laut.de-Kritik

Die Entdeckung der Endlichkeit.

Review von

Daniel Gildenlöw als streitbaren Charakter aufzufassen, fällt allein bei einem Blick auf die Diskografie seiner Band Pain Of Salvation nicht schwer. Der Progressive Metal-Melange der Anfangstage folgten Ausflüge in schroffe Industrial-Bauten, Folk-Idyllen und Progressive Rock-Nostalgien. Erst "In The Passing Light Of Day" knüpft 16 Jahre später wieder dort an, wo die Band 2002 eine Zäsur markierte.

Als Gründer und Kopf der schwedischen Prog-Institution blieb Gildenlöw stets einer Maxime treu, nämlich dem Wandel. Als nachdenklicher Mensch verzettelt er sich gerne, verrennt sich auf der stetigen Suche nach Perfektion, die letztlich unerreichbar bleibt. Der Weg ist das Ziel, namentlich festzumachen an den beiden Road Salt-Alben oder eben an "Remedy Lane".

Das 2001 konzipierte Werk dient vielen Fans als Leuchtturm in der Bandgeschichte, da es Zeugnis von der unkonventionellen Musiksprache der Schweden ablegt sowie eine zutiefst ehrliche Bewältigung des Liebeslebens des Fronters darstellt. Remedy Lane stellt zudem das letzte Album des Quintetts dar, das mit dem Einmaleins des Prog in Form von einem Konzept und Leitmotiven sämtliche Klischees erfüllt. Die Gildenlöwsche Auffassung dieser oftmals konventionellen Spielart lautet, die maximale Freiheit in der 12 Ton-Skala zu finden. Der Fokus liegt stets auf dem zerrütteten und grüblerischen Innenleben, getragen von wiederkehrenden Parts, die jedoch selten in schlüssiger Songgestaltung enden. "This Heart Of Mine (I Pledge)" oder "Second Love" bilden die Ausnahme von dieser Regel und gehen als konventionelle Balladen durch.

Der Rest ist es ein organisiertes Chaos aus gegenläufigen Stimmen und Instrumenten, ein eklektisches, fast anarchistisches aufeinander Loslassen, in der Hoffnung, dass es irgendwie zusammenfindet. Dies hat zwei Gründe.

Zunächst gibt es keine fortlaufende Story, sondern Spotlights auf die Biografie des Sängers, der sich hoffnungslos in den Irrungen und Wirrungen seines Eros verliert. Jeder Psychologe hätte seinen wahren Freud daran. Liebe in all ihren schmerzlichen physischen und psychischen Ausprägungen ist das Thema. Der Hörer durchlebt Zerrissenheit, Abschied, Trauer, die Entdeckung der Endlichkeit und all das Herrliche wie Traurige, das die Einmaligkeit von Lebenssituationen ausmacht.

Der Stream Of Consciousness wird zum zweiten von einer rhythmischen und Jam-lastigen Herangehensweise flankiert. Das Angebot für eine Support-Tour mit Dream Theater im Jahr 2002 bildet den Anstoß das Album in kürzester Zeit zu schreiben, auszuarbeiten, aufzunehmen und abzumischen. Diese Arbeitsweise lässt den Funken überspringen und sorgt für Überraschungen. Das kreative Spiel mit dem musikalischen Material bedingt, dass der Sound der Platte ein wenig an der Seite runterfällt. Ein Umstand den Gildenlöw zu korrigieren versucht, indem er "Remedy Lane" zum 15-jährigen Jubiläum als Remix-Version von Jens Bogren (Opeth, Kreator, Devin Townsend) nebst Live-Aufführung neu in den Ring wirft.

Das Schreiben als therapeutische Maßnahme sowie der terminliche Druck beim Songwriting ergeben eine explosive Mischung, die gerne zu Schnellschüssen führt, in diesem Fall jedoch in brillante Songs mündet. Die irren vertrackten, metrischen Passagen in "Fandango" symbolisieren das Loslassen und Klammern in einer Paarsituation. Die aufbauschende emotionale Wucht in "Undertow" entwickelt ihren Sog durch die harmonische und dynamische Re-Kontextualisierung des gleichen Parts.

"Chain Sling" besticht durch die enge Verzahnung von Stimme und Instrument. Diesem Song wohnt ein folkiger Unterton inne, der vom faszinierenden Zusammenspiel von Gitarren und Piano lebt. "Dryad Of The Woods" ist ein besinnlich-verstörender Anker bevor das von elektronischen Klängen dominierte Titelstück den Ohrwurm "Waking Every God" einleitet.

