laut.de-Kritik
A Magic Year: Die große 86er Stadiontour führt Queen auch hinter den Eisernen Vorhang. Erfolg war vorprogrammiert.
Review von Michael SchuhDas Schlimme ist: Je häufiger Veröffentlichungen wie diese in den Handel kommen, desto mehr geht einem die Schmierenkomödie an die Nieren, in deren Hauptrolle die verbliebenen Mitglieder Roger Taylor und Brian May brillieren. Besessen vom Glanz alter Tage kommen sie heute beim nostalgietrunkenen Fan-Publikum sogar damit durch, einen "American Idol"-Sänger als Freddie Mercury-Ersatz zu installieren. These are the days of our lives. Und der pensionierte Bassist John Deacon lacht seit zwanzig Jahren im Lehnstuhl seiner millionenschweren Villa, den er nur noch verlässt, um Holz nachzulegen.
Das Gute ist: Veröffentlichungen wie "Hungarian Rhapsody" erinnern einen eindrücklich an die dominante Kraft der Live-Band Queen. In Fankreisen gilt das Konzert im Budapester Nepstadion vom Juli 1986 als die beste Queen-Show der 80er Jahre, zusammen mit Montreal 1981 und Live Aid 1985. Der überwältigende Erfolg jenes Kurzauftritts bei Bob Geldofs Charity-Spektakel schweißte den zwischenzeitlich etwas müde und ziellos dahinsiechenden Rock-Dino wieder zusammen.
Getreu Freddies Motto "The bigger, the better, in everything" buchte die für größenwahnsinnige Shows in Südamerika bekannte Band im Überschwang des neuen Erfolgs dasselbe 1986 für Europa. Die Budapest-Show war das erste Stadionkonzert einer westlichen Band hinter dem Eisernen Vorhang. Natürlich ausverkauft, 80.000 kamen. Die Band verdiente: natürlich nichts.
Das damalige Studioalbum "A Kind Of Magic" mag im direkten Vergleich poppig ausgefallen sein, doch es enthielt Songs, die es auf der Tour-Setlist mühelos mit den Klassikern aufnehmen konnten: "A Kind Of Magic", "One Vision", "Who Wants To Live Forever" und "Friends Will Be Friends". Zwar erschien der Budapest-Auftritt bereits 1987 als Videokassette. Die nun vorliegende DVD/Blu-Ray kommt allerdings mit HD-Auflösung und Dolby Surround-Sound ums Eck, einem Sinneserlebnis also, das der originalen Konzerterfahrung weitaus näher kommt als eine verrauschte VHS-Kopie. Die Setlist gleicht jener des Wembley-Auftritts, ergänzt um das jüdisch-ungarische Volkslied "Tavasi Szél Vizet Araszt".
In die Liveaufnahmen eingestreut sind - analog zum damaligen Kaufvideo – Szenen, die die Band beim Erkunden der Stadt Budapest zeigen. Freddie Mercury schlendert durch ein Antiquitätengeschäft, deutet auf diverse Objekte und sagt im Grunde nur: "Nehm ich! Nehm ich! Und das auch!" Roger Taylor wagt sich ohne Helm auf eine Kart-Bahn und Brian May steigt in einen Heißluftballon. Doch unglamouröser geht immer: Schließlich gibt es ja noch John Deacon. Der Bassist lässt sich beim Stadtbummel und einer Unterhaltung mit einem Teenager aus England filmen.
Es überrascht nicht, dass am Ende einfach immer Freddie Mercury den Unterschied macht. Als die Band auf einem Boot über die Donau schippert, wendet er sich an seinen ungarischen Nebensitzer: "Oh, welch schönes Gebäude! Das Parlament? Steht es zum Verkauf? Wie viele Schlafzimmer?" In einer anderen Einstellung steht er im leeren Nepstadion, an ihm ein augenzerfetzender gelber Jogginganzug. Freddie trinkt einen Schnaps, dann macht er Dehnübungen und plötzlich singt er unvermittelt: "De-Do-Deee-Dooo-Deeeeeeee-Doooooooo!"
