laut.de-Kritik
Sampling-Brillanz und die Musik gewordene Sorglosigkeit.
Review von Jakob HertlZum ersten Mal habe ich "Don't You Worry Child" gehört, als ich elf Jahre alt war. Zu einer Zeit, als aufgeschürfte Knie nach dem Fußball die größte Sorge im Leben waren. Die deepen Lyrics habe ich damals nicht verstanden. Für mich war der Song einfach nur Freude.
Heute weiß ich, dass der Song als letzte Single die Abschiedstournee der Swedish House Mafia kurz vor ihrer Trennung 2013 einläutete. Während der fünfjährigen Pause bin ich ein Stück erwachsener geworden, und das DJ-Trio hat sich 2018 wieder gefunden. Auch wenn nicht immer alles rosig war und ist: geblieben ist die Freude. Deswegen möchte ich an dieser Stelle eine Lanze brechen für ein Album, das für mich (nicht nur aus Nostalgie-Gründen) grandios ist.
Streng genommen ist "Until Now" gar kein klassisches Album, sondern eher eine Compilation bereits releaster Singles, Mashups und Remixes. Besser gesagt: der Soundtrack der damaligen Bandgeschichte der Swedish House Mafia. Will man diese erzählen, fängt man am besten nicht erst bei "One" an, dem ersten, 2010 offiziell releasten Track. Denn die Story hinter der Gruppe startet schon viel früher.
Sebastian Ingrosso und Steve Angello kennen sich bereits aus Kindheitstagen und wachsen in den 80ern und 90ern mit ganz großen Genre-Legenden wie Daft Punk auf – wie kann man da nicht DJ werden wollen? Sie lernen Axwell kennen und legen etwa ab 2005 gemeinsam auf. Zu Beginn noch viel mit Eric Prydz, der stellt 2008 jedoch klar, nicht Teil des Kollektivs zu sein, das mittlerweile unter dem Namen Swedish House Mafia in aller Munde ist.
Ganz offiziell releast das Trio aus Axwell, Ingrosso und Angello 2010 die Vocal-Version "One (Your Name)" mit Gesangsbeistand von Pharrell Williams. Unabhängig davon, ob es die Vocals tatsächlich gebraucht hätte, ist "One (Your Name)" in so vielen Belangen genial – allein durch den Fakt, dass die Bassline eigentlich nur eine schnell geloopte Kickdrum ist. Kleine Geschichten hinter dem Song wie diese erklären die drei im empfehlenswerten Making Of. Darin droppt Axwell auch einen sehr interessanten Satz: "None of us are musicians."
Natürlich bezieht er sich damit auf eine klassische Musik-Ausbildung oder die Fertigkeit, ein 'echtes' Instrument spielen zu können, trotzdem lässt die Aussage aufhorchen. Und tatsächlich steckt ein Stück Wahrheit dahinter: von Anfang an steht bei Swedish House Mafia Sampling und die Inspiration bei anderen Künstlern und Songs im Vordergrund, wie es bei vielen DJs und Produzenten heutzutage der Fall ist. Komplett 'neue' Musik ist kaum einer der Tracks. Darum geht es aber auch nicht.
Es geht ums Experimentieren und um Emotionen. Darum, Klänge, Melodien und Ideen – auch ungewöhnliche Sounds – zu finden, sie in einem innovativen, elektronischen Gewand neu aufblühen zu lassen und damit Gefühle zu erzeugen. Diesen Vorgang haben die drei Jungs perfektioniert, damals wie heute mit ihren neuen Projekten.
Ein weiteres tolles Beispiel liefert "Greyhound". Der Song samplet "Time" von Hans Zimmer, und klingt das Intro nicht verdächtig nach dem Musikvideo zu Michael Jacksons "Thriller" ab Minute 8:27? Beides nicht unbedingt Referenzen, die man in einem Progressive House-Song erwarten würde. Und doch ergeben sie, gepaart mit eigenen Ideen und cleverer Produktionsarbeit einen Track, der beim Ultra Miami Tausende zum Ausrasten bringt. Wenn Musik so eine Kraft auslösen kann, Menschen so bewegt, dann ist es mir auch herzlich egal, dass der Song ursprünglich nur als Werbeprojekt für eine Wodka-Marke entstanden ist.
