laut.de-Kritik

Klare Botschaft an Wladimir Putin.

Review von

Jérôme Reuter, kreativer Kopf hinter dem luxemburgischen Projekt Rome, beschäftigte sich textlich in der Vergangenheit mit dem anarchistischen Rebellentum, mit den Freiheitsbestrebungen Südafrikas oder der politischen und gesellschaftlichen Situation Europas. Nun veröffentlicht das Projekt mit "Gates Of Europe" eine konzeptuelle Arbeit über den anhaltenden russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

Seit 2015 tritt der Singer/Songwriter regelmäßig in der Ukraine auf. Nur wenige Tage vor dem Ausbruch des Krieges bestritt er noch trotz drastischer Reisewarnungen Soloauftritte in Kiew und Odessa. Danach spielte er ein paar Online-Wohltätigkeitskonzerte zur Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg und kehrte im Juli 2022 für eine komplette Show in das Land zurück, um Spenden für eine Flüchtlingsunterkunft in Lwiw zu sammeln. Zum Jahrestag des Kriegsbeginns absolvierte er dann zwei Full-Band-Gigs in Lwiw und Kiew.

Im anfänglichen Titelstück hört man zu dräuenden elektronischen Sounds die Stimmen von Nachrichtensprecher/innen, die über den Ausbruch des Krieges berichten. Der Track endet mit den Worten: "It's a terrible day for Ukraine and a dark day for Europe." In "The Death Of A Lifetime" geht es um die Zerstörung der Lebenspläne vieler Ukrainer. Musikalisch knüpft die Nummer noch am ehesten an die Synthie-Pop-Klänge von "Hegemonikon - A Journey To The End Of Light" aus dem letzten Jahr an.

In "Yellow And Blue" bekundet Reuter der Ukraine seine Solidarität zu hymnischen Tönen, trägt aber im Refrain etwas dick auf. Dafür findet er im zweiten Vers gegenüber Wladimir Putin klare und deutliche Worte: "Can you see the wheat is burning? It lights up the night. As the tsar betrays all under the sun. To save his own hide."

Insgesamt appelliert er an die Europäer, den Kampf für ein freies Europa zu unterstützen. Dabei zeigt er für das Schicksal der Ukrainer eine Menge Empathie, etwa wenn "The Black Axis" inhaltlich darum kreist, dass das Land die schwere Last trägt, die Freiheit des Kontinentes zu verteidigen, beschwört aber auch den Kampfgeist und das Durchhaltevermögen der Armee. "Europe is mother to us all" lautet in "How Came Beauty Against This Blackness" zu schweren Akustikgitarrentönen die zentrale Botschaft des Albums. "Europe is mother" steht auf der linken Klappe, "to us all" auf der rechten Klappe, wenn man die beiden Coverklappen der CD-Version öffnet.

Leider geht es bei Reuter mittlerweile nicht mehr ohne die im Neofolk gewohnte Provokation. Das Cover der 7-Inch-Single von "Our Lady Of The Legion" lehnt sich farblich an die Flagge der ukrainisch aufständischen Armee an, die als Unabhängigkeitskämpfer oder als Handlanger des Faschismus und als Kriegsverbrecher die Gemüter der Ukraine und darüber hinaus spaltet.

Schon das T-Shirt zum 2019er-Album "Le Ceneri di Heliodoro" wartete mit einem Zitat von Julius Evola auf, der ab den 80er-Jahren für die metapolitische gesamteuropäische Rechte als Ideengeber fungierte, dessen Ideen in Teilen der Schwarzen Szenen aber großen Anklang finden. Andererseits haben Rome kurz zuvor unter anderem eine 7'' mit Eugen Balanskat von der Punk-Band Die Skeptiker als Gast veröffentlicht. Trotzdem schade, dass Reuter mittlerweile solche Provokationen nötig hat. Zumindest stimmt aber der Kerngedanke von "Gates Of Europe".

"Eagles Of The Trident" kommt als sehr kämpferisches Stück daher, das markante Trommelrhythmen und ein martialisches Sample durchziehen. Seine sanfte und nachdenkliche Seite betont Reuter in "Whom The Gods Wish To Destroy", das von spärlichen Akkorden, ambienter Elektronik und traurigen mundharmonikaartigen Klängen lebt. Am Ende verdichten sich die Sounds immer mehr.

Das schon erwähnte "Our Lady Of The Legion" dreht sich um die Frage "where does Europa end?". Die Antwort überlässt der Musiker dem Hörer. Musikalisch bekommt man hymnische und melodische Neofolktöne geboten, wie sie für das Projekt typischer kaum sein könnten. "Marauder" erinnert atmosphärisch mit seiner getragenen Ausrichtung und seinem langsamen Spannungsaufbau an die frühen Songs des Projektes. Ungleich kraftvoller geht es in "The Black Axis" zur Sache, das jedoch nicht frei von Pathos bleibt.

