laut.de-Kritik
Er war ein Gott auf Jamaika. Bis irgendwann Bob Marley kam.
Review von Michael SchuhGaaanz laaangsam kommt der "Train To Skaville" ins Rollen, um mal mit den legendären Ethiopians zu sprechen: Letztes Jahr ist via Dynamite! endlich wenigstens mal eins der ewig verschollenen Prince Buster-Studioalben in einer Neuauflage erschienen: Das hier vorliegende "I Feel The Spirit". Wir sprechen vom Debüt des wohl großartigsten Jamaica-Ska-Sängers der 60er Jahre. Weder das Two Tone-Revival Ende der 70er (Madness, Specials), noch die Third Wave Of Ska in Europa (The Toasters, The Butlers) und den USA (No Doubt, Mighty Mighty Bosstones) wären ohne ihn denkbar.
Das in unserer Meilenstein-Rubrik übliche Gewichten von Popularität und musikhistorischer Bedeutung einzelner Alben ist bei dem heute 77-jährigen Cecil Bustamente Campbell aka Prince Buster daher außer Kraft gesetzt: Weder "Judge Dread Rock Steady" noch "What A Hard Man Fe Dead" (1966/67), zwei der großartigsten Ska-Alben aller Zeiten, sind heute zu fairen Preisen erhältlich. Ganz zu schweigen vom grandiosen Live-Album "King Of Bluebeat" (Live in London 1967, an seinem 29. Geburtstag), das 2001 von einem spanischen Label in absurder Kleinstauflage vertrieben wurde. Selbst die 'reguläre' Prince Buster-Best Of "Fabolous Greatest Hits", laut Discogs seit 1968 ungefähr acht Mal neu aufgelegt, fristet heute ein unverschämtes Ebay-Dasein. Sogar auf meinem "I Feel The Spirit"-Vinyl heißt es: "Limited to 500 copies" (also schnell zugreifen!)
An der Verfügbarkeit seiner Platten lässt sich leider ablesen, welch kümmerlichen Stellenwert Buster heute im Mainstream genießt. Jimmy Cliff, Desmond Dekker, Laurel Aitken, Toots And The Maytals: Sämtliche Ska- & Reggae-Größen, mit denen Buster damals eine Revolution anzettelte, haben heute einen halbwegs anständigen Back Catalogue, wenigstens auf CD. Von Bob Marley sprechen wir erst gar nicht.
Welche Karriere Prince Buster bevorstand, war in den 50er Jahren nicht mal ansatzweise zu erkennen. Er wuchs in einer Art Compton-Viertel im Westen von Kingston auf. Straßengangs, Raufereien, das ganze Programm. Unglücklich mit seinen beruflichen Aussichten als Schienenarbeiter bei Kingston Railways, wendet sich Campbell dem Boxen zu. Ende der 50er lernt er den späteren Reggae-Pionier Sir Clement 'Coxsone' Dodd (Gründer von "Studio One") kennen, dessen "Downbeat"-Soundsystem eine der ersten mobilen Diskos der Insel ist. Dodd erkennt Busters Talent, allerdings in den Oberarmen: Der hochgewachsene Buster wird Security-Mann. Begeistert von den allabendlichen Dance-Parties, gründet er bald lieber seine eigene Straßen-Disse: das Voice Of The People-Soundsystem.
Auch in diesem Metier sind seine finanziellen Aussichten eher überschaubar und so wendet sich der kontaktfreudige Entrepreneur eigenen Kompositionen und dem Produzieren zu. "I Feel The Spirit" erscheint ein Jahr bevor sich Don Drummond, Roland Alphonso, Tommy McCook und Johnny "Dizzy" Moore mit befreundeten Musikern zu der gefeierten Groove-Kapelle The Skatalites zusammen schließen; hier sind sie auf einigen Tracks schon zu hören.
Das Album beginnt im klassisch synkopierten Früh-60er-Ska-Sound des spirituellen "Wash Your Troubles Away" (auch: "Wash Wash"), auf dem der Anfang September 2015 gestorbene Posaunist Rico Rodriguez einen seiner frühen großen Auftritte hat. Rodriguez spielte bereits auf Busters erster Single "Little Honey", erschienen 1961 unter dem Terminus Buster's Group, später auf "Oh Carolina" von den Folkes Brothers (bekannt auch als Shaggy-Cover) und dem Evergreen "Rudy A Message To You" von Dandy Livingston (bekannt auch als Specials-Cover).
