laut.de-Kritik
Mitternacht im Garten von Maskulin und Feminin.
Review von Ulf KubankeBrachiale Monotonie allüberall, geschaffen von bleiernen Gitarren und berstenden Drums. Michael Giras priesterliche Stimme öffnet die Pforte zu Gedankenkontrolle, Indoktrination, Willkür, Tabu und Besessenheit. Trance und Hypnose wohnen in der ebenso kargen wie unwiderstehlichen Melodie. Von Vers zu Vers wird der Gesang des Meisters fordernder und grimmiger. Entrinnen? Vergiss es! "With my eyes wide open I will be there. The New Mind! The New Mind!"
"New Mind" ist eine der intensivsten Ouvertüren überhaupt und eröffnet mit "Children Of God" eines der wichtigsten Alternative-Alben aller Zeiten. Der verstörende Klangklumpen schlägt als Single samt Doppel-LP 1987 das Indie-Publikum sofort in seinen Bann. "New Mind" entwickelt sich trotz rauer Schale zum Clubhit in Szenediskos, gelangt entgegen aller Voraussetzungen in die MTV-Rotation und hievt "Children Of God" an die Spitze der Alternative-Charts in Europa und den USA. Es ist bis heute unverzichtbares Aushängeschild auf Swans-Konzerten.
Hierfür erfindet Gira seine Swans gänzlich neu. Ab 1987 wird langsam aber sicher klar, dass die Band auf Augenhöhe mit anderen Göttern der Gegenkultur wie Velvet Underground, Stooges, Henry Rollins oder den befreundeten Sonic Youth etc rangiert. Später wird sie auch ein wesentlicher Einfluss für ikonische Nachkommen wie Tool oder Neurosis sein.
Bis zu diesem Punkt jedoch sind ihre Platten nihilistische Orgien der Kakophonie, gespickt mit Noise, Industrial, No Wave oder Postpunk. Doch reiner Krach erbaut keinen Tempel. So nimmt Gira sich die ihn seit jeher inspirierenden Urformen wie Blues/Folk und krempelt alles gen sarkastische Ritualmusik um. Die Ära, in der Doom oder Drone etabliert sind, liegt noch fern. Gira ist seiner Zeit jedoch voraus. Er taucht die vorgefundenen Klangfarben in monolithische Schwärze. Der Wendekreis des Schwans ist hierdurch abgeschlossen.
Daneben offenbart sich eine weitere Ebene. Männlichkeit und Weiblichkeit stoßen aufeinander und formen die einzelnen Bilder zum gleichzeitig kontrastierenden wie ergänzenden Mosaik. Ab Song Nr. 2 – "In My Garden" taucht Jarboe auf. Die Künstlerin aus Louisiana ist eine Schlüsselfigur im Swans-Kosmos. Ist sie die Göttin des dunklen Kultes? Dessen oberste Schamanin? Jüngerin oder zu richtende Sünderin? Die Indizien variieren von Lied zu Lied und überlassen dem Hörer die Suche nach finalen Antworten. Einzige Konstante bleibt die spärlich beleuchtete Finsternis ihrer Musik. Es herrscht stets Mitternacht in diesem Garten von Maskulin und Feminin.
Alles zusammen macht "Children Of God" zum ultimativen Album der Swans. Wie bei Rom führen alle Wege hierhin und gehen gleichzeitig von der Scheibe aus. Rudimente ihrer Abrissbirnenzeit verebben hier. Simultan deuten sich jene mantrischen Wiederholungen bereits an, die spätestens im grandiosen Spätwerk "The Seer"/"To Be Kind"/"Glowing Man" vollends erblühen. Insofern eignet sich dieses Meisterwerk besonders als Einstieg für Novizen, die von hieraus je nach Gusto in beide Richtungen auf Entdeckungsreise gehen können.