Am wichtigsten bleibt im Endeffekt, was die Musik bei den Menschen bewirkt und wie viel Wiedererkennungswert sie hat. Der ist bei praktisch allen Songs dieser Compilation gegeben, etwa bei Swedish House Mafia-Klassikern wie dem epischen Feelgood-Banger "Save The World", "Miami 2 Ibiza" mit Tinie Tempah oder "Antidote".
Wie bei allen anderen Songs könnte ich auch zu "Don't You Worry Child" über dessen Entstehungsgeschichte schreiben, über die gigantischen Charterfolge, über jeden einzelnen Synth, jedes Sample, jeden Drumloop. Aber viel lieber schreibe ich über die Euphorie, die es in mir auslöst, wenn die Gitarren zum Intro anstimmen. Über das bittersüße Gefühl, dass der Text transportiert: wieder kurz ein unbeschwertes Kind zu sein, auch wenn diese Zeit vorbei ist. "Those days are gone/ Now the memories are on the wall."
Für mich ist "Don't You Worry Child" die musikgewordene Sorglosigkeit. Wie sagt man so schön: When the beat drops, so do my problems. Denn wenn es im Hier und Jetzt mal schwierig ist, wenn ich im manchmal ätzenden Erwachsenen-Leben mal metaphorisch hingefallen bin und mir die Knie aufgeschürft habe – dann helfen mir diese Zeilen wieder auf: "Don't you worry, don't you worry child / See, heaven's got a plan for you."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 3 Antworten
Das Album macht viel Spaß von der Swedish House Mafia und das soll es auch Don't You Worry Child ist ein tolles Lied.
was ist ein tolles Lied?
Von welcher Mafia?
Wir nähern uns mit grossen Schritten einem Meilenstein von Scooter. Laut kann Stolz auf diese Arbeit sein.
So einen irrelevanten Scheißdreck als Meilenstein zu bezeichnen kann nur einem geisteskranken Hirn entspringen. Aber wenn man keine Ahnung von Musik hat und die Geräuschkulisse der dummen Spaßgesellschaft eine Relevanz andichten will, die nur unter Drogeneinfluss Sinn ergibt, dann kommt so ein grober Unfug dabei raus.
Ahnungslos, geisteskrank, grober Unfug. Nette Wortwahl. Vielleicht sollte man als Knochen nicht jedem Hund hinterherrennen. Ich unterstütze jedenfalls die Ausführungen des Rezensenten, denn jedes Genre, hier vielleicht so was wie Kirmestechno/-house/-elektro hat seine Ausreißer nach oben. Ist ja nicht alles automatisch unteres David-Guetta-Niveau, nur weil es in etwas dasselbe Genre betrifft. Gibt ja auch gute Schlagermusik, die man nicht mögen muss, wo viele Hörer aber erkennen können, dass diese sich von dem gewöhnlichen (Schrott-)Schlager abhebt. Der Rezensent behauptet ja gar nicht, es handle sich um besonders einfallsreiche und tiefgründige Musik. Sie erfüllt - aus meiner Sicht sehr gut - ihren Zweck. Auch die Frage, ob ein Album, das konzeptionell keines ist, in die Rubrik "Meilenstein" gehört, ist angesprochen. Die beantwortet der Rezensent für sich, kann man auch anders sehen. Mir gefällt das so. Ist sicherlich nicht die Art Musik, die ich wählen würde, dürfte ich für den Rest meines Lebens ausschließlich 5 Alben hören. In bestimmten Stimmungen ist das aber genau das richtige für mich. Vielleicht so, wie ein guter Döner in einer bestimmten Situation mein Lieblingsessen ist.
Richtig gute Musik ist sowieso nur, was der Adel im 18. Jhd gehört hat oder vielleicht noch weiße Männer, die vor sechszig bis vierzig Jahren schwarze Musik gemacht haben, muss man wissen!
Die persönliche Ibiza Playlist von vor 12 Jahren also zum """"""Meilenstein""""""" hochstilisieren ok