpessimistischer Assoziationsreigen von Picassos als Tapete, dem von Young seit jeher verhassten MP3-Format ("When you hear my song now, you only get 5 percent") und einem "Hip Hop Haircut" auf einen einregnet, den sich der mittlerweile fast 67-Jährige verpassen lassen will.
Trotz seiner instinktiv-wuchtigen Jams ist "Psychedelic Pill" ein wunderbar altersweises Rock'n'Roll-Album, das man als amerikanische Bilanz lesen kann. Im 17-minütigen "Ramada Inn", noch so einem Midtempo-Epos nach der Formel eines Gassenhauers wie "Like A Hurricane", entwirft Neil Young das tugendhafte Bild einer lebenslangen Ehe als Antagonismus aus Liebe und Abhängigkeit. Das Musikvideo ist als LSD-trunkene Spazierfahrt durch das Amerika der 60er-Jahre angelegt.
Im hard-rockigen "Born In Ontario" erinnert sich der Drifter an die ersten Stationen seines rastlosen Lebens, im bauähnlichen Stampfer "Twisted Road" gar nach "From Hank To Hendrix" vom großartigen 1992-er Grunge-Antipoden "Harvest Moon" erneut an die Musiker, die in seiner Jugend für die Erweckungserlebnisse zuständig waren – eben Hank Williams, dazu Grateful Dead, Roy Orbison, Bob Dylan: "First time I heard Like a Rolling Stone / I felt that magic and took it home".
Noch ergreifender ist allerdings "She's Always Dancing", in dem die alten Recken mit süßer Melancholie auf den Zungen die Magie eines tanzenden Hippie-Mädchens besingen: "She wants to live without ties to bind her down / She wants to dance with her body left unbound / She wants to spin like she lives in her own world / She wants to dream like she was a little girl."
Selbst seine klassischen Folk-Wurzeln lässt Neil Young mit "For The Love Of Man" kurz aufleben, einer sinnlichen Ballade, die auch auf sein bis heute erfolgreichstes Album "Harvest" gepasst hätte. Und mit dem über 16-minütigen "Walk Like A Giant" wartet das längste Album in der Karriere des Neil Young zum Abschluss mit einem glühenden Portrait der Generation "Easy Rider" auf. Es sind diese Zeilen, die Youngs Klasse als Songwriter besser zusammenfassen, als es der Ton jedweder Biographie je könnte:
"We saw the lights and spiritual shining / Getting closer every minute / Then we skipped the rails, and we started to fail / And we folded you, and it’s not enough / Think about how close we came / I wanna walk like a giant on the land."
16 Kommentare mit einer Antwort
Neil Young is schon immer noch ne coole Socke. Kann den Letterman Besuch von vor ein paar Wochen empfehlen, bei dem er ein wenig von seiner Modelleisenbahnleidenschaft erzählt und davon, dass er jetzt ein Gerät entworfen hat, mit dem man analoge Signale absolut verlustfrei digitalisieren kann.
Werd das Album die Tage mal anhören, gespannt bin ich schon.
Das Album ist allererste Sahne - bin nach der sehr positiven Rezi jetzt schon fast überrascht, dass es keine 5 Punkte gab - egal - die gibts jedenfalls von mir. Neben 4 traumhaften Jam-Epen, die man sich wirklich ewig anhören kann ist noch das sehr starke "For the Love Of Men" hervorzuheben, dass wirklich an Harvest errinnert. Die restlichen Songs sind ebenfalls stark, einzig die Effekte auf "Psychodelic Pill" gefallen mir nicht so - aber dafür ist ja mit einer 2ten Version auf dem Album vorgesorgt. Daher kann ich nur sagen, dass das Album der absolute Hammer ist und ungefär auf dem Niveau von seinen alten Klassikern wie "Everybody knows this is Nowhere" "Harvest" oder "Rust Never Sleeps" ist.
das Album, auf das ich seit arc/weld warte. schicker text, herr dorner
@Liam Lennon (« Oha, mein Post von letztens steht hier gar nicht.. hatte mir nämlich sein interview nochmal angeguckt (davor zuletzt halt ende september) und mich ein stück korrigiert. zum einen geht es wie gesagt um das möglichst verlustfreie digitalisieren von masterbändern in der höchstmöglichen auflösung. und zum anderen hat er es eben ner firma vorgeschlagen und es dann mit denen entwickelt. wie gesagt, er bastelt halt gerne und hat bspw. seinem behinderten sohn spezielle trafos für die eisenbahn gebaut.
einfach ne coole socke
@album: ich bin unfassbar begeistert von 'driftin back', allein dafür lohnt sich schon der kauf. »):
hab auch noch ein bisschen was dazu gelesen, also das dateiformat ist nicht neu, nur die hardware.
"verlustfreies digitalisieren" ist übrigens schon immer möglich, aber der ipod kann glaube ich nativ keine solchen formate abspielen. pono halte ich dennoch für überflüssig, eine gute mp3 kann schon niemand mehr von einer CD unterscheiden und, wie ich letztens erst gelesen habe, kann eine derartig hohe sampling rate wie 192kHz das signal theoretisch sogar verschlechtern.
ach und ich höre gerade zum ersten mal "driftin back", gefällt sehr gut
musik fuern rolling stone.
Schienenersatzverkehr.
Einfach tolle Musik