laut.de-Kritik
Feel it! The Powersurge!
Review von Alexander Cordas1987 war äußerst gut für den Metal. Helloween ("Keeper Of The Seven Keys Part I"), Guns N' Roses ("Appetite For Destruction"), Anthrax ("Among The Living"), Testament ("The Legacy"), Death ("Scream Bloody Gore"), Savatage ("Hall Of The Mountain King") veröffentlichten allesamt in jenem Jahr. Jedes dieser Alben gehört zum Kanon der harten Wurst. Dazu kann man guten Gewissens auch "Taking Over" der Thrasher aus New Jersey zählen.
Die Geburtsstunde von Overkill datiert ins Jahr 1980, als vier Halbstarke die Band aus der Taufe heben. Das erste Demo "Power In Black" klang so, wie man es sich von einer Nachwuchs-Combo erwartet: relativ schrottig im Sound, mit ein paar guten Ansätzen. Die weitere Entwicklung des Quartetts war dann eine stetige. Bemerkenswert war schon das Debüt auf Tonträger, die selbstbetitelte EP aus dem Jahr 1985. Davon landeten mit "Rotten To The Core" und "Overkill" zwei Tracks auf dem beachtlichen Album-Debüt "Feel The Fire", auch "Fatal If Swallowed" findet sich hier wieder. Ergänzt wurde das von dem epischen und progressiv anmutenden Track "The Answer", der wie ein Zwitter aus Iron Maiden und Black Sabbath klingt. Taktwechsel und Doom-Einflüsse inklusive.
Bei "Taking Over" nahmen Bobby Elsworth und D.D. Verni selbst auf dem Produzentenstuhl Platz und wählten einen Ansatz, der beim Sound wesentlich fieser und direkter in die Fresse haut als noch das Debüt. Das hört man von Sekunde eins an, wenn das Intro von "Deny The Cross" über den Hörer hinweg stampft. Rat Skates prügelt seine Toms warm, Bobby Gustafson und Verni flankieren, ehe nach knapp einer Minute die Luzie fliegt. Zu Highspeed-Riffs gesellt sich diese unverwechselbare Stimme von Bobby 'Blitz' Ellsworth. Im Gegensatz zum keifenden Konsens der Genre-Kollegen mutet er hier wie der Zeremonienmeister des Weltuntergangs an, wenn er seine Zeilen skandiert und sich keinen Deut um das Tempo des um ihn herum wirbelnden Chaos' schert. Aber keifen kann er auch wie ein wild gewordener Irrer, wenn er von zerschmetterten Schädeln und herausgetretenen Gehirnen zetert. Das passt in Kombi wie die Faust aufs Maul. Im Mittelteil unterbricht Midtempo den thrashenden Wahnwitz, und Blitz gibt einmal mehr den Conferencier aus dem Inferno, mit operettenhafter Intonation.
Mit "Wrecking Crew" folgt einer der Signature-Tracks von Overkill. Der Text ist so hirnlos wie noch was, aber steht sinnbildlich für den Sound: "We will walk all over you 'cause we are the wrecking crew". Bobby Gustafson unterbricht den Amoklauf mit wohldosierten Soli, die seine technischen Fähigkeiten demonstrieren. Zwar fudelt auch er mitunter das Griffbrett ähnlich hoch und runter wie King und Hannemann bei Slayer, aber es blitzt immer wieder heraus, dass er zu weit mehr imstande ist, als nur einen auf Speed-Monster zu machen.
Nach diesem famosen Opener-Duo ist es jetzt auch an der Zeit, mal über das Cover zu sprechen. Man kommt auch nach Dekaden nicht darauf klar, was dieser Nonsens eigentlich sollte. Hier von "Art"-Work zu sprechen, wäre eine Verhohnepiepelung jeglicher Kunst. Das Ding ist so komplett jenseits, dass man schon fast von Satire sprechen kann. Vier Dudes mit Maschinengewehr im Anschlag? Kannst dir nicht ausdenken! Egal. So kacke, wie das Cover aussieht, so gut ist dessen Inhalt.
Jener rumpelt mit "Fear His Name" wunderbar weiter. Etwas gemächlicher im Tempo, die Atmo bleibt aber nicht weniger bedrohlich. In der endzeitlichen Stimmung könnte man Texte über den Deifel und Okkultes vermuten, da kommt Blitz um die Ecke und zitiert mal eben das Matthäus-Evangelium. "If you live by the sword, you die by the sword". So kann's kommen. Overkill, die Sendboten des Herrn? Zumindest nicht des Satans, so viel ist sicher, denn "all evil fear his name".
"Use Your Head" mit Lyrics, die von Alkohol, Drogen und Nutten abraten, kommt nicht ganz an die Klasse der restlichen Songs heran, aber hier zeigt Rat Skates, was er als Drummer so alles drauf hat. Auch wenn er hier Thrash par excellence zelebriert, kann man heraushören, dass er einen Jazz-Hintergrund hatte, ehe er zur Band stieß. Das oben erwähnte schon von der EP bekannte "Fatal If Swallowed" präsentiert sich hier in einer ausproduzierten Version. Vernis Basslauf, Gustafsons spooky Gitarren-Einwürfe und Skates' Toms läuten den Antidrogen-Song ein. Fast sieben Minuten dauert das Fanal, in dem sich die Band Zeit lässt, den Irrsinn musikalisch einzufangen, im Mittelteil grüßen Iron Maiden mittels galoppierendem Rhythmus.
