laut.de-Kritik
Geradliniger Lounge-Kuschelpop, der nie aneckt.
Review von Philipp Kause"Ich bin nicht perfekt, aber wertvoll", wiederholt Sam Smith in selbstreflektierender Demuts-Stimme, als befände man sich gerade in einem Deeskalations-Seminar oder einer paartherapeutischen Hypnose-Sitzung. "Perfect ft. Jessie Reyez" heißt eines der beiden Duette mit dem auffälligen und charts-tauglichen zweiten Gesicht dieses Albums. Reyez, kanadische Rap-Trap-Tropical-R'n'B-Künstlerin mit Cumbia-Kenntnissen ihres kolumbianischen Elternpaares, hat noch nie auf perfekte Figuren Wert gelegt. Ihre Beziehung zu Pop ist Anti-Pop, passend zu Smith als Teil der Hyperpop-Strömung.
Ihr Background ist kompatibel mit Smiths Erfahrungswelt, wo Gender überhaupt kein Kriterium mehr sein sollte, das in irgendeiner Weise einengt, sondern "deine eigene Kreation", wie Sam in einem Instagram-Video mal sagte. Liebe überstrahlt zwar als Thema Sams neues Album "Gloria", aber die Liebe hat immer die Schattenseiten der Todsünde Wollust, und so zeigt sich auch diese Scheibe von einer traurigen Seite.
Besonnen, besinnlich, unaufgeregt und außerordentlich sanft - so stellt sich das Album im positiven Sinne dar. Allerdings dreht sich dieser Modus in Dauerschleife um sich selbst. Ecken und Kanten kommen im Sound kaum zum Tragen, außer dass man mal kurz bedeutungsvoll und aus dem Baukasten der Beliebigkeit eine E-Gitarre integriert und Geigen hinein sampelt.
Trennendes Merkmal zwischen den verschiedenen Tracks: Bei manchen kitscht die Emotionsdichte, bei manch anderen schlägt das Pendel mehr Richtung Understatement aus, so in "Gimme ft. Koffee + Jessie Reyez", einem maximal beiläufigen und doch hoch wirksamen Tune. Wer in Koffee, die in Kürze 23 wird, das Symbol für die Zukunft der Musiktrends wittert, wird mit Retro-R'n'B abgespeist, der zwar gut produziert ist, aber an den 90ern klebt.
"Gloria" hört sich okay an, aber auch sehr beiläufig. Sam Smith klingt nett und kuschlig. Die androgyne Stimme verträgt sich gut mit Disco-Beats wie in "I'm Not Here To Make Friends", hat aber in bedächtigeren Nummern wenig zu bieten und ist nur physisch anwesend, erzählt jedoch keine Story. "Six Shots" etwa entgleist als zeternd vorgetragene Kletter-Tour in Tonhöhen, die selbst für Smith ein bisschen steil wirken, während die Dramatik der Streicher kein Kontra bekommt.
Sam Smith ist einfach da, versinkt aber in der Flut der Austauschbarkeit, für die Charts der Jetztzeit das perfekte Qualitätssiegel. Das führt zum zweiten Manko, dass die Lieder nicht wirklich tief ins Innere horchen. Wenn Smith selbst sagt, "Gimme ft. Koffee + Jessie Reyez" sei im Whiskey-Suff geschrieben, glaubt man das sofort. Koffee fordert in ihrer eingeklebten und schlecht mit dem Lied verzahnten Raggamuffin-Einlage gar "push your body to the limit!. Man fragt sich ob mit Limit hier der maximal verträgliche Pegelstand gemeint ist, bevor sie sich übergibt. Ob das der neue Rastafari-Lifestyle 2023 ist?
Aber es gibt auch ein paar wenige Ecken und Kanten. Der Titelsong "Gloria" bescheidet sich mit einem kurzen Acapella: Hier fügt sich ein spiritueller Moment ins Album ein, der so sehr überrascht, wie er auch aus der Zappligkeit der heutigen Zeit heraus bricht.
Zudem legt die Platte mit "No God" einen wunderschön blitzenden Diamanten vor, den sich niemand entgehen lassen sollte, dem R'n'B ein Herzensthema ist. Wann es zu Plagiatsklagen deswegen kommt, beobachte ich mit Spannung, denn in meinen Ohren recycelt Smiths Team hier super geschickt, aber doch einfallsarm zwei Klassiker: "Just A Little Bit Of Love" von Curtis Mayfield (1996) und "It's Not Right, But It's Okay" (1999) von Whitney Houston aus der Feder einer Songwriter-Crew rund um den Producer Darkchild.
Auch dem Retro-Feuerwerk "I'm Not Here To Make Friends" lassen sich sehr viele positive Dinge attestieren: eingängige Melodie, sympathische Schlichtheit, stressfreier Schwung, satt und tanzbar bouncende Beats. Sam führt auch stimmlich gut durch das Lied. Dagegen geraten die pseudo-akustischen Balladen "How To Cry" und "Who We Love ft. Ed Sheeran" trotz sehr schöner Momente insgesamt flach und wiederum zu hoch transponiert, phasenweise nett, nicht mehr.
Die Bass-Resonanzen von "Unholy ft. Kim Petras" üben da erheblich mehr Sprengkraft aus und catchen im Vorbeigehen mehr. Wer hätte bei dieser Single erahnt, dass ein kuschliges und weitgehend kantenloses Album diesen Dance-Hit flankiert?
3 Kommentare mit einer Antwort
Der Ohrring auf dem Cover ist schon arg fragwürdig.
Dann guck dir das neue Video für “I’m not here to make friends” an. Dann siehst du was richtig fragwürdig ist
Ist hier vielleicht der richtige Ort, um mal anzumerken, wie schnuckelig Fler im neuen Deutscha Badboy Video aussieht?
Mir würden definitiv einiges an unholy somethings einfallen, wenn ich mir diesen stählernen Körper reinzieh.
Respekt Flizzy!
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