laut.de-Kritik
Musik für Dokumentationen über Quallen.
Review von Yannik GölzManchmal erkennt man einen Hipster-Darling schon am Cover. "Choke Enough" von Oklou verströmt dieses Ambiente. Man kann gut und gerne davon ausgehen, dass es allein für dieses Bild in vierzig Jahren auf YouTube neu entdeckt wird. Koproduziert von A.G. Cook sowie Casey MQ und ihr selbst, hebt die Französin einen Sound aus der Traufe, der sich augenscheinlich an viele Trends der letzten Jahre anschmiegen will. Da ist späte PC Music, da ist Shygirl, da ist Bladees "Exeter"-Album, da ist auch ein Hauch von Y2K. Hört man "Choke Enough" nur als nächste Iteration in einer langen Reihe von hippen Verwurstungen der selben Formel, dann versteht man, warum viele Leute es relativ langweilig finden. Aber genau auf diese Art überhört man am effektivsten, was für ein eigensinniges Album das hier eigentlich ist.
Ich bitte um ein kleines Gedankenexperiment: Wir vergessen jetzt allen Kontext und alle kontemporären Referenzpunkte, die ich euch gerade gegeben habe. Hören wir wirklich nur das Album und lassen uns darauf ein, was hier eigentlich getan wird. Das erste, das sich aufdrängt, ist sein absolut radikaler Minimalismus.
Auf dem Papier sollte man definitiv meinen, dass das hier ein Pop-Album sein sollte. Es hat die Pop-Songstrukturen, es arbeitet klassisch mit Synthesizern und ein paar anderen elektronischen Elementen. Aber doch kommt das Projekt so unterschwellig, dass es immer wieder an die Grenzen des Ambients rutscht. Ich persönlich dachte immer wieder an Mort Garsons "Plantasia" - aber mehr als alles andere fällt es tatsächlich schwer, so richtig sinnige Vergleichspunkte zu finden.
Das Ding, warum der PC Music-Vergleich nicht wirklich zieht, ist: All diese Artists arbeiten auf irgendeinem Level an Ironie mit dem Konzept von Kitsch. Kitsch ist immer der ausgetretene Pfad des geringsten Widerstandes, eine Emotion auszulösen. Schmalzige Synthesizer = Nostalgie. Moll-Streicher = Trauer. All die Hyperpop-Kids haben mit einer Beschleunigung dieser Kurzschluss-Impulse gearbeitet. Aber Oklou macht quasi das genaue Gegenteil davon.
Allein dieser Titeltrack: Wir hören eine ganze Weile erstmal nur einen simplen, kristallinen Loop, der sich zu keiner Tonart bekennt. Man könnte meinen, wir hören Musik, die eine Dokumentation über Quallen orchestriert, bis irgendwann Oklou und ihre abstrakten, sperrigen Lyrics einsetzen. Auch ihr Vocal-Editing passt. Autotune und Re-Sampling werden eingesetzt, um einzelne Töne aktiv aus der Melodie herauszupitchen, wenn sie gerade zur Auflösung geführt hätte. Dieses Album arbeitet konstant daran, ein Gefühl von maximaler Offenheit und Ambiguität zu schaffen.
Das Ergebnis ist ein Tape, das mit bekannten Sounds ein sehr untypisches Soundbild schafft. Die Lyrics tun ihr Übriges: "Strawberry dancer, vanilla summer / Driver pull over, ice cream truck / Pumping the sweet tunes, I beg you to stop soon" singt sie zum Beispiel auf "ICT". Oder auf dem auratischen Closer "Blade Bird": "I've come to terms, my baby is a bird / When you're in the sky, I'm hoping you'll return / What can I say? Knew it right away / You are what you are, and I feel like a cage". Es ist kein kompletter Dada, aber die Stimmung ist uneindeutig und vielschichtig.
Immerhin die beiden Feature-Beiträge treten in der zweiten Hälfte ein bisschen in die Pedale. "Take Me By The Hand" von Bladee ist ein seltsamer, psychedelischer Slowdance von einem Song, auf dem diese beiden superartsy Kids aber doch eine beachtliche Chemie entwickeln. Man kann den Magnetismus im diesem Hin und Her nicht leugnen. Die Indie-Darlings von den Underscores kommen auf dem hynpnotischen "Harvest Sky" für einen letzten tatsächlichen Banger vorbei. Man fragt sich, ob der pulsierende House-Beat nicht die Zurückhaltung des restlichen Albums ein wenig unterwandert. Aber in Kombo mit den paganen Vibes und der späten Position in der Tracklist fühlt der Song sich doch wie verdiente Katharsis an.
Ich verstehe jede Skepsis. Vielleicht ist dieses Album doch nur aufgeblasene Hype-Spekulation. Aber nach ein paar Mal durchlaufen entfaltet sich bei mir doch immer mehr von dieser hypnotischen, surrealen Wirkung, die ich so bei den Referenzartists nicht finden würde. "Choke Enough" ist ein einzigartiges Tape, dass mit hohem Risiko auf einen sehr partikulären Sound geht. Sicher ist der nicht für jeden, aber ich weiß, dass es eine kleine Fraktion geben wird, die sich dafür vehement in das Projekt verlieben werden.
3 Kommentare
Gelungene Rezension zu einem gelungen Album!
family and friends locker einer der besten songs des (letzten) jahres
Frankreich halt.
David Guetta ist gefühlt der einzige Schneckenschnabulierer, der so gut wie nichts kann oder will, der Rest liefert eigentlich immer. Ändert sich auch hier nicht, schätze sie sehr.
Vielleicht muss ich mehr Froschschenkel mümmeln, oder so.