Mit "Powersurge" und "In Union We Stand" folgen danach zwei Klassiker, nicht nur im Overkill-Kontext. Eine Thrash-Bombe der Extraklasse und eine Hymne für die Ewigkeit. Ersteres, um die Matte derbe kreisen zu lassen, Letzteres, um mit dem Bier in der Linken und gereckter Faust zu grölen. Zwei herrliche Momente für die Hartwurst-Ewigkeit. "Powersurge" prügelt gnadenlos nach vorne weg. Blitz skandiert hier wieder einmal wie der Weltuntergangs-Prophet mit Engel des Todes-Stimme, die so gar nicht zu dem Inferno um ihn herum zu passen scheint, sich aber dann doch völlig harmonisch zu einem Mahlstrom oberster Kajüte vereint. Die Power des Refrains zieht einen unweigerlich mit. Unnachahmlich, wie der Sänger von der "PAUWASÖRDSCH" schwadroniert.
"In Union We Stand" als Quasi-Representer der Szene ist ein melodisches Schaf im Wolfspelz. Wäre da nicht die Riff-Untermalung im Hasenfick-Tempo, man könnte Gustafson auch eine akustische Klampfe in die Hand geben und das Ding würde trotzdem funktionieren: "From the islands to the cities, from the ports into the sea. We are strong, we will always be" la la la, Guantanamera. Scherz beiseite. Der Track ist die Overkill-Hymne schlechthin und zusammen mit "Wrecking Crew" der auf Konzerten meistgespielte Song.
Der Proto-Thrasher "Electro-Violence", der noch mal die Nackenmuskulatur beansprucht, bildet dann die Brücke zum zweiten Teil der "Overkill"-Saga, der mit fast acht Minuten fast epische Ausmaße annimmt. Hier deutet sich sachte an, in welche Richtung die Band sich hätte entwickeln können, wenn sie nicht den Pfad der reinen Lehre des Thrash gefolgt wäre. Progressive Elemente finden sich zwar auch noch in späteren Alben, aber spätestens nach "The Years Of Decay" war dann Schluss damit. Schade eigentlich.
Overkill legten mit "Taking Over" den Grundstein für ihre Karriere und ihren typischen Sound, mit dem sie zwar nie im Mainstream landen konnten, aber ohne große Unterbrechung seit Beginn der Achtziger unterwegs sind. Kaum ein Album der später zum Quintett angewachsenen Veteranen fällt durch den Qualitäts-TÜV, "Taking Over" schon dreimmal nicht.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
3 Kommentare mit 3 Antworten
Chronologisch gesehen nach der Among The Living mein zweiter Thrash-Meilenstein, denk ich. Kein Ausfall dabei, absolut würdig!
Ach du Scheiße, gestern hab ich noch Lea verteidigt, heute wird mir eines der Metal-Highlights meines Lebens vor Augen geführt. Hmm tja, mir wurde immer schon kopfschüttelnd vorgeworfen (aber meist augenzwinkernd), welchen krass verschiedenen Stilen ich etwas abgewinnen kann.
Aktuell gebe ich mir auf dem Weg zur Arbeit die gesamte Diskografie von King Diamond.
Zu meinen letzten Konzerten gehörten Overkill, Max Raabe, noch diese Woche sehe ich Helge Schneider live...
Weihnachten '87 habe ich mir die Taking Over schenken lassen, die Familie konnte meine Begeisterung nicht teilen, durch das bekloppte Cover konnte wohl auch eher kein Vertrauen aufgebaut werden.
Ich liebe diese Scheibe einfach von der ersten bis zur letzten Sekunde, mehr kann ich dazu nicht sagen.
Ich habe mir damals die Fuck you-EP zu Weihnachten gewünscht. Wegen dem Cover hat meine Mutter mir die aber nicht kaufen wollen.
Die Taking over ist ein absoluter Meilenstein, die anderen Platten haben mich allerdings nie abgeholt.
Bei mir sind es die ersten vier Alben, bis zur Years of Decay find ich alle top. Danach war es schlagartig vorbei. Bis heute veröffentlichen sie ordentliche Alben, das reicht aber alles nicht mehr, um sich in meinen Playlists festzusetzen.
Also ich finde ja die Horroscope noch sehr stark. Allein schon der schön krachende Opener Coma - für mich sind also die ersten 5 Alben alle top.
Wenn es um die 00er Jahre geht, kann ich jedem noch die Ironbound empfehlen. Die hat mich zum Fan gemacht. Live in Overhausen ist für mich auch noch ein gelungenes Release aus der Spätphase.
Sehr schöner Meilenstein! Der Sound ist herrlich roh und kraftvoll und ist für mich die Definition von Thash. Overkill II ist auch der beste Part der legendären Saga.