laut.de-Kritik
Nette Popmusik, solange man nicht auf die Texte achtet.
Review von Philipp KauseDer Augenblick genügt Sarah Lombardi. Und "Im Augenblick" muss sie rasch zugreifen, wenn sie mit Dance-Pop nicht ganz alt aussehen will. Der Trend, dass wir mit Dance-Pop überflutet werden und jede deutsche Stadt mindestens vier UKW-Wellen hat, die nichts anderes senden, dauert mittlerweile schon so lange, wie man auf Sparkonten keine Zinsen mehr bekommt. So ein konjunkturelles Phänomen kann bald an sein Ende kommen, also klettet sich die auf Schlager eingenordete Sarah flugs an einen alten Hit von Haddaway. "Love Is Love", die recycelte Fassung von "What Is Love", geht ordentlich ins Ohr.
Da reift rasch die Frage, was genau solch eine Coverversion für ein "sehr persönliches Album" qualifiziert, denn so nennt Sony das Teil. Hm. Vielleicht die Tatsache, dass Sarah zwei Monate alt war, als Haddaway das Original rausbrachte? Oder dass "Love Is Love" eben eine sehr, sehr persönliche Feststellung ist? Tief aus dem Inneren. Zudem heißt eine der anderen Singles "Ich", und persönlicher geht es ja gar nicht.
Doch die Plattenfirma geht einen Schritt weiter und analysiert, dass Sarah "dabei aber auch nachdenklichere Töne" anschlage. Krass. Das muss man erst mal sacken lassen. So habe sie "zwölf Songs versammelt, die ihr und mit Sicherheit auch ihren Fans aus dem Herzen sprechen". Also okay, die Platte richtet sich nur an ihre Fans. Ein harter Schlag.
Ich, also "Ich" wollte gerade einer werden. Aber da waren wohl bei mir schon "Flügel In Gedanken", denn: Wer weiß, "Im Freien Fall Nach Oben" könnte diese Platte für bisherige Fans reserviert sein und für alle anderen Leute "Alles Auf Rot" stehen? Ein "Roter Faden" gibt aber doch Hoffnung, denn nur "Einen Anruf Entfernt" lauern "Geborgenheit, (...) Zuneigung und Liebe". Liebe entnehmen wir den Songtiteln "Te Amo Mi Amor", "Verliebt" und "Love Is Love", und wer jetzt noch auf dem Schlauch steht, dem hilft der Promo-Text restlos auf die Sprünge: "Die Botschaft dieses Longplayers ist klar und umwerfend: Nur die Liebe zählt!"
Also lässt sich nichts mehr daran rütteln, es gibt nur diese eine Interpretation. Wow, das muss wahre Kunst sein. Die Kunst liegt in der ausgefeilten Simplizität. Ja, denn da "man sich einfach bewegen muss", besteht Sarahs Intention "ganz einfach aus Botschaft, Beat und Bewegung" und somit "lautet das Motto ganz einfach: Four to the floor" Ganz einfach.
Um mal für Lombardi in die Bresche zu springen: "Te Amo Mi Amor" erfindet das Wort 'magnetisieren', das sich gut anhört. Das Lied bietet deutschsprachigen Reggaeton, durchaus eine originelle und lustige Kombination. Klingt völlig solide, keinen Deut schlechter als internationale Produktionen, und die Künstlerin fügt sich gut in die Bubble-Beats ein.
Auch in "Verliebt" und "Zoom" klappt es mit diesem Konzept, da sammelt die Platte wirklich Pluspunkte. "Zoom" ist ein Gute Laune-Titel, bei dem man schon sehr verschlossen sein muss, um nicht mit zu wippen und zu summen. Da zieht sie mich als Reggae-Fan auf jeden Fall mehr als der aktuelle Gentleman. Wobei außer Rhythmus sonst kein Reggae drinsteckt, aber hey, bei wie viel Prozent karibischer Produktionen gibt's heute noch eine hochwertigere Message als jetzt in Lombardis Song? Da mangelt es an Vorzeige-Beispielen, und von daher überzeugt die Nummer sogar mehr als Gentlemans anbiedernde Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Bemühungen.
