laut.de-Kritik
Der vielleicht beste Gig ihrer viel zu kurzen Karriere.
Review von Thomas KlausDie Vorzeichen hätten nicht schlechter sein können: Am 4. August 1992 liefert sich Kurt Cobain aufgrund seiner völlig aus den Fugen geratenen Heroinabhängigkeit selbst zur Entgiftung in die Cedars-Sinai-Klinik in Los Angeles ein. Kurz bevor seine Frau Courtney Love dort am 18. August Tochter Frances Bean zur Welt bringt, klappt der geschwächte Sänger ohnmächtig zusammen – zwölf Tage vor dem Reading-Festival, bei dem Nirvana als Headliner vor 60.000 schlammdurchtränkten Fans ihr größtes Konzert in England geben sollten.
Angestachelt vom Dauerfeuer der Boulevardpresse, die das Junkie-Pärchen und insbesondere Love ob ihres mutmaßlichen Drogenkonsums während der Schwangerschaft in der Luft zerriss, sowie den am Festivalsonntag kursierenden Gerüchten, Nirvana werden nicht auftreten und er selbst habe eine Überdosis erwischt, eröffnet Cobain das Konzert mit einer satirischen Slapstick-Einlage.
In Krankenhausleibchen und blondes Kunsthaar gewandet, lässt er sich vom hoffnungslos besoffenen Melody Maker-Journalist Everett True im Rollstuhl auf die Bühne karren, zieht sich mit allerletzter Kraft am Mikroständer hoch und bricht nach einer hingejaulten Songzeile theatralisch zusammen.
Die Zuschauer kapieren den Gag – klatschen, grölen und bekommen in den folgenden 90 Minuten einen Einlauf verpasst, von dem sie wohl bis zum Sankt Nimmerleinstag zehren werden. Denn aller widrigen Umstände und persönlichen Scharmützel zum Trotz liefern Nirvana an diesem Abend den vielleicht besten Gig ihrer viel zu kurzen Karriere ab. Kaum auszumalen, dass sie als Trio jemals kraftvoller, leidenschaftlicher und tighter zusammen spielten.
Die 'Band der Stunde' spielt (bis auf "Something In The Way") nicht nur die komplette "Nevermind" - auch
"Bleach"-, und "Incesticide"-Fans haben dank "Negative Creep", "Aneurism" oder "Been A Son" nix zu meckern. Cobain, Grohl & Novoselic (der die Menge in den Stimmpausen mit Witzen bei der Stange hält) sind offensichtlich nicht nur in Spiel- sondern auch in Spendierlaune und tischen ganze sechs rare bzw. brandneue Songs auf: Neben "Spank Thru", "The Money Will Roll Right In" und dem Wipers-Cover "D-7" gibt es mit "All Apologies", "Dumb" und "Tourette's" drei frühe Vorboten zu "In Utero".
Letzteres wird nebst Wink an alle anwesenden Bootlegger unter dem grenzdebielen Titel "The Eagle Has Landed" angekündigt. Here we are know, entertain us – das Motto des Abends gilt auch für den Überhit "Smells Like Teen Spirit", dessen Intro Nirvana absichtlich verpfuschen, um dann galant in "More Than A Feeling" von Boston (!) überzugehen. Kann man bei so (hüstel) ähnlichen Riffs ja mal machen.
Während sich die Headliner auf Festivals zuletzt zu einem exzessiven Schwanzvergleich der dicksten Lightshows und teuersten LED-Screens hinreißen lassen, transportiert
diese popanzfreie Performance aus dem Sommer 1992 eine geradezu anachronistische Attitüde: Leckt-uns-doch-alle-am-Arsch-wir-gehen-einfach-auf-die-Bühne-und-blasen-euch-das Hirn-weg.
"Sonic Exzess In Its Purest Form" – um es durch die Crowbar-Blume zu sagen. Wenn ihr also einem Ahnungslosen erklären wollt, was es mit dem Phänomen Nirvana auf sich hat(te), drückt ihm einfach diese DVD in die Hand. Deren Veröffentlichung war im Gegensatz zu manch überflüssigen Nirvana-Devotionalien
längst überfällig.
34 Kommentare
Schönes Review, da fängt man direkt wieder an zu schwelgen
Den Auftritt gibts glaub ich auch bei youtube in etwas schlechterer Qualität. Sehr zu empfehlen.
können sie die nicht endlich ruhen lassen?!
@zugehoert (« können sie die nicht endlich ruhen lassen?! »):
wenn's ein legendäres konzert war, warum nicht auf DVD veröffentlichen?
DAS Konzert will ich auch gerne sehen. Danke für den Hinwweis.
@Hagalaz667 (« Ich glaube, born_to_run will auch unbedingt mal 'ne Wusrt verstecken. »):
Genau
Ich glaube er will >>the kind of magic<<
TIEEEF in sich spüren
ein großertiges konzert!!
aber wo bleibt denn eig das live and loud?! das wäre auch noch interessant auf dvd.....aber sowas von!! bitte nur in uncut!! hach ja....