laut.de-Kritik

Das Ende ist nah: So aussichtslos wie "The Downward Spiral".

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Schwere Krisen benötigen spontanes Handeln. Anstatt ihre Fans mit ihrem für später vorgesehenen Kollaborationsalbum noch weiter auf die Folter zu spannen, haben Nine Inch Nails ohne Vorankündigung mit "Ghosts V: Together" und "Ghosts VI: Locusts" die beiden Nachfolger des 2008 veröffentlichten Instrumentalwerks "Ghosts I-IV" kostenlos zur Verfügung gestellt.

"Ghosts V: Together" bildet ein hoffnungsvolles Album, das zwar kurzzeitig über die Corona-Krise hinwegtröstet, aber dem Nine Inch Nails- und den Soundtrack-Kosmos von Trent Reznor und Atticus Ross kaum Neues hinzufügt. Beim verzweifelten Gegenstück "Ghosts VI: Locusts" sieht die Sache schon etwas anders aus.

Zunächst weiß man aber nicht, wohin die Reise geht, wenn in "The Cursed Clock" zu düsteren Piano-Schlägen im Uhrzeiger-Takt und angespannter Elektronik etwas Ungewisses mitschwirrt. Wenn im folgenden "Around Every Corner" zu unheilvollen Drones und verspielten Klavier-Klängen einsame, manchmal auch gedämpft gespielte Trompeten-Töne erklingen, kommt man aus dem Staunen kaum heraus.

Jazzige Versatzstücke vernahm man zwar schon auf den "Watchmen"-Soundtracks von Trent Reznor und Atticus Ross, aber in einem so verlorenen Kontext wie auf dieser Platte wirken sie weitaus bedrückender. Die Trompete taucht auch in "The Worriment Waltz" inmitten paranoider Klang-Sphären und in "Run Like Hell" zu kompromisslosen Industrial-Schlägen à la SPK oder "Test Dept." auf. Dadurch gleicht die letztgenannte Nummer einem schwindelerregenden Ritt durch die Hölle, nur dass man sich mit der Hölle gegenwärtig auf Erden konfrontiert sieht. Etwas zu Lachen gibt es auf der Scheibe wahrlich nicht.

Insgesamt folgt sie ebenso wie "Ghosts V: Together" dem Prinzip der atmosphärischen Verdichtung, nur dass sich die einzelnen Klang-Komponenten statt zu mehr oder weniger gelungenen Einzeltracks zu einem in sich geschlossenen Gesamtkunstwerk zusammenfügen, das mit jedem weiteren Ton in immer tiefere Abgründe reißt, ohne Aussicht auf ein rettendes Licht.

Da sorgen auch die kurzen soundtrackartigen Sound-Miniaturen, die man zwischendurch immer mal wieder hört, keineswegs für Beruhigung. So schrillen in "When It Happens (Don't Mind Me)" zu horrorfilmartigen Xylophon-Klängen Marke Goblin und einer repetitiven Klavier-Figur, durchkreuzt von noisigen Gitarren-Einschüben, die Alarmglocken und "Temp Fix" schleicht so morbide voran wie einst das Titelstück auf "The Downward Spiral". Auch zeitgenössischen Klassik- und Kammermusik-Anklängen begegnet man ab und an, etwa in "Trust Fades".

Der Großteil der Tracks kommt aber letztlich einer entschleunigten Horror-Vision gleich, bestehend aus tiefsten Moll-Tönen am Klavier und beunruhigenden Dark-Ambient- und Post-Industrial-Wänden. Besonders eindringlich verdeutlicht dies "Just Breathe", wenn undurchdringliches Geschabe und schizophrene Stimmen purem Wahnsinn im Kopf gleichen. Dazu setzt Reznor jeden einzelnen Piano-Schlag so behutsam wie möglich.

Letzten Endes greift die Scheibe Versatzstücke früherer Nine Inch Nails-Alben genauso auf wie die Ästhetik des Post-Industrials und profitiert von der jahrelangen Soundtrack-Erfahrung von Trent Reznor und Atticus Ross, wobei die beiden an einigen Stellen ihren Sound-Horizont erweitern, wie "Turn This Off Please" eindrücklich unter Beweis stellt. Da laden nämlich rituelle Tribal-Grooves zum morbiden Tanz ein. Dazu bleibt dem Hörer zu nervösen Dark-Ambient-Klängen das Herz im Halse stecken.

Das schlägt zu noisiger Beat-Untermalung in "Almost Dawn" unaufhörlich immer schneller und kommt dann urplötzlich zum Stillstand. Im Anschluss geleiten ein paar schlichte Xylophon-Schläge und schwermütige Sound-Flächen in die ewige Finsternis, so dass man sich dem untröstlichen Gedanken hingibt: Das Ende ist nah. So aussichtslos wie auf "Ghosts VI: Locusts" klangen Nine Inch Nails nur noch auf "The Downward Spiral".

Trackliste

  1. 1. The Cursed Clock
  2. 2. Around Every Corner
  3. 3. The Worriment Waltz
  4. 4. Run Like Hell
  5. 5. When It Happens (Don't Mind Me)
  6. 6. Another Crashed Car
  7. 7. Temp Fix
  8. 8. Trust Fades
  9. 9. A Really Bad Night
  10. 10. Your New Normal
  11. 11. Just Breathe
  12. 12. Right Behind You
  13. 13. Turn This Off Please
  14. 14. So Tired
  15. 15. Almost Dawn

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