laut.de-Kritik

Zwischen Girlboss und Galgenhumor.

Review von

Die letzten Jahre klang Popmusik so sad wie nie zuvor. Das hat zwei Gründe: Einmal ist der Popmainstream generell smarter geworden. Zweitens ist er weiblicher geworden. Und es stellt sich heraus, dass wenn die meisten Frauen nüchtern in sich gehen, gar nicht so viel 'Teenage Dream' bei herauskommt. Schrieben wir nun das Jahr 2012, dann wäre es vermutlich die aufregendste und coolste vorstellbare Entwicklung, so, wie jetzt. Popstars in der Zukunft sind nicht nur clever, sondern schreiben auch ihre eigenen Songs, teilen Producer*innen mit den wirklich coolen Indie-Darlings? Stimmt schon. Das klingt cool. Aber irgendwann ist auch mal gut.

Wir befinden uns inzwischen über dem Zenit einer stillen Sad Girl-Revolution der Popmusik. Das merkt man daran, dass die Leute doch wieder Bock auf Kontrastprogramm haben. Niemand hat den Auftrag dieses Kontrastprogrammes so perfekt verstanden wie Sabrina Carpenter. Denn aller Experimente mit Artists wie Ava Max oder Bebe Rexha zum Trotz, will der Pop-Mainstream noch lange nicht zurück zu Katy Perry. Ein Mittelweg muss her. Carpenters Debütalbum "Short N'Sweet" verkörpert das: Ihre Beobachtungen über Dating und Zwischenmenschliches sind kein bisschen weniger character-driven und klug als die ihrer Zeitgenossinnen. Aber Gott im Himmel, endlich ist da mal wieder ein Popstar, der über Dating singen kann, als würde Dating wirklich Spaß machen.

"Espresso" ist wirklich kein außergewöhnlicher Song, wenn man ihn für sich betrachtet. Er rippt offensichtlich die Stimmung und den Groove von Doja Cats "Say So" und trottet gemütlich im Takt anderer Easy Listening-Retro-Tracks. Man denke an "Future Nostalgia" oder "Dynamite" oder an "Stay". Das an sich ist ja auch erstmal nichts Schlechtes. Jeder, der diesen Sommer bei 30 Grad im Büro sitzen musste, wird an dem einen oder anderen Punkt gemerkt haben, dass "Espresso" Gottlevel-Büro-Musik ist. Der Song ist so chill und beiläufig, man verschwindet in den Hintergrund der relevanten Prozesse der Welt: Hallo, ich bin nur ein kleiner NPC der hier seine silly kleinen E-Mails an seinem silly kleinen PC beantwortet. Drück A, um mit mir zu sprechen. Kaffee?

Trotzdem bringt Carpenter diese Cheekiness, diese Aura mit, dass man merkt: Die weiß ganz genau, was sie da tut. Sie knüpft genau an der Unheilwolke an, über die die anderen Popstars ihre endlosen Break-Up-Balladen schreiben. Die These dieses Albums ist: Wenn man einfach nur weiß, wie viel smarter man als diese Typen ist, kann man sie sich ganz easy um den Finger wickeln. So entsteht etwas, irgendwo im genauen Schnittwinkel zwischen Girlboss-Pose und Galgenhumor, das durch sehr viel Beziehungs-Bullshit schneidet, wie durch warme Butter.

Die beiden anderen Singles "Please Please Plesae" und "Taste" machen genau da weiter: "I know I have good judgment, I know I have good taste / It's funny and it's ironic that only I feel that way", liest sie auf Ersterem einem Boyfriend die Leviten, der wohl öfter mal durch komische Ausfälle auffällt. Da ist wahre Macht drin, wie sie ihn drollig findet, aber glaubt, da könnte schon noch etwas gehen. Dazu webt sie wirklich solides Wortspiel-Material und Storytelling zusammen: "I heard that you're an actor, so act like a stand-up guy", zum Beispiel, bevor sie in der Hook zur Pointe kommt: "Heartbreak is one thing, my ego's another / I beg you, don't embarrass me, motherfucker". Das sind überraschend komplexe Gefühle für einen silly kleinen Lovesong, wenn man mal drüber nachdenkt.

