laut.de-Kritik

Zurück in die Zukunft von gestern.

Review von

Hätte ich vor dem ersten Hördurchlauf von Schillers "Future" eine Wette gegen mich selbst gestartet, ich hätte sie gewonnen: Das Album beginnt tatsächlich mit rauchenden Science-Fiction- und Natursounds und einer weiblichen Computerstimme. "Welcome to the 90s", möchte ich schon schreien, doch die künstliche Intelligenz hält souverän dagegen: "Guten Abend, herzlich willkommen in der neuen Welt von Schiller. Schließen Sie die Augen, entspannen Sie sich."

Dann beginnt der Track langsam zu schieben und zu zerren. Meine Hörerfahrungen erwarteten den finalen Scooter-Drop, zu dem irre frisierte Techno-Jünger in einer Parallelwelt, die das Jahr 2000 nie erreichte, ihre Füße durch die Luft schleudern können. Doch der Ausbruch bleibt aus, zum Glück, und das Intro wabert seltsam naturalistisch vor sich hin, beinahe so, als wolle uns Schiller geradewegs in eine unbekannte Zauberwelt führen.

Dumm nur, dass wir alle diese längst in und auswendig kennen. Schillers Entwurf der Zukunft ist immer noch derselbe, den Techno schon in den 80er Jahren träumte und den schon damals Kraftwerk ungleich radikaler zeichneten. Irgendwie kommt das Hören dieser Platte dem Gefühl gleich, das sich einstellt, wenn wir die auf Zelluloid gebrannten Dystopie-Termine alter Science-Fiction-Filmhits dieser Tage munter aus unseren Smartphone Kalendern streichen. Deren harmlose Zukunftvisionen sind heute längst überholt und werden von unseren gegenwärtigen Standpunkten allerhöchstens nostalgisch verklärt.

Klar, da beißen sich Vergangenheits- und Zukunftsbegriffe gegenseitig in den popkulturellen Arsch, aber es konnte ja auch keiner damit rechnen, dass jemand diese abgeranzten Ideen selbst im Jahr 2016 noch einmal hervorkramen würde. Das Konzept dieser Platte beschwört eine ähnlich verklärte, kunterbunte Zukunft, wie wir sie aus Eiffel 65-Videos und aus dezent trashigen Warteräumen der Europapark-Achterbahnen kennen. Das sorgt heute natürlich nur noch für irritiertes Schulterzucken. Aber Schiller ist ja keine reine Diskursmusik, und "Future" nur bedingt ein Konzeptalbum. Glaube ich. Was tut sich also auf musikalischer Ebene?

Nach dem strangen Willkommenstrack folgt eine dreiköpfige Hydra namens "Future I" bis "Future III". Dabei führt die Numero Uno das Intro direkt weiter, besprochen mit (jetzt englischsprachigen) Zukunftsgedanken. Dieses Konglomerat der esoterischen Wegweiser führt uns recht smooth in die Platte, die dann langsam Fahrt aufnimmt. Auf "Future II" (ein Songtitel der vor allen Dingen an längst vergangene Deutschstunden erinnert) herrscht klassischer elektronischer Popsound, wie ihn uns täglich die versammelten Radiostationen des Landes in unsere Gehörgänge blasen. Austauschbar. Ausgewaschen. Fahrstuhlmusik.

Erst auf "Future III" erfolgt ein erster interessanter Klangansatz. Schiller installiert einen Beat, der auch von Paul Kalkbrenner stammen könnte und sich im Loop durch den gesamten Track stampft, während im Hintergrund allerhand kunterbunte Soundmaschinen vor sich hin brabbeln und ein verzerrter Exotenchor aufersteht. Dieses Gebilde besitzt durchaus seinen Reiz und funktioniert fernab der heute fast fremdschämig klingenden Schillerhymnen der Vergangenheit.

Im Angesicht der gegenwärtigen Technoszene, die 2016 weiterhin so vielschichtig und vital vor sich hin pumpt und sich sowohl, was Qualität, als auch (und vor allem), was die Quantität angeht, so präsent wie selten zuvor präsentiert, wird aber auch dieser Track keine Kinnladen nach unten scheppern lassen. Der Reiz der Platte liegt allerhöchstens in seiner Eigenart als Zeitdokument, als Brückenschlag zwischen den mit Kitsch und Pathos überladenen Disco-Zeiten der 80er Jahre und dem gegenwärtigen Hype der elektronischen Musik.

