laut.de-Kritik
Dem Lagerfeuer-Rap fehlt der Biss.
Review von Alexander Austel"Ich habe das Gefühl, dass in den letzten 20 Jahren in unserer Gesellschaft ganz viel ungeheure Umwälzungen stattgefunden haben, die uns nicht bewusst sind." Eben diese will Prinz Pi dem Hörer auf "Im Westen Nix Neues" nahe bringen: "Ich versuche immer, die große Welt aus dem Kleinen, aus dem Privaten heraus zu erklären."
Diese Herangehensweise erlaubt Pi, über persönliche Dinge zu sinnieren, etwa wenn er seiner Tochter erklärt, warum Kinder andauernd belogen werden. "Die Füllung Vom Kissen" beschreibt ebenso raffiniert wie einfach die täglichen Lügen, um das Leben ein kleines bisschen erträglicher zu machen:
"Das Kind ist eingelullt von Unwahrheiten, und wir tun das auch gerne. Wir betten uns gerne auf Kissen, das ist die Metapher in dem Song, ohne zu wissen was in dem Kissen steckt. Wir ziehen einen weichen Bezug darüber, waschen ihn mit unserem Lieblings-Waschmittel, schlafen seelenruhig darauf und merken gar nicht, was für Leichen wir da im Keller liegen haben."
Auch an anderer Stelle erhält man Einblicke in das Privatleben des Friedrich Kautz. Die "Ballade Für Jojo" beschreibt das Auf und Ab seines Liebeslebens, "Familienalbum Seite 19" rechnet mit dem "bösen Mann" ab, und "21:04 / Schwarzer Lack" prangert den Unsinn des betrunkenen Feierabends an. Daneben erzählt er "1,40m" breite Liebesgeschichten, erinnert sich im Rückblick an die Schulzeit und verteilt hier und da eine Schelle Richtung Konsum-Gesellschaft.
Bei all der Detailverliebtheit und dem offensichtlichen Anspruch, nicht nur ein abwechslungsreiches, sondern auch etwas zum Nachdenken zu erschaffen, vermisse ich hier und da Ecken und Kanten. Das Album kündigte er bei Instagram mit den Worten an: "2/3 'Kompass Ohne Norden' mit 1/3 'Rebell Ohne Grund' mit drei ordentlichen Schuss krassesten Biztram-Beats, zwei Teelöffel frischer Ingwer, etwas Tabasco und ordentlich Crushed Eis. Ballert bös." Ne, ballert leider viel zu wenig. Ansonsten wäre dieser Silberling hier nämlich richtig fett geworden.
So aber, abgesehen von dem homogen pumpenden Kopfnicker "Weiße Tapete / Minimum" und dem trotz treibender Melodie zu zaghaften "Werte", geraten die Tracks eine Nummer zu schmusig. Die ganze Platte lebt von einem angenehmen Lagerfeuer-Flair, an dem man sich wärmt und mit der Zeit langsam eindöst. Die sehr musikalisch gestalteten Beats hängen so federleicht über den Songs, dass sie den breit gefächerten Themen-Gebieten nicht den gebührenden Wumms verpassen. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Biss fehlt.
Was der Berliner textlich auf dem Kasten hat, beweist er mit wenigen Ausnahmen ("Biztram ist nicht Farid, doch hat ordentlich Banger am Start") über die gesamte Spielzeit von über einer Stunde. Das bereits erwähnte, an seine Tochter gerichtete "Die Füllung Vom Kissen", und der gelungene Versuch, die deutsche Rüstungsindustrie nicht nur zu kritisieren, sondern gar als Täter darzustellen ("Schornsteine"), funktionieren hervorragend. Auch die Gesellschaft und deren Lebensmodell kriegen ihr Fett weg.
"Naja dann freue ich mich mal auf deine zwei von fünf Punkten oder was auch immer ihr da vergebt", hatte er im Interview noch zu mir gesagt. Weit gefehlt, Herr Kautz. Hier wäre auch noch Einiges mehr drin gewesen, wären die vielen Gitarren und Streicher auf Dauer nicht so einschläfernd geraten. Denn ansonsten bietet "Im Westen Nix Neues" Unterhaltung, Stoff zum Nachdenken, Persönliches, durchaus das Potenzial, auch die Damenwelt von Rap zu überzeugen - und ihn auch am Lagerfeuer zu spielen.
23 Kommentare mit 43 Antworten
Versteh auch überhaupt nicht warum die Beats nicht knallen. Biztram hätte es reissen können.
Rap für Leute die kein Rap hören. Ungehört 1/5.
@Craze: man merkt, du bildest dir stets eine fundierte Meinung bevor du dich in die Kommentarspalten ergießt
Obacht!
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
das album läuft bei mir seit dem release ca. einmal am tag komplett durch (mit ausnahme von Track 3-4). ich finde es passt sehr gut in unsere zeit und auch raptechnisch hab ich daran wenig auszusetzen. manchmal ist weniger mehr. es ist ein ernstes album das auch gut in die winterzeit passt. am lagerfeuer wird es wohl niemand ausser der autor anmachen. ich finde der text und die instrumentierung bzw beats sind gut aufeinander abgestimmt, was das album 'als ganzes' zu einem original macht.
Passt doch.