laut.de-Kritik

It Can't Rain All The Time.

Review von

Viel kitschiger könnte es wohl nicht beginnen: In bester Teenie-Film-Tradition lud sie mich zum ersten Date während eines Babysittens ein. Als das Kind schlief, schauten wir einen Film, hörten den "The Crow"-Soundtrack und knutschten schließlich zu Jane Siberrys "It Can't Rain All The Time". Hach, Kitsch as Kitsch can. Daraus entstand eine unschuldige, kurze Beziehung. Sie arbeitete in der besten Eisdiele der Stadt, war Cheerleaderin. Wer konnte schon ahnen, dass sie zu dem Zeitpunkt nur noch zwei Jahre zu leben hatte.

Wenn man sich mit James O'Barrs 1989 erschienener Graphic Novel "The Crow" beschäftigt, ist der Tod allgegenwärtig. Um den Unfalltod seiner Verlobten zu verarbeiten, die von einem betrunkenen Autofahrer überfahren wurde, vertiefte O'Barr sich in eine düstere Rachegeschichte. Der von einer Krähe aus dem Tod zurück geholte Protagonist Eric rächt sich an den Mördern seiner Freundin Shelly. Diese hatten die beiden in einer Oktobernacht während einer Autopanne überfallen und ermordet.

Den einzelnen Kapitel gab O'Barr die Titel "Pain", "Fear", "Irony", "Despair" und "Death", ließ sich zudem von der Musik von The Cure und Joy Division inspirieren. Immer wieder durchbrechen Songzitate die Graphic Novel. Dem Cure-Song "The Hanging Garden" widmete er eine ganze Seite, andere Passagen benannte er nach den Joy Division-Stücken "Atrocity Exhibition" und "Atmosphere".

Die größte Bekanntheit erhielt "The Crow" jedoch durch einen anderen Tod. Bis zu den Dreharbeiten war Brandon Lee in erster Linie als Sohn von Bruce Lee und aus einigen B-Martial Arts-Filmen bekannt. Seine Rolle als Eric Draven sollte dies ändern, seinem Schauspiel eine weitere Ebene geben. Die Story wurde auf Halloween verlegt, Eric zum Rockstar erklärt. Doch am 31. März 1993 starb Lee durch eine von Schauspieler Michael Massee (Funboy) abgefeuerte Kugel, die vorher im Lauf stecken geblieben war. Ein Unfall, der durch die hektischen, in Zeitverzug geratenen Dreharbeiten entstand.

Lange Zeit stand auf der Kippe, ob der Film überhaupt seinen Weg in die Kinos findet. Unter Absprache mit Lees Familie und mit der Hilfe eines Doubles und Ausschuss-Materials stellte Regisseur Alex Proyas den Film fertig, widmete ihn Lee und seiner Verlobten. Diese wollte der Schauspieler nach Ende der Dreharbeiten heiraten.

So makaber es klingt, aber unsere Popkultur führte durch Lees frühen Tod mit gerade einmal 28 Jahren dazu, dass der düstere, auf einem Indie Comic basierende Film einen Legendenstatus erhielt, den er im Normalfall wohl nicht erreicht hätte. Nun sah man einen toten Schauspieler in seinem letzten Film, in dem er von den Toten auferstand.

In einem Facebook-Post von 2017 ging Proyas auf die direkten Auswirkungen des Unfalls auf den Film ein: "'The Crow' ist nicht einfach nur ein Film. Brandon Lee starb bei den Dreharbeiten und der Film wurde als Zeugnis seiner verlorenen Brillanz und seines tragischen Verlusts fertiggestellt. Es ist sein Vermächtnis. Und so sollte es auch bleiben. /.../ Ohne Brandon hätte niemand jemals von diesem kleinen, ergreifenden Underground-Comic erfahren. Es ist Brandons Film. Ich denke, dies ist der besondere Fall, bei dem ihn Hollywood einfach als Zeugnis des immensen Talents und des ultimativen Opfers eines Mannes stehen lassen sollte."

Um die Story von "The Crow" zu erzählen, genügen im Grunde dreieinhalb Sätze. Viel mehr lebt der Film von seiner Atmosphäre, seiner Bildsprache. Später fand sich diese im Laufe des Jahrzehnts in Ansätzen in Filmen wie "Blade" oder "The Matrix" wieder. Hinzu kam ein Soundtrack, der selbst in einem Jahrzehnt voller großartiger Soundtracks ("Singles", "Pulp Fiction", "Trainspotting") heraus stach. Er war nicht die Sonne unter ihnen, sondern das dunkle, schwarze Loch. Der finstere Gegenspieler und Endgegner von "Singles". Musik und Film gingen dabei zeitweise derart Hand in Hand, dass man "The Crow" auch für ein Musikvideo halten könnte. Dazu verwebten sich Gothic Rock, Industrial, Alternative Metal, Grunge, Alternative Rock, Shoegaze und der damals noch als Crossover bezeichneten Rap Metal miteinander.