Die echte Show: atemberaubend. Eine Band auf dem Zenit ihres Schaffens. Wahrscheinlich wurde der Begriff Zenit 1986 erst erfunden. "One Vision" und "Tie Your Mother Down" als Opener sind der Stoff, von dem kleine Muse-Jungs träumen. Und doch: Es war eine andere Zeit. Queen spielten weltweit in den größten Stadien und wer waren Vorgruppen? Marillion und Status Quo.
Brian May konnte sich allein vorne hinstellen und ein nicht enden wollendes Gitarrensolo gniedeln, ohne dass die Leute den Ort verließen. Deacon sieht aus wie ein Bühnentechniker, der nach dem Bass-Stimmen nicht rechtzeitig von der Stage gekommen ist. Mercury wirft pausenlos Kusshände und stellt Geschlechtsverkehr mit dem Bühnenboden nach. Die Lichtshow sieht aus wie ein Flipper auf Dauer-Tilt. Und dann spielt die Band irgendwann auch noch "Tutti Frutti". Ganz klar: Das waren die 80er.
In der anschließenden Doku "A Magic Year", die erstaunlich viele bisher unveröffentlichte Szenen beinhaltet, wird der Weg von Live Aid zu Budapest nachgezeichnet. Mannheim, Slane Castle, London, Knebworth: Wo auch immer der Queen-Express hielt, die Leute stiegen zu. Jugendliche, Biker-Rocker, Hausfrauen: Die Band war nun endgültig im Mainstream angekommen. Was bei Queen nie als Schimpfwort galt, im Gegenteil.
Oder wie Mercury es zusammen fasst: "Als ich vor einigen Jahren diese Punkbands hörte, die wegen der intimen Atmosphäre nur in kleinen Clubs spielen wollten, habe ich mich kaputt gelacht. Jeder, der ein Star werden will, möchte vor dem größtmöglichen Publikum spielen. Ganz einfach."
16 Kommentare
"Oder wie Mercury es zusammen fasst: "Als ich vor einigen Jahren diese Punkbands hörte, die wegen der intimen Atmosphäre nur in kleinen Clubs spielen wollten, habe ich mich kaputt gelacht. Jeder, der ein Star werden will, möchte vor dem größtmöglichen Publikum spielen. Ganz einfach."
Eigentlich müsste man ihm dieses Zitat übel nehmen.
@ c452h:
wieso? ist doch wenigstens ehrlich!
@mad dog:
naja manche musiker bevorzugen immernoch ihre künstlerische Integrität zu wahren als Teil des Popzirkus zu sein
Zitat Prometheus77:"Das wohl nicht. Lebt aber seit 20 Jahren könglich davon.."
Queen war nicht nur Freddie - alle 4 haben Songs geschrieben und am Ende der Karriere hatte jeder einzelne mindestens einen großen Hit beigesteuert. Deacon hat z.B. den in den USA erfolgreichsten Queen-Song "another one bites the dust" beigesteuert. Da darf es auch mal erlaubt sein sich auf seinen "Lorbeeren" auszuruhen und wie Du so schön sagst "königlich davon zu leben". Keine braucht heute noch das 100ste Interview mit May oder Taylor im dem sie altbekanntes Zeug erzählen. Ich finde eh, dass mit "Days of our lives" die Queen-Geschichte endgültig erzählt wurde. Auftritte der Band sollte es sowieso nicht mehr geben, da reichte schon das Debakel mit Paul Rodgers, ein peinliches Ding! Gut, wenn man in die Fußstapfen des besten Rocksängers aller Zeiten treten soll.... RIP Freddie!
Queen mit Paul Rodgers?? Absolut nicht peinlich. Tolle Shows zweier (naja, drei) Rockgrössen.
@mad dog (« @ sexy-boots:
Floskeln wie "manche musiker bevorzugen immernoch ihre künstlerische Integrität zu wahren als Teil des Popzirkus zu sein" bedeuten doch eigentlich nur:"keine Sau wills sich anhören". »):
Eben. So sieht es doch aus.
Das ist ja auch das Mantra der pickligen Dauer-Jungfrau, die nix ins Bett kriegt: "Ich bevorzuge, meine körperliche Integrität zu wahren als schön einen wegzustecken". Selbstbetrug vom Feinsten.