"The Ballad Of Mariupol", "Going Back To Kyiv" und "The Brightest Sun" konnte man schon auf der "Defiance"-EP letztes Jahr hören. Der erstgenannte Song sticht als ruhiges, balladeskes Stück, das ganz in der erzählerischen Singer/Songwriter-Tradition steht und von der Schlacht um Mariupol handelt, besonders heraus.

"Olenivka Rain" beginnt nach dem Song-Dreier recht sparsam, gewinnt aber nach und nach immer mehr an Wucht. "Never forgive, never forget" wiederholt Reuter am Ende immer wieder angesichts des Leides, das die russische Regierung in ein friedliches, demokratisches Land brachte. "Archives Of Silence" beschließt die Platte mit einem volksliedartigen Sample einer Frauenstimme, das von düsteren Soundwolken umhüllt wird, auf beklemmende Art und Weise.

"Gates Of Europe" stellt sicherlich nicht das beste, aber ein gutes Rome-Album dar, das neben vielen Stärken auch ein paar Schwächen besitzt. Inhaltlich steht die Scheibe als feinfühlig kritisches Zeitzeugnis und als Aufruf zur Solidarität in der weiten Musiklandschaft ganz für sich alleine.

Trackliste

  1. 1. Gates Of Europe
  2. 2. The Death Of A Lifetime
  3. 3. Yellow And Blue
  4. 4. How Came Beauty Against This Blackness
  5. 5. Eagles Of The Trident
  6. 6. Whom The Gods Wish To Destroy
  7. 7. Our Lady Of The Legion
  8. 8. Marauder
  9. 9. The Black Axis
  10. 10. The Ballad Of Mariupol
  11. 11. Going Back To Kyiv
  12. 12. The Brightest Sun
  13. 13. Olenivka Rain
  14. 14. Archives Of Silence

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LAUT.DE-PORTRÄT Rome

Der luxemburgische Musiker Jérôme Reuter besitzt vor der Gründung seines Hauptprojektes Rome 2005 schon Erfahrung in lokalen Punkbands und als Schauspieler.

5 Kommentare mit 31 Antworten

  • Vor einem Jahr

    das wird die erste "rome" cd, die ich mir nicht kaufen werde. dieses einseitige politische engagement ist echt mühsam. schade, sind sicher, wie immer, tolle songs drauf...

    • Vor einem Jahr

      Wenn ROME sich kritisch mit Flüchtlingsströmen und Identitätsverlust beschäftigen, dann ist das eine "künstlerisch-distanzierte Perspektive", aus der man Jerome keinen Vorwurf stricken soll. Wenn es um den Ukrainekrieg aus Sicht der Ukrainer geht, dann ist es "einseitiges politisches Engagement". Man kann von dem Projekt halten, was man will, aber thematisch einseitig ist da in den letzten Jahren gar nix.

      Andererseits ist hier natürlich klar, dass eindeutig Position gegen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg bezogen wird. Nur was wäre die Alternative? Nach "We're going back to Kyiv" noch schnell zwei Lieder über den Zaren?

    • Vor einem Jahr

      So ein Konflikt ist halt komplexer als dieses "Yellow and Blue"-Geschwafel, das ja seinerseits auf ner Propaganda-Kampagne der Ukraine fußt. Das einfach zu übernehmen ist halt peinlich.

    • Vor einem Jahr

      Das Album will aber nicht den Konflikt in allen Nuancen erklären, sondern bildet die Perspektive der ukrainischen Bevölkerung ab.
      Mal abgesehen davon, dass dieses ständige "es ist alles so komplex"-Gerede vollständig unterschlägt, dass der Aggressor in diesem Krieg ziemlich leicht zu identifizieren ist. Das ist nicht komplex, hier greift ein Land unter Zuhilfenahme fadenscheiniger Begründungen (Nazis, Befreiung) das andere an, um historisch-territoriale Begebenheiten wieder herzustellen. Und nur, um es gleich dazu gesagt zu haben: Natürlich impliziert das nicht, dass alle Russen böse Monster und alle Ukrainer Engel sind.

