laut.de-Kritik
Große Gassenhauer, mit einem Schuss Wahnwitz fehlgeleitet.
Review von Erich RenzNehmen wir einmal an, sie meint uns. So wie wir gerade da droben auf unseren billigen Plätzen sitzen und sehen, wie Regina Spektor zwischen Wahnwitz und Sanftheit irrlichtert, schleicht dieses kesse Nymphchen hinter die Bühne und kramt ein gemaltes Bild hervor. Es könnten die "Jungen Mädchen in einem Boot" von Monet sein, getupft und per Unschuldsvermutung blütenweiß gehalten, paddelnd eingeschlossen im eigenen Rahmen.
Doch dann folgen Warnschüsse, und die Kindfrau Spektor setzt zu "All The Rowboats" an. Sie kommentiert ihr Kunstwerk mit Worten des Ausgeliefertseins und dunklen Klängen, tänzelt über die Tasten und macht das Museum zu einem Mausoleum: "They will stay there / In their gold frames / For forever, forever and a day / All the rowboats / In the oil paintings / They keep trying to row away."
Auch dieses sechste Studioalbum "What We Saw From The Cheap Seats" ist weder die Offenbarung eines Universalgenies noch das nächste Dokument eines ewigen Talents. Es ist der Lohn für einen knochenharten Job, folgerichtig das dreizehnte Monatsgehalt kurz vor den Weihnachtsfeiertagen. Spektor selbst fürchtet sich davor, sämtliche Melodien und Tonvorräte bereits ausgeschöpft zu haben. Sie nimmt sich die größten Gassenhauer zum harmonischen Vorbild (wie "Yesterday") und leitet sie dann mit einem Schuss Wahnwitz fehl. Bisweilen kann das sehr konstruiert wirken, doch diese Exzentrik hat sie dieses Mal sehr gut portioniert.
Spektors Eulenspiegelei erweist sich deshalb als so gelungen, weil sie das Kräfteverhältnis von musikalischem Trauerspiel und ausgeflippten Aussetzern weitgehend kontrolliert. Diese Choreographie muss gut einstudiert sein, gerade wenn man sich auf ein Vabanquespiel wie "Oh Marcello" einlässt. Dessen Refrain, ein Versatzstück aus "Don't Let Me Be Misunderstood", ist ja auch Teil der spektorschen Angst, denn: Berühmter geht's nimmer. Aber auch hier findet sie einen Ausweg, entstellt mit ihrem Quasi-Human-Beatboxing den Song, verzieht ihn mit einem pseudo-italienischen Akzent zu einer Fratze und lässt sich von der Mutter Jesu soufflieren: "She been saying I'll have a baby / When he grow up he become a killer and kill everybody!"
Ins Rampenlicht rückt sich die 32-jährige New Yorkerin russisch-jüdischen Ursprungs in den balladesken Momenten. In ihrem Melting Pot verrührt sie Soviet Kitsch und American Schmaltz und zieht Großartiges wie "Firewood" und Beinahe-Großartiges wie "How" aus ihm heraus. Klavier und Stimme schmiegen sich aneinander wie ein perfektes Paar und geben dabei ein unschlagbares Doppel ab.
Kurz vor Schluss gewährt Spektor noch an ihrem Amerikanismus eine Teilhabe. Stück für Stück baut sie sich eine Marching Band zusammen und dirigiert den Spielmannszug, gern auch als stimmhaft imitierte Trompete vornweg. Sie verabschiedet sich mit "Jessica", gertenschlank nur mit Gitarre und Gesang. Dann ist Bühne ist leer, Karten für die nächste Vorstellung sollten besorgt werden. Sie ist gut. Und günstig, wie wir wissen.
4 Kommentare
Regina Spektor ist super, aber ihr Beatboxing geht mir derbst auf den Senkel!
Tip Top Platte. Viel besser als die Dresden Dolls.
Tolles Album. Bei plattentests.de erwartungsgemäß mit zu wenigen Punkten abgespeist, schön daß es hier 4/5 gibt. Wirklich einige Highlights drauf (Rowboats, Oh Marcello, Patron Saint).
Besser als die Dresden Dolls? Haha. HAHAHAHA.
Okay, ich beachte das lieber nicht weiter ...
Aber das Album ist klasse.