Wenn es dann bei "Flügel In Gedanken" metallisch-zittrig in Sarahs Stimme bebt, wäre es schön zu erfahren, wie eine so schief singende Interpretin Millionen Streams erzielen kann. Mit der allgemeinen Anziehungskraft harmonieschwangerer Schlager-Lyrik und dem Bekanntheitsgrad eines Fernsehgesichts erklärt sich das nicht restlos. Denn die quietschenden, hochdramatisierten Töne, zum Beispiel im Wort "Flügel", das hier ungefähr wie "Zwiebel" klingt, muss man erst mal erdulden. Der Selbstoptimierungstext darüber, wie "ich mehr erreichen kann", dürfte out sein, zumal Bohlen als bundesdeutscher Richter über den Ehrgeiz der Jugend genauso ausgeschieden ist wie sich die Geschichte vom fortschrittlichen Musterland BRD auserzählt hat.
Die Heldin in Sarahs Song, mutmaßlich sie selbst, da dies ja alles sehr persönlich ist, wird sich "nie wieder unterschätzen". "Ich will den Meilenstein erreichen" – ob sie da unsere schöne Rubrik meint? Mit dem verzerrten, dissonant-schrillen "i-i-hich" in "Roter Faden" qualifiziert sie sich dafür noch nicht. Sie "geee-he-et" recht ungeschickt durch ihre versuchten Triller- und Tremolofiguren.
Ein ausgeprägtes Problem mit "i"-, "ei"- und langen "eh"-Lauten verfolgt sie durchs Album hindurch. Worunter sogar die "Li-iebe" in "Alles Auf Rot" trotz fluffig-schmissiger Beats und einer coolen Melodie leidet. Manchmal trifft Sarah die "eh"s auch. Aber oft strengt ihre dick auftragende Phrasierung, inklusive Japsen, beim Hören an. "Ich (Akustik-Version)" ist ein ehrenwerter Versuch der Piano-Ballade, aber aus genannten Gründen noch meilenweit von der deutschen Mariah Carey entfernt.
Dabei bringt Sarah ja eine schöne Stimme mit. In "Bailando Con Fuego" (zu Deutsch 'Tanzen mit dem Feuer') riskiert sie keine komplizierten Tonsprünge, und dann klingt die Musik wie all der andere Pop der 'Hot AC'-Wellen im Radio. Nur dass eben 'Sarah Lombardi' drauf steht; aber das Schlager-Etikett muss man da eher nicht draufkleben. "Ich" pflegt dann zwar wieder die Schlager-Tradition des überkandidelten Synthie-Arrangements und eine Political Correctness-Selbstreflexions-Lyrik, die hart am Wording Karl Lauterbachs vorbeischrammt, dem neuesten Schlager-Star in deutscher Sprache. Achtet man nicht allzu sehr auf den Text, ist "Ich" aber nette Popmusik. "Mein Kopf sagt 'stopp', und mein Herz sagt 'ja'" in "Im Freien Fall Nach Oben" – den einen kitschiger Graus, den anderen genau das 'Keeping-it-simple-and-straight'-Prinzip, das einen guter Schlager-Text auszeichnet.
Und das ist der Punkt: Fürs Genre vereint "Im Augenblick" etliche innovative Ansätze mit essenziellen Qualitätsmerkmalen dieser Musikkultur, schiebt völlig radiotaugliche Hooklines aus den Lautsprechern und hat sogar Pfiff. Wenn die Sängerin nicht so unangenehm metallische Ausreißer in der Stimme hätte und manche Textmomente nicht so verbissen moralisch und humorlos ausscheren würden, wäre das ein annehmbar gutes Album.
2 Kommentare
Nette Popmusik, solange man taub ist.
Hahaha!!! )))))