Es ist interessant, dass Cleverness als Thema immer wieder aktiv angesprochen wird. Viele Tracks mit bissigen und treffsichern Analysen kontrastieren das Bild der luftköpfigen Blondine, in deren Tonlage sie immer wieder ein bisschen schlüpft. So schreibt sie lockere Songs über dieses subtile Tauziehen einer Beziehung: Wer hat gerade die Oberhand, wer kann wen manipulieren? Wer kriegt die Deutungshoheit darüber, was passiert? "Coincidence" dekliniert das mit tödlichem komödiantischem Instinkt durch, aber auch "Sharpest Tool" geht den selben Weg. "Dump & Poetic", selbes Thema, nur maximal gemein, wie sie da einen Mann entzaubert: "And "love everyone" is your favorite quotation / Try to come off like you're soft and well-spoken / Jack off to lyrics by Leonard Cohen" und später "You're so empathetic, you'd make a great wife / And I promise the mushrooms aren't changing your life". Die Menge an Quotables auf diesem Album ist enorm, auch auf "Lie To Girls": "You don't have to lie to girls / If they like you, they'll just lie to themselves".

Die Brücke zum Songwriter-Core schließt sich spätestens mit der Produzenten-Riege: Jack Antonoff macht das Fundament, nur für Ideen in Richtung Disco oder Country werden Spezialist*innen dazugezogen. Vielleicht ist das am Ende auch ein bisschen die Schwäche des Albums, das doch sehr gewollt im radiofreundlichen Midtempo bleibt. Es passt zu ihr, sie grenzt sich bewusst davon ab, eine Exzentrikerin zu sein und spielt gekonnt mit Mall-Pop. Aber in Momenten, in denen Text oder Hook nicht gerade den Unterschied machen, fühlt das Tape ab und zu schon dudelig an.

Trotzdem muss man "Short N'Sweet" lassen, dass eben jene Texte und Hooks die meiste Zeit den Unterschied machen. Sabrina Carpenter weiß, dass dieses Album ihr absoluter Prüfstein sein wird. Man hört den kompakten 36 Minuten an, dass hier wirklich extrem viel Aufwand drin steckt. Aufwand, der sich die meiste Zeit darin äußert, dass er kaum sichtbar ist. Das Album wirkt so smooth, souverän und aus der Hüfte geschossen, aber die Refrainmelodien und die Quotables kommen nicht von ungefähr. Das Album fühlt sich an wie ein Debüt, dabei ist Carpenter schon seit vielen, vielen Jahren im Game. Es ist Album Nummer sechs, je nachdem, wie man zählt. Aber es hat den Hunger eines Debüts. Carpenter wirkt hier, als wisse sie ganz genau, wo ihr Stellenwert liegt. Es ist lange her, dass ein so präzises, auf den Punkt gebrachtes Popalbum herausgekommen ist. Eines, auf dem sich Spaß und Klugheit keine Sekunde im Weg stehen, sondern überhaupt erst gegenseitig ermöglichen.

Trackliste

  1. 1. Taste
  2. 2. Please Please Please
  3. 3. Good Graces
  4. 4. Sharpest Tool
  5. 5. Coincidence
  6. 6. Bed Chem
  7. 7. Espresso
  8. 8. Dump & Poetic
  9. 9. Slim Pickins
  10. 10. Juno
  11. 11. Lie To Girls
  12. 12. Don't Smile

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8 Kommentare mit 19 Antworten

  • Vor 3 Monaten

    Mir waren zwei Dinge von vornherein klar:
    1. Das Yannik die Review schreibt, und
    2. das er das Ding hier feiert.

    Das ist einfach übelst durchgekauter Bubblegumpop bei dem Antonoff noch versucht irgendwie seine Schablone reinzudrücken. Ich hab die Singles ausgelassen und mir den Rest angehört. Da ist nix spannend oder gut. 1/5

    • Vor 3 Monaten

      Je berechnender und hohler, umso mehr gefällts unserem Yannick.

      Mir gabs einfach noch nie irgendwas, wenn irgendwelche Girls und Flaumbartboys irgendwas von ihren naiven, heillos doofen Beziehungen erzählen. Ey, wenn ihr euch von euren doofen Expartnern wirklich befreit habt, dann hört auf, so fixiert und restabhängig Flak auf sie zu feuern, und erzählt einfach mal was von Euch - oder wenigstens was Interessanteres.

    • Vor 3 Monaten

      Du bist ja nicht jeder Mensch und wahrscheinlich auch noch Ewigsingle. Die falsche Zielgruppe also.

    • Vor 3 Monaten

      Inhaltlich hatta ja trotzdem recht.

