laut.de-Kritik

Denkt auch mal jemand an die Kinder?

Review von

Sarah Connors wohl größter Erfolg "Brüh' im Lichte dieses Glückes" bestimmte im Jahr 2005 die Schlagzeilen. Zudem zählt ihre prächtige Vertonung des Selma Meerbaum-Eisinger-Gedichts "Das Glück" zu ihren eindrucksvollsten Tracks. Ihre "Muttersprache" steht der Sängerin ausgezeichnet zu Gesicht. Im Grunde war es also nur eine Frage der Zeit, bis die ehemalige X Factor-Jurorin ein deutsches Album veröffentlicht. Doch warum kommt uns das alles so vertraut vor?

Bei Connors Reinkarnation hören wir Rosenstolz, nur mit einer besseren Sängerin und einem leichten Hauch von Soul. Auf den ersten zehn Stücken helfen der Sängerin Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Daniel Faust und hinterlassen deutliche Spuren. Ein Trio, das seit "Herz" zusammen arbeitet. Auf diese Weise findet Plate, dessen Solo-Debüt "Schüchtern Ist Mein Glück" noch an seinem hölzernem Gesang scheiterte, seinen AnNa R.-Ersatz.

Gemeinsam setzten sie Sarahs Stimme in zurückhaltenden Arrangements ein und erreichen auf diesem Weg mehr, als Wyclef Jean ("Unbelievable"), Diane Warren ("Key To My Soul") oder Cool & Dre. Leider verweilen die Texte auf dem Level der späten Rosenstolz, bedienen über weite Strecken die gleiche Phrasendreschmaschine und die Gefühlsduseleien von Juli, Silbermond und Luxuslärm. Sentimentale Wohlfühlbanalitäten aus dem literarischen Katzenkalender, in denen sich jeder und niemand wiederfinden kann. "Denn genauso wie du bist bist du gemeint" ("Mit Vollen Händen").

Nennen wir das Kind beim Namen: Im Gegensatz zu dem Grauen, das aus der Fischer-Hölle empor steigt und dessen Niveau auf eine Leiter steigen muss, um einer Schlange in den Bauch zu zwicken, haben wir es bei dieser Befindlichkeitsmusik mit gut produziertem Schlager zu tun. Hat man dies erst einmal akzeptiert, bietet "Muttersprache" durchaus manch einen überschwänglichen Ohrwurm. Eben solch stimmigen Kitsch wie "Bedingungslos", auch wenn es einem der Text wieder einmal nicht einfach macht. "Wenn du mich vermisst / Such mich da wo Liebe ist". Bei McDonalds?

"Wie Schön Du Bist" findet seine Inspiration in der Welt von Connors pubertierendem Sohn. Das ist genau das, was man in dem Alter von Mama nicht hören möchte. Ein schmalziges Lied, aus dem der Glibber von Plates ehemaliger Band trieft. "Und du siehst so traurig aus / Komm in meinen Arm, lass es raus / Glaub mir ich war wo du bist / Und weiß was es mit dir macht." Dann sollte sie auch wissen, dass seine Klassenkameraden dem Bub auf ihre Art und Weise für diesen Song danken werden. Denkt auch mal jemand an die Kinder?

In verstohlenen Momenten schaut der Soul um die Ecke. "Versprochen" definiert sich als "I Put A Spell On You"-Ableger. Das stampfende "Kommst Du Mit Ihr" möchte lasziv klingen, lässt einen aber mehr als einmal peinlich berührt zurück. "Sieht sie dich dabei an / oder löscht ihr das Licht? / Denkst du wenn sie sich umdreht manchmal an mich?" Über Sex kann man nur auf englisch singen.

"Und wenn sie wieder marschieren / Mit Parolen unsere Liebe zensieren / Siehst du die Welle da am Horizont / Aus Angst wird Wut und aus Wut wird Gewalt / Sie rast auf uns zu in Menschengestalt." Auch wenn die Botschaft zeitweise Sarah Connors literarischen Fähigkeiten übersteigt, stellt "Augen Auf" den ergreifendsten Track auf "Muttersprache" dar. Zwar verfällt sie wieder mehrfach in längst abgetragene Bilder ("Liebe wird dich tragen / Dein Herz wird lauter schlagen"), trotzdem gelingt ihr ein deutliches Statement gegen Pegida, IS und Menschenhass. "Wenn Menschen alles verlieren / und Mütter auf der Flucht das Leben ihrer Kinder riskieren / Wer ist dieser Gott von dem sich alle erzählen / Für den Menschen sterben und andere quälen / Der zulässt, dass Frauen hinter Männern gehen." Von Gutmensch zu Gutmensch kann ich nicht anders, als ihr für diesen Song Respekt zu zollen.

Das Gegenteil gilt für "Mein König" dessen zuckersüßes Arrangement Übelkeit auslöst. Da dies alleine wohl nicht reicht, schickt der schauerliche Text manch Schauer über den Rücken. "So viel Lieder schrieb ich dir / Doch keines klingt so schön wie wir." Menschen knacksen beim Aufstehen, schmatzen beim Essen und klingen nach Verdauung. Nicht unbedingt Attribute, mit denen man seine Lieder vergleichen sollte. "Egal was auch passiert du steigst für mich in jeden Ring / Du tötest jeden Drachen und machst mich zur Königin." Ja, genau. Die Ramsch-Majestät reitet mit ihrem Ritter auf einem weißen Pferd in den rosaroten Sonnenuntergang. It's so fluffy, I'm gonna die.

Trackliste

  1. 1. Mit Vollen Händen
  2. 2. Wie Schön Du Bist
  3. 3. Halt Mich
  4. 4. Bedingungslos
  5. 5. Kommst Du Mit Ihr
  6. 6. Mein König
  7. 7. Augen Auf
  8. 8. Deutsches Liebeslied
  9. 9. Versprochen
  10. 10. Anorak
  11. 11. Meine Insel
  12. 12. Wenn Du Da Bist
  13. 13. Das Leben Ist Schön

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25 Kommentare mit 17 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Sie hat doch alles richtig gemacht. Aus deutschen Landen läuft Hip Hop und Schlager am besten. Jetzt singt sie halt auf deutsch und chartet wieder. Ob es ihr Mandy Capristo nachmacht bald :D?

  • Vor 9 Jahren

    Au weia!
    Wer bitte sagt denn sowas?
    Im Gegenteil! Die neue Sarah Connor ist ein echter Zugewinn für die deutsche Szene. Ungeahnte Qualitäten haben sich aufgetan.
    Gratulation für diese Entdeckung, man sieht dass es für sich vorwärtsbewegende Metamorphosen nie zu spät ist.

  • Vor 7 Jahren

    Es mag ja textlich alles bereits schon dagewesen sein und meinetwegen über weite Strecken etwas cheesy, aber es ist gefühlvoll gesungen und handwerklich gut gemacht. Es dreht sich alles um -sicherlich alltägliche- Gefühle auf diesem Album. Und damit hat sie zumindest mich an einigen nicht verheilten Stellen getriggert. Die Songs, die Stimme und die Melodien haben bei mir Assoziationen und Emotionen geweckt. Und mehr kann ich echt nicht verlangen.
    Das mag nicht für jeden gelten, aber das Album und die Interpretin in Kommentaren zu beleidigen und runter zu machen ist so oder so ein NoGo. Meine Meinung.