Mindestens so interessant wie die Lieder, die es letztendlich in den Film schafften, ist die Liste derer, die draußen blieben. Die Produzent:innen Jeff Most und Jolene Cherry einigten sich schnell drauf, eine Mischung aus neuen Songs und Cover-Versionen zu benutzen. Nach Lees Tod kam es jedoch zu vielen Umstellungen. Das wohl bekannteste Lied, das es nicht in den Film schaffte, war Radioheads "Creep". "Es war nach dem Verlust von Brandon", sagte Most später, "und vielleicht war ich emotional sehr betroffen. Als ich den Text hörte, habe ich mir einfach Sorgen gemacht. Aber im Nachhinein hätte ich objektiver sein müssen."

Ebenso außen vor blieb das extra für den Film geschriebene "Silverfuck" der Smashing Pumpkins. Immerhin einer ihrer besten Songs, schaffte es dieser über acht Minuten dauernde Sturm auf "Siamese Dream". Text-Zeilen wie "And she was my lover, so sweet / And she was my angel / And what I've recovered of me / I put into a box underneath my bed" und "Bang, bang, you're dead / Hole in your head" zeigen seinen ursprünglichen Verwendungszweck auf.

Außerdem wollten die Stone Temple Pilots eigentlich ihr altes Demo "Only Dying" überarbeiten und neu einspielen. Lees Tod brachte sie dazu, das Stück gegen "Big Empty" auszutauschen. Später landete "Big Empty" auf ihrem Album "Purple" und der Pole der amerikanischen Charts. Zudem wurden New Order angefragt, ob sie nicht ein Cover von "Love Will Tear Us Apart" aufnehmen wollten. Dies lehnte die Band jedoch ab.

Dennoch finden die im Comic so wichtigen Joy Divison und The Cure ihren Weg auf den Soundtrack. So wie O'Barr-Fan von The Cure war, war Robert Smith nach anfänglichen, etwas irritierenden Urheberrechts-Unstimmigkeiten Fan von seiner Arbeit und ließ es sich nicht nehmen, anstatt wie angefragt "The Hanging Garden" zu überlassen, einen neuen Song für den Film zu schreiben. Und was für einen.

Als einziger bekam Smith die Szene zugeschickt, in der sein Lied gespielt werden sollte. Die ikonische Szene, in der Eric Draven erstmals sein Make-up aufträgt. Wenig subjektiv unterlegte Smith dies in "Burn" mit schreienden Krähen und den Worten "'Just paint your face' the shadows smile / Slipping me away from you". Ein garstiger Basslauf und ein wirsches Schlagzeug treiben den Track voran. Ebenso spannungsgeladen wie hypnotisch begleiten die melodischen Gitarren Smiths verletzlichen Gesang: "Dream the crow black dream." Kein weiteres Lied fängt den Hauptprotagonisten dermaßen perfekt ein, versteht ihn so gut. Über 30 Jahre blieb dies der letzte wirklich große The Cure-Song. Erst mit "Songs Of A Lost World" näherte Smith sich wieder dieser Klasse.

Im Gegensatz zu The Cure waren Joy Division 1994 schon lange Vergangenheit. Dank Nine Inch Nails und deren "Dead Souls"-Cover fanden sie – mit Zustimmung von New Order – dennoch ihren Weg auf "The Crow". Reznors intensive Hommage an den Song fängt den Geist der Vorlage ein, verbindet diesen perfekt mit dem aggressiven Sound der eigenen Band. Die Verzweiflung in seiner brechenden Stimme führt die beiden Welten der Bands zusammen. Aus Curtis' entrücktem Gesang formt er ebenso wütende wie verzweifelte Schreie, die im finalen "They keep calling me / Keep On Calling Me" gipfeln.

Der sich langsam aufbauende Song war der erste, den Reznor im Le Pig-Studio aufnahm. Dieses hatte er in dem Haus errichtet, in dem Mitglieder der Manson Family einst Sharon Tate umbrachte. Erst danach begann er mit der Arbeit an seinem drei Wochen vor "The Crow" erschienenen Meilenstein "The Downward Spiral", der Nine Inch Nails erst zu der Band machte, als die sie heute bekannt sind.

Ein melancholischer Basslauf trägt das für die Violent Femmes eher niedergedrückte "Color Me Once", das in einem psychedelischen Gitarrensolo gipfelt. Eine ähnlich trostlose, jedoch aggressivere Stimmung schlagen Machines of Loving Grace mit "Golgotha Tenement Blues" ein. Der sich grollend voran schleichende Industrial-Sound baut ebenso auf eine sich schlängelnde Bassline. Nie ganz ausbrechend, verfügt der Track über eine ganz eigene Dynamik, die perfekt zu den verregneten Straßen Detroits passt.

