laut.de-Kritik

Eine neue Zugänglichkeit macht sich breit.

Review von

Als Chef hat man's nicht leicht, als Will Sheff wahrscheinlich auch nicht. Auf dem letzten Okkervil River-Album "I Am Very Far" versuchte der Primus inter pares, den bandeigenen musikalischen Kosmos neu zu verorten und setzte auf mehr Düsternis anstatt lebensfroher Melodien. Das Resultat: Gespaltene Reaktionen bei den Fans, eine Menge Unverständnis. So hatten sich einige ihren Indiepop nicht vorgestellt.

"The Silver Gymnasium", mittlerweile auch schon der siebte Langspieler der Texaner, könnte die Band mit diesen Hörern versöhnen. Die dunklen Wolken sind verschwunden, die Sonne scheint wieder, sogar heftiger als je zuvor. Und das, obwohl sich Sheff textlich mit seiner Kindheit in New Hampshire beschäftigt - nach eigenen Worten eine Zeit, die von einem ständigen Gefühl der Isoliertheit geprägt war. "Lido Pier Suicide Car", alleine der Titel dieses Songs spricht Bände.

"It Was My Season", ein harmonieverliebter Ohrenschmeichler, leitet den Reigen von zehn neuen Songs ein. Diese Nummer, auch gleichzeitig erste Single, funktioniert beispielhaft für die ganze Platte. Eine Art neuer Zugänglichkeit macht sich sofort breit und bleibt, bis der letzte Ton des Albums verklungen ist. "All The Time Every Day", das vorletzte Stück, drängt sich als zukünftige Indiepop-Hymne geradezu auf. Hübsche Bläserarrangements, mitsingkompatibler Refrain - Mädchen mit gepunkteten Oberteilen rund um den Globus geraten in Verzückung.

Ein weiteres Novum: Gesanglich hält sich Sheff etwas zurück. Waren Songs aus der Vergangenheit diesbezüglich manchmal harte Brocken für die eigene Belastbarkeit, hat der Mann wohl dazugelernt. Sehr wenige Melodielinien bewegen sich in jenem hohen Bereich, wo sich der Gute hörbar quälen muss und in weinerliches Geleier verfällt.

Dennoch: Wer seinen Gesangsstil vorher schon nicht mochte, mutiert aller Wahrscheinlichkeit nach auch jetzt nicht zum Sheff-Apologeten. Und auch musikalisch fehlt es etwas an Substanz. Die fröhlicheren Lieder gefallen zwar, aber zu echter Hochform laufen Okkervil River in melancholischen Songs wie "Where The Spirit Left Us" auf. Thematisch wie musikalisch erinnert "The Silver Gymnasium" gelegentlich an Arcade Fires "The Suburbs", zieht aber im direkten Vergleich dann doch deutlich den Kürzeren.

Trackliste

  1. 1. It Was My Season
  2. 2. On A Balcony
  3. 3. Down Down The Deep River
  4. 4. Pink-Slips
  5. 5. Lido Pier Suicide Car
  6. 6. Where The Spirit Left Us
  7. 7. White
  8. 8. Stay Young
  9. 9. Walking Without Frankie
  10. 10. All The Time Every Day
  11. 11. Black Nemo

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3 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 11 Jahren

    Jo, genau, Okkervil River: Damit verbinden die "Fans" Gute-Laune-Musik. So wie auf den lebensfrohen ersten Alben "Don't Fall in Love with Everyone You See", "Down the River of Golden Dreams" oder "Black Sheep Boy". Verrückt also, dass die Band ihren "bandeigenen Kosmos" auf "I Am Very Far" "neu verortet" hatte.
    Da ist jemand bestens informiert über die Band.

    • Vor 11 Jahren

      Auf dem letzten Okkervil River-Album "I Am Very Far" versuchte der Primus inter pares, den bandeigenen musikalischen Kosmos neu zu verorten und setzte auf mehr Düsternis anstatt lebensfroher Melodien. Himmel, Arsch und Zwirn, so etwas wird wirklich ohne gegenzulesen veröffentlicht? Auf einer Musikseite? Für Leute, die sich mit Musik beschäftigen? Wer in Gottes Namen darf denn da Rezensionen schreiben??? Ernsthaft, der bandeigene musikalische Kosmos vor "I am very far" bestand also aus lebensfrohen Melodien??? Also nichtssagendem Radiopop oder wie? Vielleicht sollte man sich mit der Materie mal ein bisschen beschäftigen, sieht a.) professioneller aus und b.) lässt die Leute daheim nicht verzweifeln über soviel Dilettantismus.

  • Vor 11 Jahren

    @prosa:
    Das dachte ich mir auch. Okkervil River klang noch niemals annähernd so "lebensfroh" (zumindest nicht auf Albumlänge) wie hier. Für mich als langjährigen Fan allerdings eine sehr angenehme neue Nuance der Band.
    Eine der schlechteren Rezensionen auf diesem Portal. Allein der Vergleich mit Arcade Fire wirkt gezwungen. Musikalisch sind "The Suburbs" und "The Silver Gymnasium" ja wohl meilenweit voneinander entfernt. Selbst thematisch hinkt der Vergleich, da es bei den Suburbs zwar um Heimat geht, aber vielmehr um die Rückkehr in die Heimat und deren Veränderung nach langjähriger Abwesenheit. The Silver Gymnasium hingegen behandelt viel mehr retrospektiv die Kindheit Will Sheffs.

  • Vor 11 Jahren

    Ich stimme meinen Vorrednern zu, allerdings halte ich die Wertung für gerechtfertigt, finde das musikalisch auch eher dünn für ein Okkervil River Album. Schade eigentlich.