Das Böse entspringt erkennbar den – wenn auch nicht explizit namentlich genannten – Kirchen. Vvon Torquemada bis Teheran ist Sex das einende Element absoluter Besessenheit; gleichzeitig tabuisiert, substituiert und ebenso exzessiv ausgelebt ("Sex, God, Sex"). Am Ende steht eine klingende Katakombe von Lust und Entsagung. Das schmerzhafte "Blood And Honey" Jarboes sollte man hier nicht verpassen.
Um den Ausdruck zu erweitern, stockt man das Instrumentarium auf. Oboe, Trompete oder Cello erfahren als Außenseiter punktuell einen ebenso stimmigen Einsatz wie Gitarre, Bass, Drums und Piano. Dabei entstehen große Augenblicke. "Trust Me" gibt den Rattenfänger falscher, manipulativer Versprechen. "You're Not Real Girl" gebiert Entfremdung und Einsamkeit. "Nothing inside you is real."
Doch erst auf "Beautiful Child" bricht die misanthrope Verderbtheit in markerschütternder Gänze aus. Die scheinbare Zärtlichkeit plus Bescheidenheit der ersten Zeilen mündet in Missbrauch, Opferung und Tötung. Wie bei De Sades "Die 120 Tage Von Sodom" taugen die Gläubigen hier lediglich zur Befriedigung zügellos entfesselter Gelüste triebhaften Größenwahns. Giras Rolle pendelt zwischen Hexenhammer, Scheiterhaufen und Darkroom. Jarboes bewusst pathetischer Hintergrundgesang unterstreicht die Kaputtheit vortrefflich. Alle Spiritualität ist in den Händen des Klerus zu Gift verkommen.
Um so makaberer wirkt der mystische Schlussakt in Form des Titelsongs. "We are special, we are perfect. We are born in the sight of god." Jarboes Kanon funktioniert gleichermaßen als Katharsis wie auch als Besiegelung des fanatischen Grauens. Je nachdem, ob man den Track zum Ende als Erlösung oder Verdammnis deutet. Der Ball liegt nun wieder beim Publikum. Das ist atmosphärisch wie konzeptionell und philosophisch dermaßen gekonnt: Man mag kaum glauben, dass die rauschhafte Reise vorüber ist.
So ganz am Ende ist sie auch nicht. Denn "Children Of God" hat einen Trabanten, der leider auf keiner bisherigen Edition Platz fand: "Love Will Tear Us Apart"! Die gleichnamige kurz darauf erschienene EP gehört ihrem Zusammenhang nach zu dieser Doppel-LP. Gira und Jarboe wollten dem Joy Division-Klassiker jedoch genug Raum zur Entfaltung geben, weshalb die drei dort befindlichen Varianten ein eigenständiges Format benötigten. Besonders die ungemein warme Akustikversion des Evergreens erweist sich dem Original als mindestens ebenbürtig und verleiht den Zeilen eine angemessene Doppelbödigkeit.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Wieder ein absolut verdienter Meilenstein!
Die Koryphäen des Experimental Rock und Wegbereiter für Sunn O))) und Konsorten.
Man kann Swans eigentlich nicht auf ein bestimmtes Album runterbrechen, "Children of God" ist aber ein Highlight im schillernden Gesamtwerk. "Soundtracks for the Blind" wäre auch eine gute Wahl gewesen.
...oder "White Light..." oder "The Great Annihilator"...oder "The Seer"...oder...
"the seer" und die alben danach haben hier reviews. sind auch verlinkt.
qualitativ taugt ohnehin fast jedes swans-album zum stein. musikhistorisch kommt man an diesem jedoch nicht vorbei.
Ist das eigentlich beabsichtigt, dass kurz vor dem Geburtstag von Gottes Sohn ein Album namens "Children of God" den Meilenstein bekommt?
Swans, klar. Aber hier ist die Produktion nicht besonders.
Bestes Album mit Jarboe am Gesang! Ihre Solo Alben kann ich mittlerweile nicht mehr ausstehen. Alles so prätentiös.