Als ärgerlich lieblos fällt hingegen Rage Against The Machines Wahl aus, mit "Darkness" eine überarbeitete Version der "Killing In The Name"-B-Seite "Darkness of Greed" beizusteuern. Im Grunde kein schlechter Track, der zwischen Jazz-Passagen und dem üblichen Rap Metal-Sound der Band wechselt, lässt Zack de la Rocha seinen Wut über weißen Kolonialismus, den Umgang der US-amerikanischen Regierung mit AIDS und die Zerstörung der afrikanischen Kultur raus. Das ist alles wichtig, das ist alles gut, erscheint hier an diesem Ort und in diesem Film jedoch maximal fehlplatziert. Viel deutlicher hätten Rage Against The Machine es nicht machen können, wie egal ihnen der Film ist.

Mit "Milktoast" ließen die damaligen Kritiker:innen-Lieblinge Helmet einen ersten Ausblick auf ihr drittes Album "Betty" zu. Ein rifflastiges, rhythmisch hämmerndes Stück Alt-Metal, das zu einem ihrer erfolgreichsten Songs wurde. Hört man beim Cameo-Auftritt der Dream-Pop/Shoegaze-Band Medicine im Film eigentlich deren verzerrtes "Time Baby II", findet sich auf dem Soundtrack seltsamerweise das überarbeite "Time Baby III". In der deutlich ruhigere Version steht der Sängerin Beth Thompson nun Cocteau Twins' Elizabeth Fraser zur Seite. My Life With the Thrill Kill Kults "After The Flesh" klingt wie Sigue Sigue Sputnik in düster. Damals enthemmt und verrückt, hat dieser wilde Ritt mittlerweile wohl leider am meisten Staub angesetzt hat.

Stone Temple Pilots' melodisches "Big Empty" folgt der sich damals durch den Grunge ziehenden Leise/Laut/Leise/Laut-Songstruktur. Auf die sanfte Strophe folgt der raue, verzerrte Refrain. Dabei geht die Band noch weiter, lässt die Strophen mit leichten Jazz-Elementen fast still stehen. Ein perfektes Umfeld, um der Stimme des viel zu früh verstorbenen Scott Weilands jeden Raum zu bieten. Ein hervorragendes Stück, den Spuren ihrer Vorgängersingles "Plush" und "Creep" folgend. In der Düsternis des restlichen Soundtracks klingt es fast zu lieblich.

Schließlich klärt sich der Himmel über Detroit auf und Eric Draven findet seine Ruhe. Das sich durch den Film ziehende Mantra "It Can't Rain All The Time" bewahrheitet sich. Die kanadische Singer/Songwriterin Jane Siberry formte daraus zusammen mit dem Filmkomponisten Graeme Revell einen wunderschönen Abschied. Eine sanfte Ballade, tröstend und traurig. Ihre Stimme lässt Siberry wie Regen an einer Fensterscheibe herab perlen: "It won't rain all the time / The sky won't fall forever / And though the night seems long / Your tears won't fall / Your tears won't fall / Your tears won't fall forever."

Irgend etwas stimmte nicht. Bereits als wir noch zusammen waren, hatte sie auffällig oft starkes Nasenbluten. Kurz nach unserer Trennung meldete sie sich wieder. Sie war an Leukämie erkrankt, suchte eine Stammzellenspende. Zuerst hatte sie Glück, fand eine passende. Doch ihr Körper stieß diese ab. Eine zweite Spende konnte in der kurzen Zeit, die noch blieb, nicht gefunden werden. Sie starb 1997 mit zwanzig Jahren. Wenn ich den Film sehe, wenn ich Jane Siberrys "It Can't Rain All The Time" höre, denke ich an sie. Es regnet zwar nicht die ganze Zeit, aber manche Regenfälle hinterlassen tiefe Furchen. Registriert euch bitte bei der DKMS.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Burn (The Cure)
  2. 2. Golgotha Tenement Blues (Machines Of Loving Grace)
  3. 3. Big Empty (Stone Temple Pilots)
  4. 4. Dead Souls (Nine Inch Nails)
  5. 5. Darkness (Rage Against The Machine)
  6. 6. Color Me Once (Violent Femmes)
  7. 7. Ghostrider (Rollins Band)
  8. 8. Milktoast (Helmet)
  9. 9. The Badge (Pantera)
  10. 10. Slip Slide Melting (For Love Not Lisa)
  11. 11. After The Flesh (My Life With The Thrill Kill Kult)
  12. 12. Snakedriver (The Jesus And Mary Chain)
  13. 13. Time Baby III (Medicine)
  14. 14. It Can't Rain All the Time (Jane Siberry)

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