"A Trace Of Blood" beginnt mit einem Jim Steinman-Gedächtnis Piano, das hymnische Jubelstürme evoziert. Die sich daraus schälende, positiv gefärbte Melodie ist nur von kurzer Dauer. Die Freude auf die bevorstehende Vaterschaft trifft auf die Abgründigkeit und den Schmerz einer Fehlgeburt, zum Ausdruck gebracht durch Vertracktheit und Härte.

"Remedy Lane" ist ein Streiflicht des Neoprog der Nuller Jahre und steht in einer Reihe mit Dream Theaters "Scenes From A Memory", Spock's Beards "Snow", Transatlantics "SMPTe", Ayreons "Universal Migrator Part 1 und Part 2" oder "In Absentia" von Porcupine Tree. Intensität und Überraschungsmoment sind bei Pain Of Salvation vielleicht noch größer. Das Leben schreibt eben die besten Geschichten und Authentizität schlägt jede fantasiereiche Ausschmückung. Der aus Biografie kreativ überspringende Funke aus einer Laune heraus resultiert in einem atemberaubenden Flow in Musik und Text, einem Stream Of Consciousness der über die Ufer tritt, die Gedanken flutet und heillos süchtig macht.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Of Two Beginnings
  2. 2. Ending Theme
  3. 3. Fandango
  4. 4. A Trace Of Blood
  5. 5. This Heart Of Mine (I Pledge)
  6. 6. Undertow
  7. 7. Rope Ends
  8. 8. Chain Sling
  9. 9. Dryad Of The Woods
  10. 10. Remedy Lane
  11. 11. Waking Every God
  12. 12. Second Love
  13. 13. Beyond The Pale

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LAUT.DE-PORTRÄT Pain Of Salvation

Im zarten Alter von elf Jahren gründet Daniel Gildenlöw 1984 in seiner Heimatstadt Eskilstuna in Schweden seine erste Band Reality. Trotz diverser Personalwechsel …

5 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Nicht einverstanden, In the Passing Light of Day finde ich abwechslungsreicher und spannender.

  • Vor 7 Jahren

    Darf ich mal vorsichtig fragen ob dieser Meilenstein schon länger geplant war oder ob „In The Passing Light of Day“ das Album nach vorne gespült hat? Den, seien wir ehrlich, PoS sind nicht unter den Top 10 der wichtigsten Prog Metal Bands. Nicht mal unter den Top 20. Ich verlange ja nicht das man hier alles chronologisch abarbeitet aber dieses Album hätte nun wirklich noch warten können solange man die großen Klassiker wie „Operation MindCrime“ oder „Images and Words“ noch nicht behandelt hat.

    Zum Album an sich: Ich kann Gildenlöws Stimme nicht ab, die klingt immer eine Spur zu weinerlich. Gerade wenn die Band dann in solch insgesamt eher ruhige Gefilde sich vorwagt wird das immer etwas anstrengend zu hören. Deshalb tendiere ich persönlich auch eher zu „One Hour by the Concrete Lake“, da ist einfach mehr Zunder drin.

    • Vor 7 Jahren

      Wenn die Wichtigkeit von Progmetalbands irgendwie messbar wäre, was sie natürlich nicht ist, dann wüsste ich nicht, warum PoS da nicht locker in den Top 20 sein sollten.

    • Vor 7 Jahren

      Weil es 20 andere Progbands sind die wichtiger sind. PoS haben das Genre bei weitem nicht so geprägt wie Crimson Glory noch haben sie ihm jetzt Facetten hinzugefügt wie Ayreon.

    • Vor 7 Jahren

      Ayreon ist top aber wenn du von 20 Bands redest und eines deiner beiden Musterbeispiele, das ja bestenfalls echt gut seien sollte, Crimson Glory ist, dann ist das nicht besonders überzeugend. Die sind doch viel eher Glam/Hair- als Progressive Metal und Pain Of Salvation finden in einem ganz anderen Soundkosmos statt.

    • Vor 7 Jahren

      "Transcendence" ist ein absoluter Meilenstein in Sachen Prog Metal, auf einer Stufe mit Queensrÿche "Operation Mindcrime". Gerade was die komplexen Gitarrenläufe angehen, schon allein dafür haben sie ihren Meilenstein verdient.

  • Vor 7 Jahren

    Da berauscht sich einer an den eigenen Worten, mehr um selbst Aufmerksamkeit zu erregen als um ein'Kunstwerk' zu würdigen. Fragwürdige Rezi, relativ unwichtige Band. Eher Pflaster- als Meilenstein. So kann man diese Rubrik auch entwerten, in der eh öfters ein Haufen Bullshit Ehren einfährt, der es nicht ums Verrecken verdient hat. Keep it TRUE, suckers!

  • Vor 7 Jahren

    Definitiv ein verdienter Meilenstein aber dann bitte auch möglichst bald “Deadwing“ oder “In Absentia“.