laut.de-Kritik

Die "Ich-will-SOAD-zurück"-Rufe werden lauter ...

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Eines vorweg: Noch nie schienen SOAD (oder ein Ende deren kreativer Pause) in weitere Ferne gerückt als nach dem Hören von "Imperfect Harmonies".

Tankian und Co. gingen bekantlich nie zimperlich mit ihren Fans um. Doch dürfte die auf Elect The Dead Symphony klar erkennbare und auf "Imperfect Harmonies" völlig ausgelebte Soundentwicklung hin zu Rockorchester und Elektronik und weg von hard'n'heavy die SOAD-Puristen gewaltig vor den Kopf stoßen. Die "Ich-will-System-zurück"-Rufe werden nach dem Release von Tankians zweitem Solo-Album kaum leiser sein.

Ruhiger hingegen wurde Tankian, wenn auch nicht in seiner Position als chronischer Weltverbesserer: Seine seitenfüllenden Lyrics bleiben auch auf "Imperfect Harmonies" gewohnt politisch, kritisch und ungemütlich - sogar der Zeitpunkt des US-Releases am 21. September, dem armenischen Unabhängigkeitstag, hat Kalkül.

Nein, besonnener wurde einzig Tankians Klanggewand. War der Vorgänger doch stark dem intelligenten Headbang gewidmet, fehlt auf der neuen Scheibe die Rhythmussektion zuweilen komplett ("Gate 21", "Yes, It's Genocide", "Wings of Summer") oder wird mittels sanftem Drumcomputer kaum mehr als angedeutet. Somit kann sich Tankians Stimme deutlich mehr entfalten. Dem gemeinen Tankian-Nörgler dürfte genau dies gehörig auf den Senkel gehen.

"Beatus" beginnt mit einer einsamen Gitarrenmelodie, zu der sich bald ein Hauch von Piano, zarte elektronische Rhythmen und ein bestechender Basshook gesellt. Traurig singt Tankian "This city has become your face / strangling myself in my silence". Panflöten huschen nebst Banjo-Schnipseln durch den Äther, bevor die Songstruktur arg durch eine orientalisch anmutende Geigensequenz durchbrochen wird - und Tankian durchs Megaphon schreit. Heavy Stuff!

Zwar kocht SOAD-Fronter noch immer mit der altbekannten Laut-Leise-Rezeptur, doch geschieht dies weniger durch harte Riffs und dicke Beats als durch opulente Geigenwände und zuweilen an der "Überladen"-Marke kratzenden Instrumentierung (Wehe dem, der bei den ersten Sekunden von "Disowned Inc." den Volumeregler zu hoch einstellt).

"Deserving?" erinnert an Cirque du Soleil und atemraubende Kunststücke am Trapez, "Electron" vermischt Geige mit D'n'B-Breaks, während "Reconstructive Demonstrations" etwas zu pathetisch geriet - hört man da etwa IDM-Sequenzen?!

"Yes, It's Genocide" erinnert mit armenischem Gesang, Piano und Geigen an alle Opfer von Genoziden. Der Song ist Teil einer gleichnamiger Kampagne, die von US-Präsident Obama fordert, endlich den Genozid an den Armeniern anzuerkennen und beim Genozid in Darfur stärker zu intervenieren.

Die düstere Single "Left Of Center" geriet zum geradlinigsten Stück der Platte und erinnert an "Sky Is Over"-Zeiten. Als Brückenschlag von "Elect The Dead Symphony" zu "Imperfect Harmonies" ist die Auskoppelung sicherlich klug gewählt.

Mehrere Hördurchgänge sind zweifelsohne nötig, um den gesamten Kosmos des neusten Tankian-Wurfs zu überblicken. Aufgrund des Detailreichtums besteht aber die Gefahr, dass sich Tankians Message allzu sehr im Dickicht der Instrumente verfängt. Seine Experimentierfreude hat ihn dazu verleitet, allzu viele Ideen auf die Platte zu packen.

Wer sich die Mühe dennoch macht, wird mit einem anspruchsvollen und erhellenden Werk belohnt. Diejenigen Fans, die gerne gefordert werden und Veränderungen nicht abgeneigt sind, werden es ihm danken.

Trackliste

  1. 1. Disowned Inc.
  2. 2. Borders Are
  3. 3. Deserving?
  4. 4. Beatus
  5. 5. Reconstructive Demonstrations
  6. 6. Electron
  7. 7. Gate 21
  8. 8. Yes, It's Genocide
  9. 9. Peace Be Revenged
  10. 10. Left Of Center
  11. 11. Wings Of Summer

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