laut.de-Kritik

Ein weiteres Schlüsselkind täte Deutschrap gerade gut.

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Pilz startet mit einer Standortbestimmung. "Alles, was ich bin, ist 'ne Frau, die gut rappt", formuliert sie einleitend ihre Sicht auf sich selbst. "Statements" kommt als Appell daher, sich auf die Grundtugenden der "alten Schule" zu besinnen. "Rap ist drei Minuten zeigen, was man kann, und danach bin ich in meinem Alltag Nine to Five gefangen." Von der unterschwellig angriffslustigen Produktion, die sich abgesehen von einigen Gaming-Sounds keine Sperenzchen erlaubt, bis zu ihrem fokussierten, genau akzentuierten Vortrag spiegelt das Gesamtprodukt "Gift & Galle" diese Sichtweise wider.

Bei allem Genre-Gräuel weckt ihr missbilligender Blick aber auch Schutzreflexe. "Das Rap-Geschäft ist so kaputt und so zerrüttet. Und deswegen hab' ich keine Lust da Rücksicht drauf zu nehmen", ätzt Pilz in "Statements". Klar, die Eurosportler Azet und Dardan mögen die Charts dominieren und der moralamputierte Sun Diego die Rap-Klatschpresse, doch ob sie mit alledem repräsentativ sind, dürfte doch eher fraglich sein. "Ich hab' mich an die Scheiße gewöhnt, ich hab' mich so an diese Scheiße gewöhnt", gaukelt sie zwar vor, doch die Raserei auf Albumlänge widerlegt ihre vermeintliche Resignation.

Bereits ab "Bildet Banden" widmet sich die Rapperin ihrer Lieblingsdisziplin, dem politischen Protestsong. Mit Éasy, Lila Sovia und Vandalismus wütet sie über einen EDM-Beat gegen die AfD und Antisemitismus, Massenabschiebungen und patriarchale Strukturen. "Tretet nach oben!", lautet der zentrale, gerade hierzulande oft missachtete Mahnruf. Was klar zur Hörbarkeit beiträgt, ist die mitgelieferte Attitüde. Pilz nimmt in ihrer Kritik nie eine moralisch überhöhte Position ein, sondern rappt stets in Kampfpose mit einer Hand zur Faust geballt und der anderen mit festem Griff um den Baseballschläger.

Allerdings hat ihre Dauerwut auch zwei Haken. Zum einen leidet ihr durchaus beachtlicher Rap-Vortrag, der ohne emotionale Variation mit der Zeit geisttötend wirkt, zum anderen vernebelt der Zorn auch ihren eigenen Geist. Konkreten Problemen begegnet Pilz, indem sie betont, "kein' Respekt für den Staat und das Gesetz" zu haben. In "Gift & Galle" arbeitet sie sich an Inflation, Einsamkeit, fehlenden Therapieplätzen und dem nur theoretischen Leistungsprinzip ab, um daraufhin kopflos durch die Straßen zu rennen und fortlaufend "Riot, Riot, Riot, Riot!" zu skandieren. Doch wem ist damit geholfen?

Immer wieder hat ihr Widerstand reinen Schlagwortcharakter, etwas wenn sie in "Alerta" die Dauerbrenner "Eat the Rich" und "Mach kaputt, was dich kaputt macht" bemüht. Einen Middleground kennt Pilz ohnehin nicht. Aus der korrekten Problembeschreibung, wonach Reiche reicher und Arme ärmer werden, leitet sie den naiven Lösungsvorschlag ab: "Hauen auf die Kacke, bis der Kapitalismus aufhört, zu atmen." Und wer soll überhaupt die "irrelevante, linksradikale, polarisierende Hippie-Visage" sein, die dem Rezipienten angeblich verbieten wolle, Linienbus zu fahren?

Wie hervorragend ist dagegen das krachende, mutmaßlich autobiografische "Nicht Allein", das sich dem Horror eines sensiblen Kindes zwischen einer bedrohlichen, verständnislosen Mutter und seinem "Erzeuger" widmet, der mit ihr nichts zu tun haben will? Die persönlichen Abgründe setzen ihren Groll nochmal in einen neuen Kontext. Da helfen auch identitätspolitische Kategorien nur bedingt. "Ich bin weiß, ich bin cis", gesteht Pilz in "Pitties", doch habe sie "immer den Schlüssel am Hals" getragen. Daran sollte sie künftig anschließen. Deutschrap würde ein weiteres Schlüsselkind gerade guttun.

Trackliste

  1. 1. Statements
  2. 2. Bildet Banden (mit Lila Sovia, Éasy und Vandalismus)
  3. 3. Alerta
  4. 4. Gift & Galle
  5. 5. Ill
  6. 6. Ching Ching
  7. 7. SOS (mit Anouar)
  8. 8. Enfant Terrible
  9. 9. Nicht Allein
  10. 10. Pitties
  11. 11. 9 To 5 (mit Blanko Malte)
  12. 12. Es Is Mir Scheißegal

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