laut.de-Kritik

So roh kommen wir nicht mehr zusammen.

Review von

Zweimal fünf Sterne für Slowthai. Rückblickend vielleicht ein doch einer zu viel für "Tyron", dem huldigte ich aus Fanboy-Perspektive möglicherweise etwas zu sehr, es verschwand dann doch relativ schnell wieder aus dem Fokus. Es bleibt ein gutes und vor allem wichtiges Album, weniger für den Hörer, aber für Slowthai. Die Erwartungshaltung und der Druck auf das Kid gerieten außer Kontrolle, daraus folgte ein Werk, das mal trotzig den Mittelfinger streckte, aber meistens sehr verletzt auf seine Umwelt reagierte.

Seitdem gab es zum Glück wieder positivere Ereignisse in Slowthais Leben, die Geburt seines Sohns als Highlight. So viel Lebensfreude schlägt sich natürlich auch im Sound nieder, der nun viel softer, poppiger und mit Max Martin als Produzenten absolutes Mainstream-Potential aufweist.

... natürlich ist das Quatsch mit Soße. So schön das Privatleben auch läuft, in "Tyron" schlummert immer noch ein Rest an Selbsthass, den "UGLY" nun karthagisch austreiben soll. Sogar als frisches Tattoo sieht man den Titel inzwischen unter seinem Auge, und einen Moment lang macht man sich gleich wieder Sorgen. Doch alles zum Glück halb so wild: "UGLY" steht für "U Gotta Love Yourself". Der junge Papa aus Northampton möchte seinen Schmerz lieber in seine Musik entlassen, als privat ein schlechter Familienvater zu sein.

So geht Slowthai zurück zu der rohen Wut von "Doormann", dem punkigsten Track von seinem Debüt-Album, aber auch zurück in seine Kindheit, als er begeistert Nirvana und Daniel Johnston hörte. Punk war er schon immer, den Traum von einer Band hegte er auch lange. Nun endlich durfte er mit Indie-Rock-Produzent Dan Carey (Foals, Fontaines D.C) seiner anderen Leidenschaft neben Hip Hop frönen.

Schnappatmung, die an Panikattacken erinnert, eröffnet das Album, fast wie zu "Yeezus"-Zeiten, als Ye noch als radikaler Visionär die Musikwelt in Aufruhr versetzte. Dämonen stecken auch in Tyron Frampton, der sonst so einnehmend breit grinst und wie der zufriedenste Dude auf dem ganzen Planeten wirkt. Davon jedoch steckt nichts, aber auch gar nichts in diesem Industrial-Beat-Exorzismus, in dem Slowthai das ganze Gift aus seinem Körper spuckt und seinen Therapeuten anschreit. "He said: Breathe, breathe, breathe / Funny thing is it just pissed me off more", und, ja, "Yum" poltert richtig angepisst und ohne Rücksicht auf die eigene Person oder sonst irgendjemanden durch den Raum. Slowthai gegen Slowthai, so heißt der Kampf, logischerweise mit ihm als großen Verlierer: "Cause I don't give a fuck / Excuse me while I self destruct." Schellen für die eigene Person, und der Einstieg in eine wilde Geisterbahnfahrt.

Noch einmal fest anschnallen, dann Abfahrt in "Selfish", die nächste alptraumhafte Noise-Explosion. So sehr Tyron alles für sein Kind in Ordnung bringen möchte, der Planet ist es nun einmal absolut nicht. "It makes me sick when I look at the world", zischt er voller Ekel auf das System, in dem er natürlich auch als Workaholic und selten anwesender Familienvater auch selbst mitspielt. Ein Monstrum aus den hypnotischen Beats von Kwes Darko, der mit Sirenen-Sound und zerstörerischer Bassline einen wahrhaftigen Sound-Terror für den Rap-Teufel produziert. Futter für den kleinen Troll, der immer noch tief in dem Grime-Punker steckt und ihm mit großer Freude jeden Moment der Zufriedenheit zerstört.

Dabei ist er eigentlich ein lieber und vor allem verlässlicher Kumpel, wie eine nette Anekdote von einem gemeinsamen Essen mit Jockstrap beweist: Ein Dieb klaute Tyler Skye den Rucksack, in dem sich die fast fertigen und einzigen Dateien für dessen Debütalbum befanden. Nur Ty und seiner spontanen Verfolgung des Räubers blieb zu verdanken, dass "I Love You, Jennifer B." doch noch erschien. Vielleicht wollte Slowthai deshalb nicht die maskuline Buddy-Runde, sondern lieber seine Paranoia-Jam mit guten Freunden aus der Indie-Szene verbringen.

Jockstraps Tyler begleicht jedenfalls seine Schulden und begleitet seinen Retter auf "Sooner". Die nahezu fröhliche Garage-Rock-Nummer löste schon vor zwei Jahren in einem Live-Stream bei den Fans begeisterte Reaktionen aus und entdeckt nun endlich das Licht - oder eher: die Abgründe - der Welt. So tanzbar und catchy die Licks auch kommen, die Misanthropie endet nie. "I wanna press reset, wanna press restore / Wanna swim, yeah, drenched, deep Holy Water / Baptized in the blood of my enemies / I just struggle with Heavenly thoughts." So schizophren tanzt man selten zwischen Selbstmordgedanken und Indie-Disco.

Überhaupt, "Indie-Disco"! Wie lange konnte man dieses Wort nicht mehr in den Mund nehmen, weil es erst zum Hassbegriff wurde, dann einfach durch das x-te Dream-Pop-Revival an Bedeutung verlor?

Fick dein ASMR-Yoga und lausche den Klängen von "Wotz Funny", das zeigt, wie man 2023 fast originalgetreu wie 1977 den Street Punk-Spirit aufleben lässt. Die Frage nach der Witzigkeit bleibt natürlich zynischer Natur: Gar nichts ist lustig an dieser Abrechnung mit unserer nervigen Spaß-Kultur, die ständig alles durch den verträglichen Ironie-Filter dreht. Liam Toon von Beabadoobee prügelt dazu auf das Schlagzeug ein, und beide klabautern mit mächtiger Freude durch den ungehobelten Oi!-Track. Eine fast schon leicht kindische Proll-Nummer, die entgegen der vermuteten Intention wirklich Spaß macht.

Kommen wir zum Schluss noch einmal zu dem Elefanten, den diese abermalige Lobpreisung in den Raum stellt: Natürlich bin ich Fanboy. Wie auch nicht, wenn Slowthai alle Knöpfe bei mir drückt und mein Flehen nach einem originären Musiker erhört, bei dem alle musikalischen Vorlieben jedes Mal so gut zusammen finden? "UGLY" bedient genau den Bestellwunsch, den ich schon nach dem ersten Hören von "Doorman" im Kopf schrieb. Keine Sorge, jemand, der in beiden Lagern zu Hause ist, wird auch der Rap-Fraktion wieder ein Geschenk machen. Früher oder später assimiliert Slowthai aber natürlich endgültig der Mainstream. Wer also nicht schon Fan war, sollte den Moment noch schnell nutzen und Northampton's Child als Firestarter in Bestform genießen. So roh kommen wir nicht mehr zusammen.

Trackliste

  1. 1. Yum
  2. 2. Selfish
  3. 3. Sooner
  4. 4. Feel Good
  5. 5. Never Again
  6. 6. Fuck It Puppet
  7. 7. Happy
  8. 8. Ugly
  9. 9. Falling
  10. 10. Wotz Funny
  11. 11. Tourniquet
  12. 12. 25% Club

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