laut.de-Kritik

Die Berliner kehren zum NDH-Sound zurück.

Review von

Mit "Schreib Es Mit Blut" näherten sich Tanzwut 2016 Kollegen wie In Extremo an. Auf "Seemannsgarn" verfeinerten sie drei Jahre später ihre Musik mit Metal-Einflüssen. Nun wenden sich die Berliner um Front-Sympathikus Teufel mit "Die Tanzwut Kehrt Zurück" wieder dem NDH-Sound ihrer ersten Alben zu. Leider keine gute Idee.

Schon im Titelstück zieht sich der etwas giftig anmutende Gesang Teufels durch die Strophen, der, was die Klangfarbe betrifft, deutliche Parallelen zu Till Lindemann besitzt. Sicherlich sang der mittlerweile 56-Jährige schon vor Lindemann so, was er auch kürzlich in einem Interview betonte. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sein steifer und unbeholfener Vortrag eher unfreiwillig komisch denn bösartig wirkt. Dazu vernimmt man galoppierende Gitarren- und Schlagzeug-Klänge sowie Keyboards aus der 90er-Jahre-Mottenkiste. Der Refrain bietet schließlich mit harten Gitarren, melodischen Sackpfeifentönen und bierseligem Text nach dem Credo "man soll die Feste feiern, wie sie fallen" nichts essentiell Neues.

Da überzeugt die Gesellschaftskritik in "Feine Menschen" schon eher, wenn sich die Berliner mit dem Neid und der Gier der Menschen auseinandersetzen. Nur funktioniert die Nummer im Grunde strukturell nach dem gleichen Prinzip, auch wenn im Refrain mehr epische Töne im Vordergrund stehen und mit stakkatoähnlichen Saitenklängen und einer knatternden Double-Bass-Drum viel Metal-Härte ins Spiel kommt.

Auf der Platte begegnet man aber nicht nur altbackenen NDH-Sounds, die Tanzwut mit Metal-Einflüssen ein wenig aufpolieren, sondern auch melancholischen und experimentellen Momenten. In "Bis Zum Meer" bringen die Hauptstädter die Sehnsucht "nach dem Meer" musikalisch mit schwelgerischen Gesangs-Passagen, weitläufigen Gitarrentönen und sphärischen Keyboard- und Chormomenten zum Ausdruck.

In "Die Geister Die Wir Riefen" verbinden sie ein Goethe-Zitat mit tanzbaren Tango-Klängen. Dazwischen schwimmen sie in "Pack" zusammen mit Saltatio Mortis auf dem aktuellen Deutschrock-Hype mit und schwören auf Freundschaft und Zusammenhalt in guten wie auch in schlechten Tagen.

Da erweist sich "Johann" als deutlich interessanter, geht es doch inhaltlich um die Geschichte von Johann Reichhart, einem bayrischen Scharfrichter, der in der Weimarer Republik, in der Zeit des Nationalsozialismus und für die US-Militärregierung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges über 3.000 Menschen hinrichtete, darunter auch die Geschwister Scholl. Musikalisch findet die schwere Thematik mit stampfenden Schlagzeug-, kompromisslos nach vorne gehenden Gitarren-Tönen, elektronischen Einsprengseln und der bedrohlichen Stimmführung Teufels eine verstörende Umsetzung, die Rammstein nicht besser hinbekommen hätten.

Da kommen "Narziss", das um Egomanie kreist, und "Virus", das davon handelt, was ein Virus mit den Menschen alles anstellen kann, vergleichsweise harmlos daher. Immerhin ergibt sich im erstgenannte Track aus dem Wechselspiel von ruhigen Strophen und treibendem Refrain ein spannender Kontrast. Ansonsten größtenteils immer das gleiche Bild: Lindemann'scher Gestus in den Strophen, Metal-Kante und Sackpfeifentöne im Refrain.

So richtig ragt da nur noch "Allein" aus dem Einheitsbrei heraus, das zu Beginn von Teufels ruhiger Erzählweise lebt, wenn er eine verlorene Liebe besingt, die nicht mehr wiederkommt. Später gleitet sein Gesang zu midtempolastigen Gitarren- und Drum-Klängen und sehnsuchtsvollen Sackpfeifensounds mehr ins Dramatische über, so dass es der Nummer an großen Gesten nicht mangelt.

Jedenfalls beweisen Tanzwut hier und da auch mal Mut zur Weiterentwicklung, weswegen die musikalische Rückbesinnung auf alte Tage gar nicht nötig gewesen wäre. Besser wäre es gewesen, sie hätten da weitergemacht, wo sie mit dem überzeugenden Vorgänger aufgehört haben.

Trackliste

  1. 1. Die Tanzwut Kehrt Zurück
  2. 2. Feine Menschen
  3. 3. Bis Zum Meer
  4. 4. Pack
  5. 5. Die Geister Die Wir Riefen
  6. 6. Johann
  7. 7. Narziss
  8. 8. Schwarze Löcher
  9. 9. Auf Messers Schneide
  10. 10. Allein
  11. 11. Berlin
  12. 12. Virus

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