Das führt zu teilweise absurden Soundbrüchen. Dem einführenden, sich immer stärker der Moderne anbiedernden "Future"-Triplet folgt mit "Sweet Symphony (My Heart Beats Again)" ein Song, bei dem nicht nur der Titel direkt aus der Feder von Dieter Bohlen stammen könnte. Der klingt vielmehr tatsächlich wie eine verschollene Modern Talking-Komposition, über die einige abgefahrene Aliens in der Zukunft dezente Filter legten, ehe sie die restaurierte Fassung zurück an uns in die Vergangenheit schickten.

Sorry, ich rutsche schon selbst in den Science-Fiction-Modus. Vielleicht ist es genau das, was Schiller als Soundtrack mit unserem Leben anstellt. Bei all dem Fiepen und mysteriösen Wabern sieht alsbald selbst der konservativste Schreibtisch wie eine Raumbasis aus, und das Abfassen einer Kritik gerät immer mehr zum Steuern eines Space Shuttles. Ich heb' ab.

Dabei besitzt "Future" definitiv eine überschaubare Anzahl von starken, weil bewusst reduzierten und doch abstrakten Songmomenten. Bis auf das Intro hält sich die Platte mit theatralischen Ansagen zurück und lässt immer wieder der reinen Elektronik weiten Raum, um sich zu entfalten. Stichwort Weite: Vor allem in den rein instrumentalen Sequenzen entwickelt Schiller eine sphärische, weitläufige Atmosphäre, die immer wieder punktuell fasziniert, die aber meistens der depperte Gesangseinsatz zerstört.

Der stärkste Titel der Scheibe bleibt "Schwerelos", das sich konzentriert zu einer mehrschichtigen Hymne auftürmt, die sich gleichermaßen an Kraftwerk orientiert, aber auch naturalistische Klangkünstlern wie Dominik Eulberg zitiert. Glücklicherweise lässt Schiller hier alle Spuren von 90er-Kaugummi-Techno außen vor und verzichtet bewusst auf Gesangparts. Eine interessante Mischung, die irgendwie spannend und doch recht durchgekaut klingt, ein wenig wie aufgewärmtes Mikrowellenessen.

Ein Großteil der 17 Songs knackt locker die Vier-Minuten-Grenze. Durchaus eine Ansage, die signalisiert: Hier geht es nicht um schnell abgenutztes Vergnügen, um ein ruckzuck durchgehörtes Rein-Raus, sondern um wirkliche Musikstücke, die erschlossen und erkundet werden wollen. Dafür fällt ein Großteil der Platte aber leider zu oberflächlich aus, und die angedeutete zweite Ebene entpuppt sich oftmals nur als falsche Fährte in Form eines sich im Kreis drehenden Soundeffekte oder Samples.

Nichtsdestotrotz möchte ich nicht ausschließen, dass der eine oder andere konzentrierte Hörer bei einer solchen Expedition durch Schillers Klangräume seinen Spaß haben könnte, auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Der definitive Endgegner eines solchen Hörabenteuers wäre dann wohl das Stück "Looking Out For You (Against The Tide)", das Schiller tonnenschwer und zehn Minuten lang am Ende der Platte platziert. Dieser elektrifizierte Songbrocken gibt eine Art Zusammenfassung der gesamten Scheibe ab, die in willkürlicher Reihenfolge folgende Attribute an die Oberfläche schwemmt und sogleich wieder verschwinden lässt: überladen, romantisch, nostalgisch, abgedroschen, reduziert, wirbelnd, langweilig, kurzweilig, futuristisch, anspruchsvoll, übertrieben, episch, minimal.

Am Ende ist "Future" wie ein seltsames Stück epochaler Musik, wie man es heute nur noch selten hört. Elektronik setzt Schiller mit Zukunft gleich. Die krampfhaft zur Schau gestellte Modernität lässt die Platte so irrsinnig angestaubt und unmodern und längst überholt wirken.

