laut.de-Kritik
Rogers Melodien und Brians Klangbilder bergen sehr viel Wärme.
Review von Toni HennigRoger Eno vernahm man zum ersten Mal 1983 auf einer Plattenaufnahme, nämlich auf "Apollo: Atmospheres & Soundtracks", die zusammen mit Daniel Lanois und seinem älteren Bruder Brian Eno entstand. Mit Brian produzierte er dann im Laufe der Zeit Musik für Filme und TV-Serien, etwa für "Mr. Wroe's Virgins" oder "O Nome Da Morte", doch zu einem gemeinsamen geschwisterlichen Album kam es lange nie. Das ändert sich nun mit "Mixing Colours".
Dabei nahm alles 2005 seinen Verlauf, als Roger einige Stücke auf dem MIDI-Keyboard improvisierte und die daraus entstandenen Files an seinem Bruder schickte. Brian bearbeitete dann die Melodien und bettete sie in elektronische Soundwelten ein. Irgendwann war den beiden klar, dass sie die Tracks, die sie in einem langen Zeitraum von insgesamt rund eineinhalb Dekaden nach diesem Prinzip komponierten, nicht länger unter Verschluss halten konnten und führten sie zu einer gemeinsamen Platte zusammen. Am Ende bleibt ein Ambient-Album klassischer Bauart, das von der einzigartigen melodischen Signatur Rogers und Brians impressionistischen, unaufgeregten Klangbildern lebt. Das beste aus beiden Welten also.
Zudem beziehen sich bis auf eine Ausnahme alle Titel auf Farben, wobei sich die beiden Brüder hauptsächlich auf Sound-Schattierungen und kontrastierende Timbres fokussieren. Diese basieren auf gemeinsame Interessen, was Kunst, Musik und Literatur betrifft. Das verdeutlicht schon das schöne Cover, das ein abstraktes Gemälde des britischen Künstlers Dom Theobald zeigt. "Mixing Colours" kommt jedenfalls als Gesamtkunstwerk aus Musik, Malerei und einzelnen Videos daher, die im Laufe der nächsten Wochen nach und nach auf YouTube online gehen sollen oder bereits gegangen sind.
"Spring Frost" leitet zunächst das Werk mit einer abendlichen, versunkenen Melodie Rogers melancholisch ein, die Brian in orgelmäßige Klangsphären einbettet. "Burnt Umber" hätte mit den manipulierten Klavier-Tönen Rogers und den beinahe zum Stillstand kommenden Sounds seines Bruders genauso gut auf "Ambient 2: The Plateaux Of Mirror", Brians gemeinsamer Platte mit Harold Budd aus dem Jahre 1980, stehen können. Schon hier fällt auf, dass Roger sein Piano als klassisches Ambient-Instrument nutzt, was sich auch durch viele weitere Stücke zieht.
Demgegenüber hört man aber ebenso frühromantisch inspirierte Klavier-Fantasien, wie man sie von seinem Album "Voices" von 1985 kennt, mit dem er schon früh in seiner Karriere zu einem eigenen Stil zwischen Klassik, Ambient und New Age gefunden hatte. Besonders schön: "Celeste" mit nahezu kindlich verspielter Melodieführung, die Brian mit sphärischer Elektronik unterlegt. Auch das minimalistischere "Desert Sand" lässt sich als Paradebeispiel für Rogers besonderen Melodienreichtum nennen, kommt die ätherische Schönheit dieses Tracks gerade deswegen zum Tragen, weil er jeden einzelnen Ton mit größtmöglicher Behutsamkeit setzt.
Dennoch sorgt die ruhige Grundausrichtung der Platte dafür, dass sie manchmal etwas zu beiläufig gerät und als meditative Hintergrundmusik an den Ohren des Hörers vorbeizieht, zumal die beiden Eno-Brüder ihrem umfangreichen Katalog rein gar nichts Neues hinzufügen. Dadurch lassen sich Highlights im Grunde genommen nur vereinzelt ausmachen. Trotzdem bietet der entschleunigte Charakter des Albums einen guten Anlass dafür, für rund 75 Minuten auch mal gänzlich vom Alltäglichen abzuschalten. Egal, ob man die Musik bewusst oder nebenbei wahrnimmt, hält das Werk den aktuell krisenhaften Zeiten doch eine ungemeine Wärme entgegen.
So schimmern in "Blonde" durch die durchgängig helle Klang-Motivik zärtliche Sonnenstrahlen durch das Stück und "Rose Quartz" braucht nur einzelne zaghafte melodische Ambient-Farbkleckse, um ein friedliches Wiegenlied zu ergeben. Da stellt sich "Snow" mit strenger Klavier-Führung und kaum merklichen Soundflächen im Hintergrund als umso nachdenklicherer Kontrast heraus. Ebenso gedankenverloren endet die Platte mit "Slow Movement: Sand", nur dass vereinzelt immer wieder hoffnungsvolle Piano-Töne inmitten wehmütiger Melodie- und Streicher-Bögen ertönen, aber gerade das vermittelt doch etwas sehr Beruhigendes. Die Dunkelheit hat schließlich nicht das letzte Wort.
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celeste ist soty