    • Vor 3 Monaten

      Man muss mit ragi nicht mal annähernd d'accord sein, inhaltlich, um objektiv festhalten zu können: JEDER seiner Beiträge ist inhaltlich wertvoller und durchdachter als ALLES, was du hier jemals vom Stapel gelassen hast, und damit halt auch viel diskussionswürdiger. Aus Ragis Posts entstehen oft erkenntnisreiche Unterhaltungen; sein hingeschissenster, lauwarmster Take ist 1000x mehr wert gelesen zu werden, als jedes deiner frustrierten, peinlichen Müllpostings, du trauriger Clown.
      Deine Löschung ist wirklich längst überfällig, du degeneriertes Kellerkind.

    • Vor 3 Monaten

      Ne, das ist überhaupt nicht so. Siehe sein Müll zu Israel, Russland und der NATO. Aber das muss man in deinen linksextremen Zirkeln wohl blind verteidigen. Wolltest du nicht mal 10x von mir auf einmal umhauen, du Aggro-Pumper? :D

    • Vor 3 Monaten

      Bla.
      Und easy würde ich 2-3 von deiner Sorte umhauen, 10 war übertrieben, gebe ich zu.

    • Vor 3 Monaten

      Aber sag doch mal: wann hast du hier jemals irgendwas sinnstiftendes beigetragen? Wann hat sich aus deinem dummen Bürgigepöbel jemals irgendwas fruchtbares entwickelt? Sag mal.

    • Vor 3 Monaten

      Irgendwie fühle ich mich gerade als wäre ich bei Twitter.

    • Vor 3 Monaten

      Huiuiui tooli hat echt in die Tasten gehauen. Scheint ganz schön viel Frustration aufgestaut zu sein. Mal Yoga probiert?

    • Vor 3 Monaten

      SquaLLi, du bist wirklich der Letzte, der sich hier über Frustkompensation amüsieren sollte, du Knecht. Wegen was für lächerlichen Anlässen du dich hier schon zum Ape gemacht hast (Arpeggio, anyone?). Glashaus, Steine und so. Also halt besser deine Fresse, du lächerlicher Affe. Danke, hm?

    • Vor 3 Monaten

      Immernoch so viele Kraftausdrücke. Das lässt dich nicht wirklich autoritärer wirken. Wie gesagt, Yoga und ein Tee könnten helfen.

    • Vor 3 Monaten

      Tooli latürnicht Ehrenmann und sowohl c598987 als auch Squalle Überopfer seit Ionen, aber das übertriebene Waffengelaber find ich tbh auch nicht wirklich souverän. :rayed:

  • Vor 3 Monaten

    "Die letzten Jahre klang Popmusik so sad wie nie zuvor."

    Könnte auch (mit) daran liegen, dass in den letzten zwei Jahren eine extreme Verarmung der ohnehin schon gebeutelten Unter- und unteren Mittelschicht stattgefunden hat, die schon bei den allerjüngsten, schutzbedürftigsten intensive Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit auslöst.
    Bemerkt man in der Berliner Zugegezogenenbubble evtl nicht so, wenn die Miete eh sicher von den bergdeutschen Eltern aus dem Einfamilienhaus bezahlt wird, und Partydrogen auch gleich günstig bleiben, aber weite Teile der Bevölkerung werden stimmungsmäßig von ganz anderen Faktoren beeinflusst, als von einer zunehmenden Weiblichkeit und/oder "smartness" in der Musikindustrie.
    Dann wiederum höre ich sowas halt auch wirklich gar nicht, es findet in meiner Welt quasi nicht statt, deswegen ist mein vulgärsoziologischer Erklärungsansatz hier evtl genauso aus dem Arsch geplaudert, wie der in der Rezi ;)

  • Vor 3 Monaten

    Zwischen Galgenhumor und Gallenblase

    Review doch nicht jeden Quotenquatsch ynk. Klebrigster semi-sad stuff aus der Ranzkonserve bringt niemanden die hier launig propagiert luftköpfige "Songwriter-Core"Erleuchtung samt easy Quotables... weder dem cheeky 30-Grad Büroboten-NPC, noch dudelig entzauberten Männern oder sonstigem silly character driven Beziehungs bullshit.

    -------

    Dein hochkreativer Schreibstil ist mit solch banalen Auftragsarbeiten verschenkt Yannik. Die angepeilte Hörerschaft liest oder versteht den Text nicht und der Rest skippt es, kritisiert oder setzt sich damit brotlos verkünstelnd auseinander wie ich nun bzw gebe Feedback, was sowieso oftmals Fehlanzeige in der heutigen Zeit ist.

    Review spannendere Thematiken, überrasche die Leute, aber kleide belanglose Musik nicht in möglichst viele blumig-klinische Worte. Das hab ich vor 7-8 Jahren im Blog auch gemacht. -> Hamwa gemacht, war ok aber reicht dann jetzt.