Trackliste

  1. 1. Willkommen
  2. 2. The Future I
  3. 3. The Future II
  4. 4. The Future III
  5. 5. Sweet Symphony (My Heart Beats Again)
  6. 6. Paradise
  7. 7. Schwerelos
  8. 8. Zwischen Gestern Und Morgen
  9. 9. Once Upon A Time I
  10. 10. Once Upon A Time II
  11. 11. I Breathe
  12. 12. Mirai
  13. 13. Not In Love
  14. 14. Save Me A Day
  15. 15. Die Nacht Gehört Uns
  16. 16. Looking Out For You
  17. 17. For You

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Nein, hier geht es nicht um den guten alten Friedrich, sondern um das Trance-Projekt der Herren Mirko von Schlieffen und Christopher von Deylen aus Hamburg.

9 Kommentare mit 13 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    90% Elektro Pop und mehr oder weniger auch Christopher's Neuanfang in den USA seit er Deutschland den Rücken gekehrt hat. Leute die Schiller noch als Ambient/Chillout Projekt sehen werden mit "Future" wohl ein Problem haben.

    Die Gastmusiker würde ich hier nicht überbewerten. Natürlich hat eine Kim Sanders mehr Charisma als die 17 jährige Kéta aber letztlich sind die Leute auch austauschbar. Wenn der Song dahinter richtig gut ist, funktioniert das auch mit anderen Sängern.

    "Future" ist schwierig. Nicht wirklich neu oder innovativ aber schon anders als was von Deylen vorher gemacht hat. Der Sound ist anders und die starke Ausrichtung auf Electro Pop auch. Für mich ist leider immer noch "Sehnsucht" das letzte Album was mir wirklich richtig gut gefallen hat. Alles was danach gekommen ist hat mich nicht mehr so wirklich erreicht.

  • Vor 8 Jahren

    "Future" is a great album. It contains 19 good tracks which is more than you will find on most modern albums, so who cares if there are 9 bad/mediocre tracks on the album, too?

    My favorites are "Rubinrot", "Sweet Symphony (My Heart Beats Again", "Once Upon a Time", "Little Earthquakes Reprise" (instrumental) and "The Future III" - not only do these five tracks contain the classic "Schiller sound" (to varying degrees), but they also qualify to become new classics bye virtue of their catchy melodies and strong rhythms. I also love tracks like "Schwerelos", "Jupitermond", "Turquoise", "Wellenreiter", "Die Reise Geht Weiter", "Mirai", "The Wait Is Over" and "Es ist voller Sterne" with their heavy, often experimental sound. Here Schiller once again proves that he's today's greatest electronic artist.

    In my opinion the album "Sonne" and the subsequent "Sonne live" album and DVD was an artistic highlight for Schiller, and 68% of "Future" definitely measures up to it's predecessor.

    What about the 9 bad/mediocre tracks I mentioned above? Well, I was referring to: "Paradise", "Something There", "I Breathe", "Looking Out For You (Against The Tide)", "Not In Love", "Little Earthquakes", "Save Me a Day", "Forget" and "For You". Those 9 tracks are simply too mainstream and lack originality. The worst ones are "I Breathe", "Not In Love" and "Looking Out For You (Against The Tide)" - when I listen to those songs, I can't even hear that I'm listening to Schiller. It could be any artist. I've got mixed feelings, when it comes to "Paradise". That song is kind of okay - I'm just not a big fan of that sugared, American sound. Perhaps it will sound better (less sugared, and more raw) when Schiller's live band plays it. "Forget" sung by Kéta is the best of the nine, I think.

    But enough about the bad or half bad stuff. I also want to mention that there are two more quite good vocal tracks on the album: "The Future II" and "Only Love". On the surface they might sound like typical mainstream radio hits, but what I really like about "The Future II", is that it has this heavy electronic sound and when Schiller strips the music down to Kéta's humming or a piano (which he does three times during the song), it's like a little touch of Enya. And "Only Love" has got this strong beat and a simple, but very effective arrangement, and last but not least Emma Hewitt's excellent vocal.