    • Vor einem Jahr

      Natürlich ergreift das Album klar Position für die Ukraine.
      Wüsste auch nicht, wie die Alternative aussehen sollte. Habe mich bereits mit Putinverstehern und Deutschrussen unterhalten und leider keinerlei Andockpunkte für einen Kompromiss finden können bzw. irgendeine verhältnismäßige Rechtfertigung für diesen kriegerischen Angriff.
      Also kann ich mich nur eindeutig positionieren. Und das heißt in meinem Fall für die Ukraine, für ein starkes Europa und gegen die Höckes und Wagenknechte.
      Wie oben in der Rezi zu lesen ist, hatte Jérôme schon lange vor dem Krieg eine starke Beziehung zur Ukraine.
      Er weiß auch sicher, dass er sich mit dem Album nicht nur Freunde machen wird. Aber genau das spricht doch für ihn, dass er seine Erfahrungen teilt und klar definiert.
      Für mich eine klare thematische Fortführung seines Projekts.
      Denke, dass diejenigen, die das Album komplett ablehnen, seine bisherigen Arbeit eher nicht verstanden haben.

    • Vor einem Jahr

      @Funky
      „ Das Album will aber nicht den Konflikt in allen Nuancen erklären, sondern bildet die Perspektive der ukrainischen Bevölkerung ab. “
      Sehr gut beschrieben!
      Und wie du schreibst führt uns dieses Gerede über die Komplexität zu nichts. Komplex war schon die Situation Maidan 2014.
      Dass wir uns zerreden ist genau das neue Ziel des Angreifers. Nachdem die Machübernahme in einem Streich ja eher erfolglos war.
      Gerade wir, die vor gar nicht so langer Zeit immer nur weggeschaut haben, wäre es eine Chance, sich mal eindeutig gegen Despoten und Kriegstreiber zu positionieren.

    • Vor einem Jahr

      Wenn's denn keine Ausnahme bleibt und wir dann wieder wegschauen oder sogar unterstützen, wenn uns dies zum eigenen Vorteil gereicht. Da hab ich leider arge Zweifel. Ändert natürlich nichts daran, dass ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist. Aber so zu tun, als ginge es hier um Europa oder irgendwelche Werte, füttert das Monster eher weiter, leider. Wirklich weiter kommen wir nur, wenn wir uns endlich auch grundehrlich mit uns selbst auseinandersetzen. Was nicht passieren wird. Solange bleibt es ein imperiales Muskelspiel. Mit markigen Worten und Symbolismus. Ich verurteile diesen Krieg auf's Schärfste. Aber ich bin auch peinlich berührt von den großen Reden, die hierzulande und anderswo geschwungen werden. Please don't get me wrong. Ich möchte nur gerne, dass wir irgendwann anfangen wirklich das Vorbild für die Welt zu sein, das wir so gerne als Monstranz vor uns hertragen. Damit jeder Scheinheiligkeits-Vorwurf ins Leere läuft.

    • Vor einem Jahr

      @Chris
      Ja, kann voll verstehen, was du mit markigen Reden und Symbolismus meinst.
      Wenn ich da Strack-Zimmermann höre und manche Kollegen kommt es mir so vor, als wären sie froh, sich mal richtig profilieren zu können.
      Dass dabei sowohl unzählige Ukrainer, die ihr Land verteidigen genauso sterben wie unzählige Russen, die ob sie es wollen oder nicht verheizt werden, wird überhaupt nicht mehr thematisiert.
      Iwie geht es nur noch um die Sache und nicht mehr um die Menschen.
      Ich bin auch völlig ratlos, wie das Ganze weitergehen soll. Total festgefahren.
      Um zu Rome zurückzukommen …
      Empfinde tiefen Respekt, wenn man Worten Taten folgen lässt, siehe Auftritte in Kiew und Wohltätigkeitsevents.
      Man muss den Ukrainern zeigen, dass man sie nicht vergisst.

  • Vor einem Jahr

    Ey, Trolle. Von der beknackten NATO und dem fragwürdigen politischen Zustand der Ukraine kann man halten, was man will. Man kann allerdings nicht bestreiten, daß das Land angegriffen wurde, und seitdem in einem brutalen Belagerungszustand überleben muß.

    Zum oft beschworenen "Differenziert-Sein" gehört eben, verschiedene Realitäten und Wahrheiten nebeneinander akzeptieren zu können. Wie es der ukrainischen Bevölkerung ergeht, ist eine davon. Wenn das für euch nicht ersichtlich oder erfühlbar ist, wollt ihr nicht "differenzieren" - ihr wollt nivellieren.

  • Vor einem Jahr

    rome kann man schon hören. death in rome sind mir aber lieber.
    alle mir bekannten leute, die gerade für die ukraine und gegen putin kämpfen, sind harte neonazis. also so wirklich. und 2/3 der einschlägigen hemden, die ich in den letzten 2 jahren bestellt habe, waren soli-hemden von militant.zone. das geld soll direkt an den widerstand gegen putin gehen...
    ¯\_(ツ)_/¯

  • Vor einem Jahr

    Also rein musikalisch betrachtet kommt mir Rome so vor, als hätte da jemand New Model Army bei Wish bestellt.