laut.de-Kritik
Karibik trifft Nordpol auf eine runde Gras für die Ohren.
Review von Ulf KubankeManche künstlerische Zusammenarbeit liest sich bereits auf dem Papier zu schön, um wahr zu sein. Diese Musik-Ehe scheint im Himmel geschlossen worden zu sein. Mit Sly & Robbie und Nils Petter Molvaer treffen die karibischen Kollabo-Weltmeister auf den nordischen Kollabo-König. Beide Acts schmecken normalerweise so verschieden wie Rum und Aquavit; doch beide sind hochprozentig. Ihr gemeinsames Baby "Nordub" verbindet Gegensätze zum psychedelischen Klang-Abenteuer.
"Nordub" ist von Anfang bis Ende ein langer Trip in eine bewusstseinserweiternde musikalische Dimension. Das sinnliche Erlebnis stachelt dabei ebenso auf wie es entspannt. Ihr gemeinsamer genetischer Code ergibt sich aus der variablen Philosophie beider Parteien. Obwohl S&R nicht nur wegen Black Uhuru Götter des Reggae sind, wirkten sie gern auf bedeutenden Alben ganz anderer Ikonen mit.
NPM und sein Musik-Ehemann Eivind Aarset (beide verantwortlich für den Meilenstein "Khmer") sind als Norweger ohnehin der Ansicht, dass es ganz normal sein sollte, wenn Jazzer, Black Metal-Typen, Elektro-Frickler und Soul-Musiker nicht nur am selben Tisch trinken, sondern auch gemeinsam musizieren.
Diese ebenso seltene wie sympathische Einstellung führte 2015/16 bereits zu gemeinsamen Konzerten und liegt auch dieser Platte zugrunde. Zu Beginn der Aufnahme-Sessions gab es bereits ein eingespieltes Team. Das hört man den Tracks ausnahmslos an. Handwerklich verstehen sich alle Beteiligten hier blind. So eröffnet sich ihnen viel Raum für das Entwickeln kreativer Ideen, die jede Genre-Grenze verspotten.
Deshalb ergibt etwaiges Etikettieren auch keinerlei Sinn. Ist das Eher Reggae, Dancehall, Dub oder Jazz? Solche Fragen stellt niemand mehr, sobald die ersten 30 Sekunden vorbei sind. Stattdessen rücken zu Beginn die scheinbaren Nebenfiguren Eivind Aarset (Gitarren) und Klangtüftler Vladislav Delay (Elektronik) in den Fokus. Beide verfügen zwar nicht über die zugkräftigen Namen der Hauptdarsteller, stehen diesen in Bezug auf essentielle Ideen und Umsetzung dieser zehn Stücke dennoch absolut gleichberechtigt gegenüber.
Diese Lava-trifft-Gletscher-Musik hält für altgediente Fans beider Seiten zunächst die Herausforderung der Umgewöhnung bereit, denn alles fließt hier simultan ineinander. "How Long" dürfte Molvaerianer mit Reggae-Vocals aus der Reserve locken. S&R-Kenner könnten sich dagegen von den daraufhin einsetzenden Nu-Jazz-Elementen irritiert zeigen. Doch es lohnt sich, am Ball zu bleiben.
Delays Elektronik-Klänge übernehmen jenen Part zwischen Untermalung und Gegengewicht, den im artverwandten Kollabo-Kosmos von Erik Truffaz der Mexikaner Murcof inne hat. Ähnlich wie auf deren "Being Human Being" liefert der Finne durchgehend den entscheidenden Brennstoff für den gemeinsamen Motor. Anspieltipp hierzu: "Norwegian Sword Fish".
S&R/NPM bleiben relativ puristisch bei ihren angestammten Stärken. Das Jamaika-Feeling der beiden Rastafari dubbt sich nahezu stoisch als roter Faden durch die gesamte Platte. Molvaers Trompete wirbelt mitunter elegisch, oft jedoch recht schneidig dazwischen. Die elektrische, oft angezerrte Verstärkung geht dabei jenen Weg, den Miles Davis Anfang bis Mitte der 70er auf Alben wie "Get Up With It" ging: Am Ende gewinnt der Dschungel!
Als Höhepunkt des wilden Gemischs schält sich "Was In The Blues" heraus. Der Song klingt wie eine Kreuzung aus schamanischer Melodie, hypnotischem Rhythmus und einer kreissägenden Trompete. Schon nach dem ersten Durchlauf krallt sich dieser Übertrack fest und verlässt des Hörers Ohr stundenlang nicht. Fazit: Karibik trifft Nordpol auf eine runde Gras für die Ohren.
1 Kommentar
Ich liebe Dub, ich finde Movaer super, aber dieses Zusammenspiel ... ich weiss nicht. Da ist mir zu wenig gegenseitige Befruchtung drin. Die Licks von Sly & Robbie kommen relativ phatasielos, kraftlos daher Molvaer & Co sind nur selten treibend und mutig. Schade, für mich eine etwas verpasste Chance.