Seinem Leitspruch "Voice Of The People" bleibt Buster treu. Er ist einer aus dem Volk. "The rich man got money, the poor man got nothin'" klagt er etwa in "Little Honey", was sich auch als Giftpfeil in Richtung seiner gut betuchten Konkurrenz zu verstehen ist. Ein anderer früher Song, "My Sound That Goes Around", fasst die Stimmung der frisch unabhängigen Karibikinsel im Jahr 1963 gut zusammen: Der Soundsystem-Emporkömmling Buster gibt den Ton an. Dabei beweist er immer wieder ein feines Näschen für den Zeitgeist und komponiert angeblich binnen weniger Stunden den Unabhängigkeitssong "Independence Song", der das stolze Volk komplett ausrasten lässt. Laurel Aitken, ein anderer Vater der Bewegung, hat sich da schon nach Großbritannien abgesetzt.
"Hold Them", ein sehr früher Rocksteady-Track", nimmt das typisch schnelle Schunkeltempo raus und lässt die Rhythmusabteilung glänzen, die mit geringsten Mitteln einen unwiderstehlichen Groove zaubert, auf dem Busters Alleinstellungsmerkmal gegenüber vielen Zeitgenossen deutlich heraus sticht: Der Mann hat einfach Soul in der Stimme.
"Shaking Up Orange St." hebt diese Feststellung auf ein neues Level: Ein gewöhnlicher Offbeat genügt dem grandiosen Selbstdarsteller, um sich in Ekstase zu croonen und seinen Geburtsort, die Orange Street, als Brutstätte des Ska zu deklarieren: "Ooooohooh sweet beat, shaking up Orange Street" - und später - "There is nothing to conquer / Buster wears the honor / My crown they can't wear / It ago put them in fear."
16 Jahre später sollten sich in Nord-London sieben Typen nach einem seiner größten Hits benennen und ihm mit der ersten Single "The Prince" angemessen Tribut zollen. Die Rede ist vom Rocksteady-Übersong "Madness" (7"-Titel: "Madness Is Gladness"), dem 1964 mit "Al Capone" und "One Step Beyond" zwei weitere Vorzeigetune folgten.
Findet man diese noch auf diversen Ska-Samplern, ist "Time Longer Than Rope" ein weiteres dieser unbekannten Buster-Juwelen, das den Kauf dieses Albums rechtfertigt. Eher schmückendes Beiwerk sind in diesem Zusammenhang Songs wie Pete Seegers Protestlied "We Shall Overcome", das sein politisches Engagement belegt oder der Titelsong, eine Glaubenshymne mit unzähligen Amens und Hallelujahs.
Wie nahe Ska dem Soul kommen kann, belegt Buster im amourösen "Closer Together", bevor das abschließende "Soul Of Africa" sogar als Instrumental begeistert und in ungewohnt jazzigem Gewand die Ursprünge der jamaikanischen Musikgenres (Mento, Calypso) würdigt, die u.a. natürlich auf den afrikanischen Kontinent zurück deuten.
Wenn Bob Marley der internationale Reggae-Star der 70er Jahre war, so ist Prince Buster sein direkter Vorgänger. Produktionen mit eingerechnet spricht man von 500-600 Aufnahmen, die Buster in jenem Jahrzehnt unters Volk gebracht hat. Bejubelt vor allem in der Karibik, Großbritannien und Amerika. In den späten 60ern sollte der Beef mit Kollege Derrick Morgan zur Hochzeit des Rudeboy-Hypes noch zu zahlreichen Buster-Classics führen ("Judge Dread", "Blackhead Chineman"), weshalb ich auch dringend zum Erwerb der umfassenden Compilation "Fabulous Greatest Hits" rate. Auf dass bald noch mehr Musikliebhaber der großen Kunst dieses heute zurückgezogen in L.A. lebenden Songwriters verfallen und seine Textzeile aus "Shaking Up Orange St." abnicken: "Like a fish in the sea you're caught in my net". In Ewigkeit, Amen. Hallelujah.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare
Würdige Worte
Skank on!
Jetzt aber Nowhere. Oder Spiderland.
Da hier ja auch Soundtracks gwürdigt werden, wäre ich mal für einen Ennio Morricone Meilenstein. Am besten für Once Upon a Time in America